Essen mit Freude

Entspannte Essengestaltung

Das Thema Essen wird in Einrichtungen häufig als herausfordernd und konfliktreich empfunden. Die Rahmenbedingungen in den Kitas sind sehr unterschiedlich und alle haben ein Ziel: Essen soll für alle Beteiligten eine angenehme Alltagssituation sein, in der sich alle wohlfühlen. Wie die Gestaltung von Mahlzeiten mit Freude und ohne Druck gelingen kann, wird im Folgenden beschrieben.

Nach dem Händewaschen kommen die Kinder nach und nach im Kinderrestaurant an. In Kleingruppen finden sie sich an den Tischen ein. Liebevoll hat heute die 3-jährige Marta mit der pädagogischen Fachkraft Lisa eingedeckt. Das Besteck liegt über dem Teller, damit auch jedes Kind, frei entscheiden kann, ob es dieses mit der rechten oder linken Hand nehmen möchte. In der Mitte des Tisches steht in kleinen Schüsseln serviert das Essen. Heute gibt es Reis und Hähnchen und dazu etwas Gemüse. Das Wasser steht in kleinen Kännchen bereit, sodass sich jedes Kind selbst in die kleinen Gläser einschenken kann. Greta findet, es duftet wundervoll. Tim blickt eher skeptisch, denn er mag eigentlich nur die Dinge, die seine Mutter kocht. Heute war er bei der Gemüsezubereitung dabei und möchte auf jeden Fall mal probieren. Luise ruft fröhlich: „Guck mal Lisa, heute gibt es dein Lieblingsessen!“ Langsam tun sich die Kinder ihr Essen auf die Teller, Lisa begleitet, wenn gewünscht. Sie sagen sich einen guten Appetit und beginnen etwas zeitversetzt mit dem Essen. Gewartet wurde heute schon genug, nun darf der Hunger genüsslich gestillt werden.

Die Essenssituation ist von Kita zu Kita sehr individuell geregelt. Während einige Kitas selbst kochen und die Kinder am Speiseplan, Einkauf und an der Zubereitung beteiligt werden, werden andere Einrichtungen vom Caterer beliefert. Einige Kindergruppen verfügen über ein Kinderrestaurant, andere essen im Gruppenraum. So verschieden die Bedingungen auch sind, alle Einrichtungen sollen die gleiche Herausforderung bestmöglich erfüllen: Die Aufnahme von Essen und Trinken soll als eine angenehme und gesundheitsfördernde Alltagssituation verstanden werden, in der die Kinder selbstbestimmt handeln und bedürfnisorientiert begleitet werden (vgl. Preissing/Schneider 2009, 40).

Damit diese Zeit für alle beteiligten Personen als angenehm empfunden werden kann, gilt es, wichtige Dinge, wie die Haltung der Fachkräfte, den Einfluss des sozialen Lernens, die eigenen Glaubenssätze und die Zusammenarbeit mit den Eltern in den Blick zu nehmen.

Die Haltung der Fachkräfte

In der beschriebenen Kita war es lange Zeit an der Tagesordnung, dass alle Kinder probieren müssen und beispielsweise immer gemeinsam mit dem Essen begonnen wird. Auch das Essen mit den Händen war lange Zeit tabu. Als die Fachkraft Lisa in die Einrichtung kam, motivierte sie die Kolleg*innen, sich an einem Teamtag mit dem Thema neu auseinanderzusetzen. Motiviert machten sie sich an die Arbeit und seither befinden sie sich in einem wichtigen und stetigen Entwicklungsprozess. Sie haben damit begonnen, alte Glaubenssätze zu hinterfragen und ihre Vision zu verschriftlichen.

