Auf der Suche nach der Haltung

Haltung als Ausdruck pädagogischer Professionalität


Der Begriff Haltung wird gerne und häufig verwendet, jedoch selten genauer gefasst: Haltung sei wichtig, die Haltung mache es (aus). Ist es nur ein Allerweltsbegriff? Weit gefehlt! Ausgehend von einer konkreten Auseinandersetzung mit dem Begriff wird hier Haltung als Ausdruck pädagogischer Professionalität gesehen und diskutiert, inwieweit Haltung im Team durch die Verbindung von Reflexions- und Wissenschaftswissen eine gemeinsame, zielorientierte Arbeit unterstützen kann.

Zum Allerweltsbegriff Haltung

Haltung erscheint zunächst wenig konkret und schwer zu fassen. Der Begriff hat sich insbesondere in den vergangenen Jahren angesichts aktueller Herausforderungen oder bedenklicher Entwicklungen (z. B. Transformation im Zusammenhang mit Digitalisierung, Bedrohungen, Gefährdung der Demokratie usw.) zu einem gerne verwendeten und gesellschaftlich relevanten Begriff gemausert. Er ist facettenreich und gerade deshalb ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und zu diskutieren, was mit Blick auf pädagogische Berufe und Handlungsfelder, vor dem Hintergrund einer zunehmenden Akademisierung und eines damit einhergehenden Berufs- bzw. Professionsverständnisses in diesen Feldern, darunter zu verstehen sein könnte (vgl. Mührel 2019, 9 ff.).

Zunächst einmal: Ohne Haltung – ob „gut“ oder „schlecht“ – geht es nicht: „Jegliches Handeln des Menschen basiert auf einer Haltung, in der sich sein Verständnis zur Welt – allgemein und zum konkreten Gegenstand seines Handelns – wie zu sich selbst äußert“ (ebd., 31).

Alltagssprachlich erfolgt die Verwendung des Begriffs Haltung häufig in Verbindung zu den menschlichen, emotionalen Affekten (z. B. „Haltung bewahren“, im Sinne von sich nicht provozieren lassen in Verbindung mit Zorn oder Wut oder sich nicht gehen lassen i. V. m. Trauer, Schmerz oder auch Freude).

Wie ist deine Einstellung?

Ein weiterer Zugang bezieht sich auf Haltung im Sinne von Einstellung zu einem Thema, zu einem Sachverhalt etc. Wie steht man hierzu, wie ist hier die Haltung?

Zum Begriff der (professionellen) pädagogischen Haltung gibt es zwar kein einheitliches Verständnis, da der Forschungsstand uneindeutig ist (vgl. Schmid 2016, 158). Dem Begriff wird jedoch die „Funktion einer grundlegenden Orientierung zugeschrieben“ (Röbe 2015, 16).

Man kann sich dem Begriff philosophisch-ethisch nähern und (im Rahmen dieses Beitrags) beispielhaft Aristoteles und die Nikomachische Ethik bemühen, in der die Haltung mit „hexis“ und die Handlungsvorsätze mit „hexis prohairetike“ bezeichnet werden („prohairesis“ als überlegtes Streben). Hinzu kommt noch eine intellektuelle Haltung, ein „auf das Handeln bezogenes Vergewissern“ (Mührel 2019, S. 33), welches sich als sittliche Einsicht („phronesis“) „klug am in sich Richtigen des Handelns als eines allgemeinen Guts“ (ebd., S. 33) orientiert. „Phronesis“ wiederum orientiert sich an der „Theoria“ und damit an der Wahrheit und objektiven Werten.

