Alexe Hegemann (1877-1926)

hegemann1(Alexe Hegemann; Quelle: Ida-Seele-Archiv)Am 31. Mai 1996 wurde in einem Festakt die katholische „Fach- und Fachoberschule für Sozialpädagogik“ in Recklinghausen in „Alexandrine-Hegemann-Schule. Bischöfliche Berufsbildende Schule“  umbenannt. Und seit 1997 finden in Beelen (Kreis Warendorf/Münsterland) „Kinder von vier Monaten bis sechs Jahren in den Räumen der Alexe Hegemann Kindertageseinrichtung den optimalen Entwicklungsspielraum“. Mit den beiden Namensgebungen wurde eine Pädagogin geehrt, die früh verstarb, trotzdem aber nachhaltige Spuren hinterlassen hat, insbesondere im Bereich der Erholungsfürsorge, der Kindergartenpädagogik sowie der Ausbildung von sozialpädagogischen Fachkräften.

Leben und Wirken

Alexandrine, von frühester Kindheit an Alexe genannt, wurde am 17. November 1877 als viertes von fünf Kindern des Fabrikanten Theobald Hegemann (1842-1897) und dessen Ehefrau Helene, geb. Fils (1844-1893), in Münster geboren. Nach Privatunterricht absolvierte sie in ihrer Geburtsstadt die Höhere Mädchenschule, besuchte anschließend für ein Jahr ein vornehmes Mädchenpensionat in der französisch sprechenden Schweiz, gefolgt von einem Aufenthalt in England. Danach kehrte sie wieder ins Elternhaus zurück, um ihren verwitweten Vater zu unterstützen. Im Alter von 29 Jahren ließ sie sich in Münster i. W. zur Lehrerin ausbilden. Das dementsprechende Examen legte sie in Kassel ab. Nur kurz übte Alexe Hegemann den Lehrerinnenberuf aus, da sie sich weniger dazu berufen fühlte, „das Kind in der Schule zu unterrichten, als dem Kind, wo immer es dessen bedurfte, außerhalb der Schule Mutter zu Hegemann2Werbung der Ausbildungsstätte; Quelle: Ida-Seele-Archivsein“ (Kiene 1926, S. 39). Da sie schon 35 Jahre alt und ausgebildete Lehrerin war, konnte sie mit einer Sondergenehmigung am renommierten Berliner „Pestalozzi-Fröbel-Haus“ eine auf sechs Monate verkürzte Ausbildung zur Kindergärtnerin abschließen. Ostern 1913 legte sie erfolgreich das Kindergärtnerinnen-Examen ab. Anschließend arbeitete Alexe Hegemann als Lehrerin an den Frauenschulen in Saarbrücken und Bad Kreuznach sowie als Kindergartenleiterin eines Fröbelschen Kindergartens in Freiburg/Brsg. Als in letztgenannter Stadt im Oktober 1914 das katholische Kindergärtnerinnen-Seminar mit vier Schülerinnen und drei Hörerinnen seinen Betrieb aufnahm, zeichnete Alexe Hegemann, die der Auffassung war, dass nur „fachlich ausgebildetes Personal“ (Burger 1998, S. 151) den Aufgaben der Kleinkinderfürsorge gerecht werden könne, als dessen Leiterin verantwortlich (ebd., S. 159 ff.; Reyer/Franke-Meyer 2021, S. 38 f). Unter ihrer Federführung erhielt die Bildungsstätte, auch bedingt durch ihre „geistige Höhe“ (Kiene 1926, S. 39), die bis dahin in der Republik Baden „für solche Schulen nicht bestehende staatliche Anerkennung“ (ebd., S. 40). Im Frühjahr 1915 wurde dem Seminar noch ein „Einjähriger Lehrgang für Fröbelsche Kindergärtnerinnen“ angegliedert. Aus gesundheitlichen Gründen legte sie im Mai 1919 die Leitung des Kindergärtnerinnen-Seminars nieder.

hegemann3Erstes Heft von „Kinderheim“; Quelle: Ida-Seele-Archiv Im Jahr 1916 wurde Alexe Hegemann zur Vorsitzenden des „Zentralverbands katholischer Kleinkinderanstalten Deutschlands“ berufen. Zusammen mit der „bayerischen Kleinkindertante“ Johanna Huber (1869-1935) rief sie, gegen den Willen der Geistlichkeit, im Jahr 1918 die Fachzeitschrift „Kinderheim. Zeitschrift für Kleinkindererziehung und Hortwesen“ ins Leben, die noch heute als „Welt des Kindes“ existiert. Zudem war sie noch Mitherausgeberin der sozialpädagogischen Fachzeitschrift „Jugendwohl. Zeitschrift für katholische Kinder- und Jugendfürsorge“ (gegr. 1920, 1999 eingestellt).