Für alle stand fest: Sie möchten, dass jedes Kind mit Freude und Begeisterung die Essenszeit genießen kann. Auf einem Poster notierten sie Sätze, wie:
  • Essen ist freiwillig und ein Genuss.
  • Jedes Kind entscheidet, was es essen möchte und wie viel.
  • Kinder werden an der Auswahl und Zubereitung des Essens beteiligt.
  • Die Erwachsenen sind Vorbilder und leben eine positive Esskultur vor.
  • Nein heißt Nein und wird respektiert.
  • Wir achten auf eine bewusste Sprache und dürfen gemeinsam lernen.
In dem Teamtag tauchten viele Fragen und auch Sorgen auf, denen das Kita-Team nachging. Gabi vermutete, dass einige Kinder nur noch Brot und Nudeln essen würden und die Essenssituation außer Rand und Band laufen würde. Sorgen, die es ernst zu nehmen gilt und sowohl selbstreflexiv wie auch entwicklungspsychologisch betrachtet werden sollten.

Der Wissenschaftler und Kinderarzt Herbert Renz-Polster schreibt, wenn Kinder sich wohl und sicher fühlen, so sind sie grundsätzlich am Essen interessiert und bereit, Neues auszuprobieren. Grundsätzlich kann man sagen, dass Kinder ihre Nahrung nach der Sicherheit beurteilen und Saures und Bitteres daher kritisch bewerten. Sie bevorzugen süße, eiweißhaltige und fettreiche Nahrung, da sie als energiereiche und problemfreie Nahrung gilt. Werden sie nun zum Probieren gezwungen, so setzt möglicherweise der Garcia-Effekt ein. Dieser besagt, dass Lebensmittel, die beim Menschen zu Übelkeit und Erbrechen führen, grundsätzlich abgelehnt werden. Dafür ist bereits ein Erlebnis ausreichend und insbesondere Kinder meiden diese Lebensmittel dann ein Leben lang (vgl. Renz-Polster 2013, 21 ff.). Daher ist es so wichtig, dass Kinder sich sicher fühlen und mit eigenem Interesse probieren, wenn sie sich dazu bereit fühlen. Zudem gibt es Kinder, die grundsätzlich misstrauisch gegenüber Neuem sind. Mit ungefähr eineinhalb Jahren steigert sich dieses Misstrauen, während sie sich mit acht bis zwölf Jahren, mit zunehmender Reifung der Organe, wieder für Abgelehntes öffnen (vgl. ebd., 23).

Die Fachkraft Gabi war überaus überrascht über diese Erkenntnisse und dankbar, denn dadurch möchte sie zukünftig die Kinder achtsamer begleiten. Sie selbst mag keinen Rosenkohl, da sie diesen in der Kita früher essen musste, und sie erinnert sich schmerzlich an die Erfahrung. Ihre Kollegin Lisa schlug vor, dass die Kinder sich nur das Essen auf die Teller tun, was sie selbst wünschen. Denn auch der alleinige Anblick von nicht gewünschtem Essen auf dem eigenen Teller löst bei einigen Kindern schon Unbehagen oder Ekel aus. Sie möchte dafür kleine Probierteller bereitstellen, da sie hörte, dass diese Tellerchen in der Partnerkita wohlwollend von den Kindern angenommen wurden und das Probieren erleichtern.

Du entscheidest …

Fachkräfte können die Entwicklung der Kinder positiv beeinflussen, denn es geht beim Essen um mehr als nur darum, satt zu werden. Sowohl gute Vorbilder wie auch die Gewöhnung tragen maßgeblich zur Erweiterung des Speiseplans bei. Gewöhnen können Kinder sich, wenn ihnen bestimmte Nahrungsmittel öfter angeboten werden. Anbieten bedeutet nicht, Kinder zu überreden, zu füttern oder gar zu zwingen.Auch eine Bestechung mit dem Nachtisch oder eine Verhandlung ist kontraproduktiv.