Mit Blick auf professionelle Haltung in pädagogischen Handlungsfeldern und damit in der frühkindlichen Bildung beginnend bedeutet dies, das zweierlei Haltungen übereinstimmen müssen: Die Haltung, die aus der Gewöhnung und Einübung entsteht und die Haltung, die aus der Klugheit und der sittlichen Einsicht in das Gute als intellektuelle Haltung entsteht. Es geht somit um „Routinen“ (z. B. verschiedene Methoden des Beobachtens und Dokumentierens) einerseits sowie um „intellektuelle Haltung“ (z. B. kritische Reflexion des Handelns als Abgleich von Theorien und Wissenschaftswissen) andererseits, die (gutes) professionelles Handeln ausmachen.

Im beruflichen Kontext werden professionelle Haltung und professionelles Handeln zu Recht erwartet – und damit mit einer guten Qualität der Arbeit und der Prozesse in Verbindung gebracht (vgl. Rabe-Kleberg 2020, 27).

Selbstreflexion und die „eigene Haltung“

Selbstreflexion ist für die Herausbildung und Weiterentwicklung einer eigenen Haltung wichtig. Folgende Gegenüberstellungen (Beispiele) fördern im Falle der Positivbeispiele die Ausbildung einer pädagogischen Haltung und deren Weiterentwicklung (vgl. Tschöpe-Scheffler 2014, 29 ff.):
  • Haltung des „Nichtwissens“ (statt einer Haltung des Wissenden)
  • Interesse am Unbekannten und Fremden (statt pädagogisch-didaktischer Absicherungen)
  • Subjektorientierung (statt generalisierbarer und instrumentalisierbarer Methoden und Konzepte)
  • selbstgesteuertes, entdeckendes und erfahrungsorientiertes Lernen (statt Belehrungen und „Belagerungen“)
  • Selbstreflexion und Selbsterziehung (statt Fremderziehung)
  • dialogische Begegnung (statt eines hierarchisches Rollenverständnisses)
  • Akzeptanz von Vielfalt (statt Eindeutigkeiten)
  • Innehalten und „in der Schwebe halten“ (statt eines pädagogischen Aktionismus)
  • Fehlerfreundlichkeit (statt Perfektionismus)
  • Prozessorientierung (statt Output-Orientierung)

Beim Üben dieser (und weiterer) Punkte wird eine eigene Haltung zu einer „entwicklungsfördernden professionellen Haltung“.

Gemeinsame Haltung – gemeinsame Zielerreichung?

So geht es beispielsweise bei der Arbeit eines Kita-Teams auch insbesondere darum, gemeinsame Ziele zu entwickeln, gemeinsame Visionen zu verfolgen und in diesem Kontext eine bzw. mehrere professionelle Haltungen zu beweisen (vgl. Rabe-Kleberg 2020, S. 26).

Wie eine professionelle Haltung entstehen kann, soll die folgende Abbildung illustrieren, welche die Zusammenhänge zwischen der Haltung, den Wissensformen und -beständen sowie der Zielorientierung verdeutlicht.

Durch das Zusammenspiel von Übung bzw. Routine und Klugheit entsteht Haltung. Hier ist die Verbindung von „hexis prohairetike“, „prohairesis“ sowie „phronesis“ zu finden. Auch kann eine Zuordnung zu Wissensformen stattfinden (vgl. im Folgenden Mührel 2019, 47 ff.). Reflexionswissen und Wissenschaftswissen spielen zusammen, ergänzen und bedingen sich gegenseitig. Reflexionswissen baut sich z. B. durch Dialog und Diskursivität, Praxis- und Selbstreflexion sowie Werte und Werteorientierung auf. Wissenschaftswissen entsteht insbesondere durch die Erkenntnisse relevanter (Wissenschafts-)Disziplinen. So wächst professionelle Haltung im Team. Dabei sind die Haltungen der Teammitglieder selbstverständlich nie identisch. Damit jedoch nicht viele „individuelle“ Haltungen lediglich nebeneinanderstehen, sondern möglichst große Überschneidungen und Entsprechungen aufweisen, muss die (Team-)Haltung entwickelt werden. Sie bildet die Vorstellung über die gemeinsame Arbeit ab und dient letztlich auch dem Erreichen gemeinsamer Ziele oder der Verfolgung gemeinsamer Vorstellungen und Visionen, z. B. von Inklusion (vgl. Anderegg/Sauter 2020, 11). Entscheidend dabei ist letztlich, dass es nicht nur bei der Haltung bleibt, sondern dass daraus konkrete Handlungen aller erwachsen, die im besten Fall die konkrete Verbindung zu Zielen oder (Ziel-)Vorstellungen aufweisen.