In Verbindung mit Prälat Lorenz Werthmann (1858-1921), der 1897 den Deutschen Caritasverband ins Leben rief, gründete sie an der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes das „Referat Kinderfürsorge“. In dieser Funktion legte sie den Grundstein für Erholungsmaßnahmen, die von Pfarreien, Ortscaritasverbänden und Caritaseinrichtungen organisiert wurden. Sie war bspw. maßgebend am Aufbau einer mustergültigen Erholungsfürsorge auf dem Heuberg in der Schwäbischen Alb beteiligt (Baum 1950, S. 238). Die Referatsleiterin betonte stets, dass der Erfolg einer Erholungsmaßnahme eng mit „dem seelischen Wohlbefinden“ der Kinder während ihres Aufenthaltes zusammenhängt. „Es gilt also für den Führer im Erholungsheim“, schreibt Alexe Hegemann, „sich nicht nur mit seiner pflegerischen, sondern auch mit seiner pädagogischen Aufgabe auseinanderzusetzen und beide miteinander in Einklang zu bringen“ (Hegemann 1924, S. 28).

Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin und späteren Nachfolgerin als Leiterin des „Referats Kinderfürsorge“, Maria Kiene (1889-1979), sowie weiteren 15 Jugendleiterinnen gründete Alexe Hegemann 1923 die „Arbeitsgemeinschaft katholischer Jugendleiterinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen“.

hegemann4 copyTodesanzeige; Quelle: Ida-Seele-ArchivDie Pädagogin wurde 1924 für ihre Verdienste für die katholische Kirche mit dem Päpstlichen Ehrenkreuz „Pro Ecclesia et Pontifice“ ausgezeichnet. Sie starb am 2. Februar 1926 im Alter von 48 Jahren in Freiburg/Brsg. Marie Baum schrieb in ihren Lebenserinnerungen über die Verstorbene:

„Unermüdlich im ganzen Reich – zur Abhaltung von Kursen, zu Konferenzen u.a. – umherreisend, mutete sie ihrem zarten lungenleidenden Körper große, ihn allzu schnell verzehrende Anstrengungen zu, die denn auch frühe ihren Tod herbeiführten“ (Baum 1950, S. 239).

Der „Deutsche Fröbel-Verband“, dem Alexe Hegemann angehörte, bescheinigte der „feinsinnigen und warmherzigen Führernatur“, dass sie sich „mit besonderer Liebe […] der Reform der Kleinkindererziehung […] widmete“.

Von der Kleinkinder(bewahr)anstalt zum Kindergarten

Alexe Hegemanns besondere Aufmerksamkeit galt „zunächst dem Ausbau der caritativen Einrichtungen der katholischen Kinderfürsorge in Deutschland. Die bisher noch einseitig auf „Bewahren“ eingestellte Kleinkinderanstalt sollte umgewandelt werden in den „Kindergarten, in dem jede einzelne Menschenpflege erfasst werden und unter zielbewusster, aber der Entwicklung angepasster Führung sich fröhlich entfalten konnte“ (Kiene 1926, S. 40). Entschieden kritisierte sie die Verschulung und die lieblose emotionale Atmosphäre der Kleinkinderbewahranstalten:

„Kommen wir aber in die großen Säle der Kinderschulen, so werden wir meistens wohl an eine Schule, aber nicht an eine traute Kinderstube für Vorschulpflichtige erinnert. Die Zahl der Kinder, 50 oder 70, selbst 100 in einem Raum, macht einen familienartigen Betrieb unmöglich [...] Wie in der Schule finden wir vielfach in der Mitte vor den Bänken ein Pult. Ich sah auch schon mal eine Rute auf dem Pulte geschickt angebracht, damit alle Kinder sie sehen konnten [...] Das Hinsetzen und Aufstehen geschieht nach dem Kommando, ebenso das Aufstellen zu Spiel und Gebet, das Hinausgehen in den Hof und zum Abort.“

