Kinder digital an die Hand nehmen

Etwas zu kennen, heißt nicht automatisch, es auch zu verstehen. Kinder sind Digital Natives – das bedeutet aber nicht, dass sie alles, was sie im Umgang mit digitalen Medien erleben, auch verarbeiten können. Hier sind Kitas gefragt, für die Medienerziehung heute so selbstverständlich sein sollte wie Verkehrserziehung.

In manchen Familien scheint das Smartphone ein Familienmitglied zu sein. Es begleitet alle sogar bei Tisch und hier – wie auch sonst überall – wird fast jedes Gespräch ganz selbstverständlich durch das Eintreffen einer Nachricht oder eines Anrufs unterbrochen. In Bus und Bahn, im Restaurant und Wartezimmer sieht man Kinder wie Erwachsene auf Displays schauen. Kein Wunder, dass bereits die Jüngsten sich für die digitalen Geräte interessieren.

Wenn die Kinder dann die Erfahrung machen, dass erwünschte Verhaltensweisen mit Mediennutzung belohnt werden, unerwünschte Verhaltensweisen dagegen mit Entzug derselben sanktioniert werden, merken sie schnell, dass diese Geräte einen besonderen Stellenwert haben. Es entstehen Begehrlichkeiten ähnlich wie bei Süßigkeiten, die auch als Druckmittel eingesetzt werden.

Fernseher, Radio, Computer, Internetzugang – in Familien mit Kindern ist alles vorhanden. Fast alle haben ein Smartphone und deutlich mehr als die Hälfte der Haushalte verfügt über ein Tablet. Das zeigen die regelmäßig stattfindenden, repräsentativen Untersuchungen des medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (MPFS). Noch immer ist das Fernsehen das wichtigste Medium für Kinder, auch wenn es längst nicht mehr nur linear, sondern auch über YouTube und Streamingdienste konsumiert wird. Krippenkinder schauen am Tag durchschnittlich rund dreißig Minuten, Vorschulkinder etwa eine Stunde fern.

Die Studien des MPFS belegen auch, dass Kinder immer früher Zugang zu Medien haben, dass aber Freunde zu treffen und draußen zu spielen noch immer ganz oben auf der Hitliste der beliebtesten Freizeitaktivitäten stehen. Das scheint der Beobachtung vieler Eltern zu widersprechen. Sie berichten, ihre Kinder würden Fernsehen oder zum Spielen am Handy oder Tablet massiv einfordern und ließen sich – fast suchtartig – kaum davon loseisen. Wenn Fernseher und Tablet aber als Babysitter verwendet werden, eingeschaltet in dem Moment, in dem eine Beschäftigung gebraucht wird, und wieder ausgeschaltet, wenn der Anlass für die Aktivierung des digitalen Babysitters vorbei ist, die gerade angeschaute Sendung oder das Spiel aber noch nicht unbedingt – dann ist der kindliche Protest zumindest nachvollziehbar. Niemand wird gerne mitten aus einer spannenden Stelle in Spiel, Buch, Film oder Hörspiel herausgerissen.

Mediennutzung sollte bewusst und geplant geschehen. Wenn Eltern und Kinder gemeinsam Inhalte auswählen und Nutzungszeiten absprechen, fühlen sich die Kinder weniger der elterlichen Willkür ausgesetzt und erleben die familiäre Mediennutzung als geregelt und mitgestaltbar – obwohl auch dann mal gequengelt wird, aber bis zu einem gewissen Maß gehört das zum Erziehungsalltag dazu.

Zahlreiche Studien wie die Adele-Studie von 2018 – Adele steht für Activités-Digitales-Education-Loisirs-Enfants – zeigen auf, dass die Zeit, die Kinder mit digitalen Medien verbringen, von der Vermittlung und den Regeln der Eltern abhängt. Auch die Jahreszeit und das Wetter beeinflussen die Nutzung. Je mehr Alternativen es in der Freizeitgestaltung gibt, umso weniger nutzen Kinder digitale Medien. Den Eltern ist aber oftmals gar nicht bewusst, welch wichtige Vorbildfunktion sie selbst hinsichtlich der Mediennutzung haben.

Medienkompetenz stärken

Die gemeinsame Herausforderung, Kinder in der digitalen Welt gut zu begleiten, ist ein wichtiges Thema in der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Die Kita als der Ort, an dem Fachkräfte und Eltern täglich zusammentreffen, ermöglicht es, auch diejenigen Eltern zu erreichen und zu beraten, die ansonsten medienpädagogische Beratungsangebote nicht wahrnehmen würden.