Haltung und Haltungsgeflecht

Eine gemeinsame (Team-)Haltung ist somit Ausdruck pädagogischer Professionalität. Diese wird – wie bereits erwähnt – zu Recht erwartet.
Da Personen (z. B. gegenüber verschiedenen Themen) mehrere Haltungen einnehmen können und auch eine (mehr oder weniger homogene) Team-Haltung letztlich aus vielen Haltungen besteht, hilft das Bild des „Haltungsgeflechts“ (vgl. zum Folgenden Röbe 2015, S. 29 ff.), das die pädagogische Grundhaltung illustrieren soll. Die „Einzelhaltungen“ und wie diese jeweils „bearbeitet“ werden, gehen somit in einer „pädagogischen Grundhaltung“ insgesamt auf. Diese ist konstitutiv für die jeweiligen „Haltungsfragen“.

Fazit

Haltung ist weitaus mehr als ein vager „Allerweltsbegriff“. Haltung als Ausdruck pädagogischer Professionalität kann inhaltlich konkret gefüllt werden. Dabei geht es nicht zuletzt darum, Reflexionswissen und Wissenschaftswissen innerhalb einer (gemeinsamen) Haltung zu Handlungswissen zu verbinden, anzuwenden und somit in konkreten Aktionen umzusetzen. Dies alles geschieht im Rahmen eines „Haltungsgeflechts“, einer für alle (individuellen) Haltungsfragen konstitutiven pädagogischen Grundhaltung.

Es lohnt sich, auf eine gemeinsame Team-Haltung hinzuarbeiten, sie immer wieder zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Wichtige Prinzipien sind hier der Dialog und die Diskursivität. Stabilität einerseits und Fortschritt andererseits bleiben so gleichermaßen gewahrt. Ziele dürften sich besser realisieren und Visionen leichter verfolgen lassen.

Literatur

Anderegg, Niels; Sauter, Rita: Vom «Ich-Will» zum «Wir-Können». Warum die Haltung der Schulleitung wesentlich ist. In: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 2/2020. SZH 2020

Mührel, Eric: Verstehen und achten. Professionelle Haltung als Grundlegung Sozialer Arbeit. 4., überarbeitete Auflage. Beltz Juventa 2019

Rabe-Kleberg, Ursula: Handeln und Haltung. Oder: Brauchen pädagogische Fachkräfte in Kindergärten einen ethischen Kodex? In: Reichmann, Elke et al. (Hrsg.): Professionalität in der Kindheitspädagogik. Aktuelle Diskurse und professionelle Entwicklungsperspektiven. Barbara Budrich 2020

Röbe, Edeltraut (2015): Auf die Haltung kommt es an. In: Rauterberg, Marcus (Hrsg.): Resonanzen – im Elementar- und Primarbereich Hans-Joachim Fischer zur Pensionierung 2015.
Link: http://www.widerstreit-sachunterricht.de/beihefte/beiheft10/beiheft_10.pdf (Stand 09/20)

Tschöpe-Scheffler, Sigrid: Die Bedeutung der Haltung in der Zusammenarbeit mit Eltern. In: Tschöpe-Scheffler, Sigrid (Hrsg.): Gute Zusammenarbeit mit Eltern in Kitas, Familienzentren und Jugendhilfe. Qualitätsfragen, pädagogische Haltung und Umsetzung. Barbara Budrich 2014

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß 11-2020


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