An dieser Stelle fragt sich die Fachkraft Gabi, wie sie zukünftig damit umgehen soll, damit die Kinder am Endenicht nur den Nachtisch essen, ohne überhaupt die Suppe probiert zu haben. Auch hier hat Lisa eine Idee. Sie findet es wichtig, dass Kinder eine bestimmte Auswahl vorfinden. Schmeckt ihnen die Suppe nicht oder trauen sie sich nicht, diese zu probieren, so sollten sie noch weitere Nahrungsmittel vorfinden, die sie dann ohne Einschränkungen essen dürfen, wie beispielsweise Brot und Obst. Den Nachtisch würde sie vom Mittagsplan abkapseln und nach der Ausruhzeit zum Nachmittagssnack anbieten. Nach einer längeren Diskussion im Team sind alle bereit, diese Veränderungen auszuprobieren.

Mmmmmhhh

Zudem ist es wichtig, dass Kinder selbst entscheiden können, wie und in welcher Form sie sich den Nahrungsmitteln nähern. Kleinere Kinder essen mit allen Sinnen und ertasten meist, bevor sie probieren und das ist okay. Auch hier fällt es einigen Fachkräften schwer und sie bewerten das Essverhalten als Matscherei. Häufig ist es aber vielmehr ein Erkunden.

Zum gesunden Essverhalten können Kinder motiviert werden, in dem sie, wie bereits geschildert, am Einkauf und der Zubereitung beteiligt werden. Meist sind sie dann viel interessierter und aufgeschlossener den neuen Nahrungsmitteln gegenüber (vgl. AOK Nordost/Bertelsmann Stiftung/Vernetzungsstelle Schulverpflegung Berlin e.V. 2012, 19).

Fest steht, die Essenssituation darf nicht durch Druck, Hektik oder Zwang bestimmt werden. Die Fachkräfte sollten auf die Bedürfnisse der Kinder vertrauen und das Essverhalten beobachten. Ein Kind kann lernen, auf sein Bedürfnis nach Hunger und Durst zu hören, wenn es sich frei und sicher fühlt. Es muss erfahren, dass es darauf vertrauen kann und ihm bei der Erfüllung zur Seite gestanden wird. Lehnt es ein Nahrungsmittel ab, ist dies seitens der Erwachsenen zu akzeptieren.

Eigene Glaubenssätze hinterfragen

Im weiteren Verlauf sammelte das Kita-Team noch alte Glaubenssätze und diskutierte diese. Dabei stießen sie auf Sätze, wie: „Mit Essen spielt man nicht“, „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“, „Mit den Fingern isst man nicht“, „Andere Kinder müssen hungern“, „Nahrung tröstet“, „Wenn du nicht aufisst, scheint morgen nicht die Sonne“. Diese Sätze sind meist so tief aus der eigenen Kindheit in den Fachkräften verwurzelt und sie werden unreflektiert einfach weitergegeben.
Leider richten sie bei Kindern großen Schaden an. Krüger und Thiel sprechen von Stolpersteinen, die es in Edelsteine zu verwandeln gilt. Hören Kinder öfter „Probier doch mal“ erzeugt dies bei ihnen Stress, was das Essen mit Freude unmöglich macht. Auch wir Erwachsenen mögen nicht alles und probieren vielleicht keine Heuschrecken, obwohl sie in anderen Kulturen völlig normal sind. So können Sie sich im Team fragen:
  • Probieren Sie heute alles?
  • Wie gehe ich mit neuen Lebensmitteln um?
  • Mussten Sie als Kind alles probieren?
  • Wie geht es Ihnen heute damit? (vgl. Krüger; Thiel 2020)

Transparenz schaffen

Eine sehr gewöhnliche Frage, mit der Fachkräfte in der Abholsituation seitens der Eltern konfrontiert werden, ist: „Wie hat mein Kind gegessen und geschlafen?“ Diese Frage erzeugt schnell Druck, und es scheint, als würden Eltern erwarten, dass die Fachkräfte einen „guten Job“ machen würden, wenn das Kind satt und ausgeschlafen ist. Es ist wichtig, dass die Eltern transparente Einblicke in die Kita-Konzeption erhalten und in Elterngesprächen, Elternabenden und Infobriefen genau erfahren, wie die Fachkräfte arbeiten. Es geht darum, Eltern die pädagogische Haltung zu vermitteln und die Eltern in die Prozesse zu integrieren. Letztlich haben alle ein Ziel, Kinder sollen gesund und glücklich aufwachsen. In diesem Sinne sollte partnerschaftlich zusammengearbeitet werden und ein gemeinsamer kommunikativer Austausch selbstverständlich sein.