Sie forderte: „Bei der Herrichtung von Kleinkinderanstalten ist es vor allem notwendig, daß wir uns vollständig freimachen von den Vorstellungen und Richtlinien, die Schule und Schulbetrieb geben. Nicht durch Unterricht und Erlernen vieler Verse oder durch Einstellung in eine Masse fördern wir die Vorschulpflichtigen, sondern indem wir ihnen Gelegenheit geben, ihre mannigfaltige Umgebung recht anzuschauen und zu erleben und auf ungezwungene Weise von ihr Vorstellungen zu gewinnen, sich in sie einzuordnen und die Kinder zweckmäßig zu beschäftigen“.

Um die großen Säle für die Kinder übersichtlicher zu gestalten, schlug sie die Teilung dieser durch Schiebetüren, spanischer Wände, Latten u.a.m. vor. Durch solche Hilfsmittel könne die große Kinderschar geteilt werden, „und die Leiterin ist eher imstande, den einzelnen Kindern zu geben, wessen sie bedürfen“ (Hegemann 1919, S. 81 ff.). Diese Idee wurde nach 1945 von den österreichischen Kindergärtnerinnen Mater Margarete Schörl und Margarete Schmaus aufgegriffen und weiterentwickelt - das sogenannte „Raumteilverfahren“, als eine sozialpädagogische Methode der Spielführung (Berger 2019).

Professionalisierung der katholischen Ordensfrauen

hegemann5Lehrplan; Quelle: Ida-Seele-ArchivAls Vorsitzende des „Zentralverbands katholischer Kleinkinderanstalten Deutschlands“ setzte sich Alexe Hegemann für die Nachschulung der vielen unausgebildeten katholischen „Erziehungsschwestern“ ein. Sie zeichnete für die Herausgabe eines „Lehrplans für Schwesternseminare, in denen katholische Ordensfrauen und Erzieherinnen außerhalb der Schule herangebildet werden“ verantwortlich. Der Lehrplan hatte Vorbildcharakter für alle klösterlichen Ausbildungsstätten im Deutschen Reich.



Alexe Hegemann forderte die Verantwortlichen innerhalb der verschiedenen Frauenorden und Mutterhäuser auf, nicht jede Schwester für den Erziehungsberuf zuzulassen und dementsprechend eine sorgfältige Auswahl zu treffen:

„So sehr die Arbeit am Kinde der weiblichen Eigenart entspricht, ist doch die Veranlagung dafür verschieden unter den Frauen verteilt, und die berufliche Erziehungsarbeit setzt eine mütterliche Begabung bei der Schwester voraus. Es sollte darum von den Mutterhäusern unter den Schwestern sorgfältig ausgewählt werden. Es kann gar keinen verantwortungsvolleren Beruf geben, der so sehr zugleich Seelsorgearbeit ist und somit der höchsten Aufgabe am nächsten kommt [...] Auch die am Kleinkinde ist Seelsorgearbeit, ja diese erst recht, da sie die Lenkung der jungen Seele in ihrer frühesten Entfaltung in der Hand hat, die ersten Beziehungen des Kindes zum Schöpfer weckt und leitet. Die Verantwortung dafür trägt die Mutter und deren Stellvertreterin. Das ist kein mechanisches Hüten und Bewahren, sondern ernste Arbeit des Geistes und des Herzens“ (Hegemann 1921, S. 7). Doch das „Herz“ allein genügt nicht für die Arbeit am Kleinkinde, sie bedarf auch einer „pädagogischen Durchdringung“, einer „geistig, geläuterten Mütterlichkeit“ (ebd., S. 6):

„Beim Tiere geht der Instinkt nicht irre, aber bei dem mit Geist und freiem Willen ausgerüsteten Menschen muß der Instinkt vom Geist geführt werden und von dem aus sittlichen Grundsätzen heraus handelnden Willen beherrscht werden“ (ebd., S. 6 f).

