Work-Life-Balance – ein Konzept für eine erfolgreiche Personalpolitik
»Work-Life-Balance«, das klingt modern und innovativ – ist es aber eigentlich gar nicht mehr ■ Das »Bundesfamilienministerium« hat sich bereits in den 80er und 90er Jahren mit diesem Thema befasst und etwa seit 2001 kennen wir Work-Life-Balance-Konzepte für viele unterschiedliche Arbeitsbereiche.Eigentlich müssten wir also davon ausgehen, dass es mit dem familienfreundlichen Arbeitsplatz und der damit verbundenen Balance zwischen Arbeit, Freizeit und Gesundheit von Arbeitnehmern und Arbeitsnehmerinnen auch in der Kita längst hervorragend klappt. Aber ist das Thema tatsächlich in den Kitas angekommen?
Ziel eines Work-Life-Balance-Konzeptes (WLBK) ist es, Arbeitswelt und Privatleben so zu gestalten, dass das Familien- und Freizeitleben, sowie die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht leiden. Der Begriff WLB suggeriert, dass es möglich ist, eine Balance herzustellen. Ich denke, es wäre realistischer, den Begriff Balance durch Integration zu ersetzen, denn es geht darum, Arbeitsleben und Privatleben so zu gewichten (und damit ist nicht nur die zeitliche Gewichtung gemeint), dass alle Rollen und Lebensbereiche der Mitarbeiterinnen und der Mitarbeiter, inklusive Beziehungen, Hobbys, Familie, Wertvorstellungen, Gesundheit und Beruf zur Zufriedenheit aller gewichtet wird. Das ist nicht allein Aufgabe der Mitarbeitenden, sondern Baustein einer vernünftigen Personalpolitik.
Die Gewichtung der unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereiche besteht in der Regel eben nicht darin, eine Balance herzustellen. Entscheidungen über die Gewichtung müssen individuell getroffen werden und an den unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen der Mitarbeitenden orientiert sein. Deswegen bedarf es vieler Gespräche und vor allen Dingen neben einem WLB-Konzept auch Einzellösungen und Akzeptanz für unterschiedliche Einschätzungen und Bedürfnisse.
Kollegin X benötigt möglicherweise mehr Zeit für die Familie, während Kollegin Y mehr Spielraum braucht, um privaten Interessen nachkommen zu können. Kollege Z dagegen möchte seine Arbeitszeit und seine Urlaubsplanung gerne so geregelt wissen, dass ein drohendes Burn-out vermieden wird.
Work-Life-Balance bedeutet Selbstfürsorge und Kraftquelle
Psychische Erkrankungen und Stress am Arbeitsplatz sind auch in der Kita für Erzieher/innen zur Volkskrankheit geworden. »Als häufigste Erkrankungen zeichnen sich Muskel-Skelett-Erkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, neurologische Erkrankungen sowie psychische Beeinträchtigungen ab. Besondere Beanspruchungen sind vor allem unzureichende strukturelle Rahmenbedingungen, wie eine schlechte finanzielle und räumliche Ausstattung, schlechte ergonomische Arbeitsbedingungen, chronischer Zeitdruck, ständig steigende Arbeitsanforderungen, Belastung durch Lärm, zu geringe Bezahlung, geringe Aufstiegsmöglichkeiten, geringe gesellschaftliche Reputation und körperlich anstrengende Arbeit. Hinzu kommen persönliche Faktoren wie Risikomuster A (= überhöhtes Arbeitsengagement) und Risikomuster B (= Burnout) der arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster sowie eine hohe private Belastung« (vgl. hier).Es wird also höchste Zeit, nach Kraftquellen zu forschen, sie aktiv zu nutzen und Selbstfürsorge zu betreiben. Wer einen Beruf ausübt, der so anspruchsvoll und fordernd ist wie der der Erzieher/des Erziehers, muss Sorge dafür tragen, dass die eigene Gesundheit erhalten bleibt, dass die eigenen Bedürfnisse, Gefühle und Ressourcen im Blick behalten, wahrgenommen und berücksichtigt werden.
Selbstfürsorge bedeutet auch, achtsam und fürsorglich mit sich selbst umzugehen, Grenzen setzen und mit Stress umgehen zu können. Gute und wirksame Arbeit kann nur leisten, wer achtsam mit sich, seinen Bedürfnissen, der Gesundheit und den Ressourcen umgeht und sich an seinem Arbeitsplatz wohl fühlt.
Selbstfürsorge ist kein Egoismus!
