Wie voll ist dein Stressfass?

Resilienz trainieren

Ein Interview von klein&groß mit dem ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. -Trainer Sebastian Mauritz

Gesundheit ist ein hohes Gut – schon immer. Und um Körper und Geist gesund zu halten, spielt die mentale Gesundheit eine wesentliche Rolle. Hier kommt die Resilienz ins Spiel: Mit Herausforderungen mental umzugehen und gestärkt aus Stresssituationen herauszugehen, kann trainiert werden. Wie die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen im Alltag gestärkt werden kann, lesen Sie im Interview mit einem Experten für Resilienz.

  • Was verstehen Sie unter dem Begriff „Resilienz“?
Zu Resilienz gibt es viele verschiedene Definitionen und noch mehr Schutzfaktoren-Modelle. Im Wesentlichen geht es darum, was Menschen während und nach Widrigkeiten (Stressoren) mental gesund hält (nach Prof. Dr. Raffael Kalisch).  Hier spielen drei Faktoren eine wesentliche Rolle: Adaptation, Regulation und Oszillation. Adaptation meint die Fähigkeit sich an bestimmte Umgebungen, Verhalten, Menschen und Situationen anzupassen. Regulation beschreibt die Fähigkeit, wieder in die eigene Mitte zu finden. Das heißt zum Beispiel, sich nach Anspannung, wieder zu entspannen und nach tiefer Entspannung auch wieder in die Aktivität zu kommen. Oszillation beschreibt die Flexibilität mit der Menschen sich an verschiedenste Situationen anpassen und wie schnell sie hin und her wechseln können. Die Grundlage für diese drei Faktoren sind Selbstreflexion und ein guter eigener Zustand, aus dem man heraus handelt.


  • Was ist hilfreich zu wissen, wenn man als pädagogische Fachkraft Kinder in ihrer Resilienz unterstützt bzw. diese stärkt?
Das größte Thema momentan lautet, dass wir Menschen für zu fragil gelten und uns dementsprechend zu vorsichtig verhalten. Das heißt im Wesentlichen, dass man Kindern nicht ihre Lernchancen vorenthalten sollte. Ein Kind muss lernen, in einem geschützten Rahmen Fehler machen zu dürfen. Wenn alles immer zu sicher ist, dann lernt das Kind nicht, auf sich selbst gut zu achten. Als zweiten Teil gilt es, die Selbstwirksamkeit von Kindern konsequent zu stärken. Das bedeutet unter anderem, die Frustrationstoleranz zu fordern und nicht alles zu leicht zu machen. Gönnt man Kindern, und auch großen Menschen, ihre Lernchancen, dann können sie wachsen. Wesentliche Entwicklungen eines Menschen finden immer in Grenzsituationen und kleinen wie großen Krisen statt. Deswegen sollte man diese nicht zu verhindern versuchen, sondern in einem sicheren Rahmen ermöglichen.

  • Wie kann ein Trainieren von Resilienz für Kinder in den Kita-Alltag eingebaut werden?
Hier würde ich auf Achtsamkeit, Frustration und Herausforderungen setzen. Das klingt vielleicht komisch, ist aber aus meiner Sicht eine willkommene Abwechslung und regt zum Lernen an. Achtsamkeit beginnt mit Verlangsamung – das heißt Dinge mal ganz bewusst machen. Sich als Indianer zum Beispiel anschleichen, ganz leise und unmerklich langsam. Für Frustration und Herausforderungen eignen sich Aufgaben, wo Kinder dran tüfteln müssen, zum Teil auch über mehrere Tage. Die Belohnung gibt es dann erst ganz am Ende. Wichtig ist, dass die Aufgaben zu ca. 80 % lösbar sein sollten. 100% ist zu viel – dann sind die Aufgaben nicht für die Frustrationstoleranz geeignet. Dazu kann man auch mehreren Kindern zusammen eine Aufgabe stellen. So entwickeln sich in frühem Alter schon Kooperation und der Fokus auf individuelle Stärken.

  • Haben Sie einen oder mehrere Tipp(s), wie pädagogische Fachkräfte die eigene Resilienz stärken und stabilisieren können?
Ja natürlich, ich habe sogar 5 Resilienz Tipps!