Der von Alexe Hegemann ausgearbeitete „Lehrplan für Schwesternseminare“ beinhaltete drei Lehrgänge, je nach Vor- und Allgemeinbildung der Ordensfrauen:

„Lehrgang I (11/2 jährig) für Kinderpflegerinnen, der zur Aufnahme den erfolgreichen Besuch der Volksschule voraussetzt und die Schwestern ohne besondere Vorbildung so aufnimmt, wie das Mutterhaus sie schickt […]
Lehrgang II (11/2 jährig, nach Bedarf zweijährig) für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen entsprechend den Bedingungen, die vom Staate gestellt werden […]
Lehrgang III (11/2 jährig), mehrgliedriger Fortbildungslehrgang, der den Bildungsgang II stillschweigend voraussetzt, aber als Aufnahmebedingung nur eine etwa sechs- bis zehnjährige praktische Tätigkeit verlangt“ (ebd., S. 8).

Der theoretische Unterricht in allen drei Lehrgängen hatte die Ordensfrauen in die „Erziehungskunde und Fürsorge am Menschen, insbesondere am Kinde (einzuführen; M. B.) […] Dabei wird aller Unterricht die wissenschaftlichen Errungenschaften auf dem Gebiete der Kinderpsychologie, Pädagogik und Hygiene nicht unberücksichtigt lassen […] Mit der kindlichen Natur, deren körperlicher und seelischer Entfaltung muß darum der Unterricht vertraut machen und zugleich Selbsterkenntnis und Menschenkenntnis anbahnen […] Das letzte Ziel allen Unterrichts kann aber auch in dem Schwesternseminar trotz der aszetischen Schulung im Mutterhaus nur die Bildung der Erzieher-Persönlichkeit sein […] (Denn die Persönlichkeit der Erziehungsschwester; M. B.) schafft die Atmosphäre der Anstalt, in der die Kinder täglich atmen und sich entwickeln zum Hohen oder Minderwertigen, je nachdem der Geist ist, den die Leiterin ihr aufdrückt und mit dem sie die Dinge und die Arbeit beseelt“ (ebd., S. 10).


Literatur


  • Baum, M.: Rückblick auf mein Leben, Heidelberg 1950
  • Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995
  • Berger, M.: Alexe Hegemann - Ein Leben für die katholische Kinderfürsorgearbeit, in: Deutscher Caritasverband (Hrsg.): caritas '95. Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes, Freiburg 1994, S. 430-435
  • Berger, M.: Ein Leben für die Jugendfürsorge. Alexe Hegemann (1877-1926), in: Caritaskalender 1996, Freiburg 1995, S. 13
  • Berger, M.: Alexe Hegemann (1877-1926): Für eine Reform der Bewahranstalt, in: Welt des Kindes 1997/H. 3, S. 39-42
  • Berger, M.: Hegemann, Alexandrine, in: Maier, H. (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1998, S. 234-235
  • Berger, M.: Hegemann, Alexandrine (Alexe), in: Bautz, Traugott (Hrsg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Band XXI, Nordhausen 2003, Sp. 619-629
  • Berger, M.: Schörlpädagogik. Einführung in ein klassisches Kindergartenkonzept, Göttingen 2019
  • Burger, K.: „Denen von milder Gunst des Schicksals kein wohlgeordnetes Familienleben vergönnt war“. Kleinkinderbewahranstalten und Kindergärten in Freiburg 1848-1945, Freiburg/Brsg. 1998
  • Hegemann, A.: Kleinkinder - große Säle?, in: Kinderheim 1919/H. 3, S. 77-85
  • Hegemann, A.: Lehrplan für Schwesternseminare in denen katholische Ordensfrauen zu Erzieherinnen außerhalb der Schule herangebildet werden, Freiburg/Brsg. 1921
  • Hegemann, A.: Pädagogische Winke für die Tätigkeit im Kindererholungsheim, in: Kindergarten 1924/H. 1, S. 27-31
  • Kiene, M.: Dem Andenken Alexe Hegemann, in: Jugendwohl 1926/H. 2, S. 39-42
  • Reyer, J./Franke-Meyer, D.: Die Kindergärtnerin. Zur Geschichte der Semi-Professionalisierung, Weinheim/Basel, 2021

Weblinks
https://www.efk-beelen.de/alexe-hegemann-kita/ (zuletzt abgerufen 12.1.2022)
https://www.ah-bk.de/ (zuletzt abgerufen 12.1.2022)


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