Erzieher/innen sind oft physischen und organisationsbedingten Belastungen ausgesetzt, wie z.B. Lärm, gesteigerte Infektionsgefährdung etc. Die Probleme am Arbeitsplatz werden mit nach Hause genommen, ungelöste Konflikte und die Sorge um Kinder belasten Erzieherinnen und Erzieher auch noch in ihrer Freizeit. Nicht selten kommt es auch zu Unstimmigkeiten mit den Eltern und zu disziplinarischen Problemen mit den Kindern. Wenn es dann auch noch an Selbstbestimmungsmöglichkeiten, mangelnder Selbstwirksamkeit und Anerkennung fehlt, wird deutlich, dass der Mangel an Kraftquellen die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt.Basis für Kraftquellen ist die Selbstfürsorge. Selbstfürsorge bedeutet, achtsam mit den eigenen Bedürfnissen, Kräften und Gefühlen umzugehen und sich erlauben, für sich selbst Sorge zu tragen: Ich bin wichtig, ich habe das Recht, auf meine eigenen Bedürfnisse zu achten und meine Interessen nicht immer hintenanzustellen.
Ich weiß, diese Haltung liegt nicht unbedingt in der DNA von Pädagoginnen und Pädagogen. Dennoch ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Menschen nur dann gute Arbeit leisten können, wenn sie sich wohl fühlen, wenn ihr Privatleben nicht unter der Arbeit leidet, wenn die beruflichen Fähigkeiten anerkannt und wertgeschätzt werden.
Maßnahmen zur Verbesserung der WLB durch Leitungskräfte
Es gibt viele Möglichkeiten, die WLB der Mitarbeiter/innen zu verbessern. Ziel des »Unternehmens« Kita muss es sein, ein hohes Maß an Zufriedenheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen herzustellen. Höchste Priorität haben dabei für mich Mitbestimmung und Eigenverantwortung sowie ein gesundheitsorientierter Arbeitsplatz (ergonomisches Mobiliar, Einhaltung von Gesundheitsschutzmaßnahmen wie Lärmschutz etc.).
Mitarbeiter/innen müssen über ihren Arbeitseinsatz, ihre Jahresarbeitszeiterfassung und über Dienst- und Urlaubsplangestaltung mitbestimmen können. Sie müssen erleben, dass in der Kita eine Kultur der Chancengleichheit gelebt wird, die Arbeitsorganisation arbeitnehmer/innenfreundlich gestaltet wird, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit Priorität hat und offene Kommunikation aller Belange einen hohen Stellenwert erfährt.
Aufgabe der Leitungskraft sollte es auch sein, in Zusammenarbeit mit dem Team Krisen vorauszusehen und Konzepte zur Krisenbewältigung zu entwickeln, damit eine Krise nicht zur Lähmung führt. Das zeigt die Covid-19-Pandemie, die viele Leitungskräfte und Teammitglieder vor vermeintlich unlösbare Probleme gestellt und manche Einrichtungen in einen Schockzustand versetzt hat. Wer Partizipation der Kinder in sein Konzept geschrieben hat, muss auch die Partizipation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nehmen.Eine gute Leitungskraft muss aber nicht jede Maßnahme selbst umsetzen. Eine Projekt- oder Lenkungsgruppe ist bestens geeignet, ein WLB-Konzept zu entwickeln und für dessen Umsetzung zu sorgen.
Selbstfürsorge der Leitungskraft
Die Selbstfürsorge der Leitungskraft kann ein wichtiger Motivator für das Team sein. Eine Leitungskraft, die z.B. nachts um 12 Uhr Mails an ihre Mitarbeiter/innen schickt, sendet die Botschaft aus: Seht her, während ihr gemütlich zuhause sitzt oder schon schlaft, arbeite ich noch fleißig. Das verursacht u.U. ein schlechtes Gewissen.Mitarbeiter/innen können besser für sich selbst sorgen, wenn die Leitungskraft deutlich macht: Ich habe ein Privatleben, das mir wichtig ist, ich sorge für meine Gesundheit und die Einhaltung privater Verpflichtungen schädigt das Unternehmen nicht, sondern gibt mir Kraft. Als Führungskraft leben Sie vor, wie sich Beruf und Privatleben vereinbaren lassen. Ihre Impulse sind in hohem Maße bedeutsam. Denken Sie daran: Führungsverantwortung lässt sich teilen und/oder delegieren. Projektteams können für eine intelligente Verteilung der Aufgaben Sorge tragen.
WLB-Maßnahmen ergreifen lohnt sich, denn sie
- steigern die Arbeitsmotivation, das Wohlbefinden der Mitarbeiter/innen und ihre Produktivität,
- verbessern das Arbeitsklima,
- stärken die Identifikation mit der Einrichtung und sorgen ggf. für eine stärkere Bindung und verhindern Fluktuation,
- stärken das Ansehen der Einrichtung,
- tragen zur Verringerung von Fehlzeiten bei,
- wirken sich langfristig als präventive gesundheitsfördernde Maßnahme aus.
Fazit
WLB ist eine personalpolitische Maßnahme mit hohem Erfolgsfaktor, die die Eigenverantwortung und die Selbstfürsorge aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärkt, die Arbeit aller erleichtert, von der Leitungskraft angestoßen und einem Projektteam umgesetzt werden sollte. Eine Einrichtung, die sich Partizipation zum Ziel setzt, muss auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Blick haben.Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa Aktuell ND, 12-2020, S. 288 -289
- Zuletzt bearbeitet am: Mittwoch, 22. März 2023 15:57 by Karsten Herrmann