Fazit

Im trubeligen Kita-Alltag ist es nicht immer leicht, diese traumhaften Bedingungen wie im obigen Beispiel herzustellen. Insbesondere zur Mittagszeit sind die Fachkräfte und Kinder bereits erschöpft und der Geduldsfaden ist oft dünner. Doch auch unter ungünstigen Bedingungen kann die Essenssituation zu einer wertvollen Zeit werden. Auch ohne selbst zubereitetes Essen können Fachkräfte die Essenszeit beispielsweise im Gruppenraum als angenehme Erfahrung gestalten. Es geht darum, ein wertschätzendes und vertrauensvolles Klima zu schaffen.

Ein jeder Mensch sollte dabei mit all seinen Bedürfnissen Raum finden und individuell gesehen werden. Während Tim noch bevorzugt im Stehen isst und Kami mit den Händen, ist Carlos bereits vor dem Mittag ins Bett gehuscht und nimmt sein Essen ausgeschlafen zu sich. Die Fachkraft Sabine hat heute Kopfweh und bitten ihren Kollegen Tim, die Essenbegleitung zu übernehmen, sodass sie die Kinder heute in der Ausruhzeit begleitet. Durch die Akzeptanz eines jeden Einzelnen und einen wertfreien Umgang mit den Vorlieben, Grenzen, Bedürfnissen und Abneigungen eines jeden, kann die Fachkraft zu einem Klima beitragen, in dem sich ein jedes Kind frei und wohlfühlt. Damit die Kinder zwischen ihrem Zuhause und der pädagogischen Einrichtung keine großen Widersprüche erleben, ist ein reger Austausch zwischen der Kita und den Eltern notwendig.

Das Wohl der Kinder steht dabei im Mittelpunkt, und sie sollen erfahren, dass ihre Bedürfnisse von allen Beteiligten ernst genommen werden. Die Erwachsenen können die Kinder begleiten und ihnen gesunde Nahrung anbieten, ihnen ein Vorbild sein und sie sacht an das Essen gewöhnen lassen. Die Entscheidung, ob und was sie essen, liegt hingegen immer bei den Kindern. Essen sollte immer freiwillig und in einer positiven Atmosphäre stattfinden und darf nie Zwängen ausgesetzt sein.

Literatur

  • AOK Nordost/Bertelsmann Stiftung/Vernetzungsstelle Schulverpflegung Berlin e.V.: Essen und Trinken in einer gesunden Kita. Ein Leitfaden zur Qualitätsentwicklung.
  • Kitas bewegen für die gesunde Kita. 2012 Link: (Stand 02/2021)
  • Hohmann, Kathrin: Gemeinsam durch die Wut. Wie ein achtsamer Umgang mit kindlichen Aggressionen die Beziehung stärkt. Edition Claus Verlag 2021
  • Hohmann, Kathrin: Kinder achtsam und bedürfnisorientiert begleiten. Herder Verlag 2021
  • Krüger, Katrin/Thiel, Monika: Stolpersteine in Edelsteine wandeln. Essen mit Freude. Impulskarten. Krüger & Thiel Institut 2020
  • Preissing, Christa et al.: Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Kita-Konzeption. Berliner Bildungsprogramm für Kinder in Tageseinrichtungen. Bildung für Berlin. 2009
  • Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen. Born to be wild. Wie die Evolution unsere Kinder prägt. Kösel 2013

Übenahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein & groß 5-2021, S. 6-10


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