So besteht die Chance, Eltern darüber zu informieren, warum und wie in der Kita mit Medien gearbeitet wird, sowie Tipps und Anregungen zur familiären Medienerziehung zu vermitteln. Wenn Kinder frühzeitig in einem kindgerechten Rahmen einen kritischen und kreativen Medienumgang erleben, stärkt das ihre Medienkompetenz und sie können Medien selbstbestimmter als Informations-, Ausdrucks- und Bildungsmittel nutzen.

Doch die Fachkräfte sind selbst oft überfordert, wie sie sich mit der Thematik auseinandersetzen und welche Haltung sie einnehmen sollen. Das sogenannte Montagssyndrom ist allen Fachkräften ein Begriff und wird noch verstärkt vom allgegenwärtigen Handy, das auch in den Bring- und Abholzeiten und beim Tür-und-Angel-Gespräch keine Sendepause hat. Nicht wenige Einrichtungen haben bereits ein Handyverbot ausgesprochen. Und noch immer ist der Wunsch nach einer medienfreien Kita als Schonraum zu hören.

Allerdings entspricht ein solcher Schonraum nicht der Lebensrealität der Kinder. Der Umgang mit Medien lässt sich längst nicht mehr auf das Erreichen eines Mindestalters festlegen. Deshalb sollte auch von Anfang an Medienerziehung stattfinden. Wir nehmen Kinder, kaum dass sie die ersten Schritte machen, beim Überqueren der Straße an die Hand und halten sie an, links und rechts zu gucken, auch wenn sie zunächst noch nicht wirklich verstehen, warum. Mit zunehmendem Alter verfestigen sich auf diese Weise Verhaltensweisen, die zu einer kompetenten Teilnahme am Straßenverkehr gehören. Ähnliches gilt auch für den Umgang mit Medien.

Kinder sind nicht automatisch medienkompetent, nur weil sie von Anfang an als Digital Natives mit ihnen in Berührung kommen. Sie müssen den kompetenten, kritischen Umgang mit Medien erst lernen. Es geht aber explizit nicht nur um das Bedienen von technischen Geräten. Vielmehr muss Kindern chancengleich ein bewusster, aktiver und kreativer Umgang mit Medien ermöglicht werden. Es gilt zudem, sie darin zu stärken, kritisch zu werden und zu realisieren, dass Medien eben gemacht sind. Wenn Kinder selbst fotografieren oder filmen, ein Hörspiel, einen Trickfilm, ein Bilderbuch oder eine Webseite gestalten, lernen sie, dass Fotos zwar echt aussehen, aber digital nachbearbeitet sein können. Dass die Wirkung eines Films stark davon abhängt, welche Einstellung und Perspektive gewählt wurden. Dass im Internet jeder und jede alles veröffentlichen kann, und man nicht weiß, ob das alles auch stimmt. Und natürlich geht es darum, Medien auch einfach mal abzuschalten und ganz real und analog zu turnen, zu basteln, zu matschen, zu singen und zu musizieren.

Rolle der KiTa

Pädagogische Fachkräfte spielen eine wesentliche Rolle für die kindliche Medienkompetenzförderung. Diese soll nicht als Knöpfchenkunde missverstanden werden, Technikeinsatz alleine ist noch keine Medienpädagogik. Vielmehr geht es darum, eine interessierte, offene Haltung einzunehmen, Medien zum Thema zu machen und Kindern Verarbeitungshilfen und Erfahrungsräume anzubieten. Gespräche und Rollenspiele der Kinder zu Medienerlebnissen bieten viel Potenzial für die pädagogische Arbeit. Sie sind Sprachanlass, geben Aufschluss über handlungsleitende Themen der Kinder und eröffnen vielfältige kreative Möglichkeiten für Angebote zur Verarbeitung. Mit Video, Foto und Ton können alltägliche Spiel- und Lernsituationen, Entwicklungsprozesse und Entwicklungsfortschritte dokumentiert werden. Medien sollten aber auch von den Kindern selbst aktiv genutzt werden können, um sich auszudrücken, Erlebnisse festzuhalten und Eindrücke zu be- und verarbeiten.

Dabei soll die Mal-App weder Tusche, Stift und Papier verdrängen noch das Spielen, Matschen und Toben im Garten. Es geht darum, den Einsatz von Medien pädagogisch durchdacht und mit Konzept umzusetzen – als ergänzendes Angebot, das nicht andere grundlegende Erfahrungen wie das Begreifen, Fühlen, Schmecken, Riechen, Hören, Sehen verdrängt, sondern sie sinnvoll und wohldosiert bereichert. Wenn Kinder beispielsweise in den Wald gehen und neben der Becherlupe und dem Eimer auch ein Tablet dabei haben, können sie Augen und Ohren offenhalten, beobachten, erkunden, entdecken, ganz real Blätter, Früchte und Steinchen sammeln. Die Kinder können so aber auch digital einiges mitnehmen: eine Audioaufnahme eines Vogels, der sich nicht sofort bestimmen lässt, Fotos von Tierspuren im Waldboden, die später noch bestimmt werden sollen, eine Videoaufnahme vom Ameisenhaufen.

Medienbildung mit Konzept

Medien als Thema und Werkzeug in den pädagogischen Alltag zu integrieren, setzt voraus, zunächst das Für und Wider und das Wie und Warum des Medieneinsatzes im Team zu erarbeiten. Es gilt, im Team eine Haltung zur Bedeutung von Medien in der Lebenswelt von Kindern und in der Kita zu entwickeln und sich damit auseinanderzusetzen, wie das Lernen mit und über Medien situationsorientiert in den pädagogischen Alltag integriert werden kann. Man muss aber auch klären, welche Sorgen, Ängste und Vorbehalte es im Team und in der Elternschaft gibt, welche Fortbildungsbedarfe und welche Ausstattungsanforderungen entstehen, welche rechtlichen Fragen und Datenschutzbestimmungen zu beachten sind, welche Ziele mit dem Medieneinsatz verbunden sind und wie diese in der Konzeption verankert werden sollen. Wenn Medienbildung in den pädagogischen Alltag implementiert wird, muss sie auch in der Konzeption verankert werden. Nur so ist für alle Beteiligten transparent, wie und warum Medien in der jeweiligen Kita thematisiert und eingesetzt werden.

Medien als Werkzeug

Die Kita ist herausgefordert, auch digitale Medien und ihre Inhalte als einen wesentlichen Erfahrungs- und Bildungsbereich anzuerkennen und in ihre pädagogische Arbeit zu integrieren. Denn Kinder sind nicht von Geburt an medienkompetent und haben – je nach Herkunft und familiärem Bildungshintergrund – ganz unterschiedliche Chancen, einen selbstbestimmten, kritischen und kreativen Umgang mit Medien zu entwickeln. Die Fachgruppe Kita der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) fordert deshalb in ihrem im Mai 2017 veröffentlichten Positionspapier dazu auf, „gemeinsam mit Trägern, Bildungspolitik und mit pädagogischen Fachkräften die Forderung Medienbildung entlang der gesamten Bildungskette schnellstmöglich flächendeckend umzusetzen“.

Im Rahmen der Organisationsentwicklung gilt es, ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.  sanforderungen des Teams wie auch Ausstattungsfragen zu überprüfen und konzeptionelle Überlegungen zu initiieren. Medien als Thema und Werkzeug zu nutzen, kann – wenn es mit Konzept geschieht – Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung stärken und einen grundlegenden Beitrag zur frühkindlichen Medienbildung leisten.

Wo finde ich …


Informationen zum Umgang von Kindern mit Medien?
Studien zur Medienverbreitung und Mediennutzung finden Sie auf:
www.blickwechsel.org/medienpaedagogik/surftipps/mediennutzung-infos-studien

Informationen zu entwicklungspsychologischen Grundlagen kindlicher Mediennutzung und Medienerziehung:
https://kinder.jff.de/informationen-fuer-fachkraefte

Tipps für die Zusammenarbeit mit Eltern?
Zum Thema Medien in der Familie finden Sie unter folgenden Links Informationen:
www.rananmausundtablet.de/6-0-EXTRA-Medien-in-der-Familie
www.familieundmedien-nrw.de

Das „Werkstattbuch Medienerziehung“ von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung finden Sie hier:
www.bzga.de/infomaterialien/unterrichtsmaterialien

Die Initiative „Elterntalk“ bringt Eltern miteinander ins Gespräch:
www.elterntalk.net
www.elterntalk-niedersachsen.de
www.elterntalk-nrw.de

Die Webseite Klicksafe bietet eine Übersicht mit Kontaktadressen für medienpädagogische Unterstützung:
www.klicksafe.de/referentensuche

Anregungen und Unterstützung zur medienpädagogischen Bildung in der Kita?
Auf folgenden Webseiten finden Sie Informationen zu medialer Bildung in Kitas:
www.gutes-aufwachsen-mit-medien.de
www.blickwechsel.org
www.medienfuehrerschein.bayern
www.medienkindergarten.wien
www.rananmausundtablet.de

Informationen über medienpädagogische Beratungs- und Fortbildungsangebote finden Sie bei den Landesmedienanstalten
der Bundesländer:
www.die-landesmedienanstalten.de


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
TPS 5-2020, S. 21-23