Resilienz-Tipp 1: die persönliche Stressfass-Analyse. Schreiben Sie doch mal zehn Dinge auf, die jeden Tag ein bisschen störend sind. Damit sind die Dinge gemeint, die so klein sind, dass man sie nicht ändert, aber doch den persönlichen Stresspegel konstant erhöhen. Das kann das Fahrradschloss sein, was ab und zu mal klemmt oder ein Kuli, der mal schreibt und mal nicht. Immunität beginnt im Kleinen – wenn Sie die kleinen Sachen lösen verringern Sie Ihre Belastung und haben mehr Immunität gegen große Stressoren.

Resilienz-Tipp 2: den eigenen Minimumfaktor im Auge behalten. Das bedeutet, dass es Dinge gibt, die Sie verletzlicher machen, als andere. Bei vielen Menschen ist das z. B. Schlaf oder Zeit für sich selbst. Sorgen Sie dafür, dass das, was Ihnen wirklich wichtig ist, immer Priorität hat. So machen Sie sich weniger verletzlich und legen die Grundlage für Ihre Stärke.

Resilienz-Tipp 3: den eigenen Ärger wertschätzen. Emotionen sind wichtige Hinweise auf eigene Bedürfnisse. Gerade Ärger als eine der beiden Stressemotionen – die andere ist Angst – ist hierbei wichtig. Ärger ist der Hüter eigener Werte. Wenn Sie sich ärgern, dann fragen Sie sich doch mal, welcher Ihrer wichtigen Werte verletzt wird? Das können Dinge sein wie Gerechtigkeit, Freiheit, Fairness, Wertschätzung oder eben das, was für Sie wichtig ist. Wenn Sie Ihre wichtigen Werte kennen, dann sind Sie weniger anfällig gegen Stress durch Ärger.

Resilienz-Tipp 4: die Krisenformel kennen. Sie lautet: Krise = Problem mal Stress3. Das bedeutet, dass die Immunität davon abhängt, wie schnell und gut man Probleme löst und wie effektiv man mit dem eigenen Stress umgeht. Ein Problem ist dabei immer von uns selbst erzeugt. Es besteht aus einem Ist-Zustand, z. B. ich bin unzufrieden und einem Soll-Zustand, ich will zufrieden und glücklich sein. Wenn ich den Weg kenne, dann ist das nur eine Aufgabe, bei der ich weiß, was zu tun ist. Kenne ich den Weg nicht, dann brauche ich Kreativität, um das Problem zu lösen. Wenn wir, trotz wiederholter Anstrengung und trotz vieler Versuche, den Unterschied nicht überwinden können, dann reagieren Menschen mit Stress. Das bedeutet Probleme als solche zu erkennen und dann schnell, kreativ und nachhaltig zu lösen ist Kern der eigenen Immunität. Das Stichwort lautet hier Kreativität, gepaart mit einer großen Portion Frustrationstoleranz. Die Frage, die man sich stellen kann, lautet: Welche sieben Lösungen gibt es für mein Problem? Und wie kann ich diese kreativ finden?

Resilienz-Tipp 5: Treffen Sie Entscheidungen. Die Frage, die hier oft gestellt wird, ist, wie das geht. Eine Strategie, um gar nicht erst in Stress und Krisen zu kommen, ist die Frage nach dem, was wichtig ist. Immunität bedeutet, dass Sie sich darüber klar sind, wer oder was in Ihrem Leben wichtig ist. Viele Menschen leben dabei das Leben anderer Menschen und vergessen, dass Sie mit sich selbst, die längste Beziehung Ihres Lebens haben. Wenn Sie Ihr eigenes Leben genießen wollen, dann heißt das, dass Sie sich im Zweifel also für sich selbst und Ihre Bedürfnisse entscheiden! Wenn Sie sich immer mal zur Priorität machen, dann nimmt Ihre Immunität mit der Zeit auf jeden Fall zu.

  • Sie trainieren in zahlreichen Seminaren und Coachings Resilienz. Was liegt Ihnen an Resilienz besonders am Herzen, das Sie weitergeben möchten?
Bei aller Immunität gilt: Was immer Sie tun, tun Sie es aus einem bestmöglichen Zustand heraus. Treffen Sie keine wichtigen Entscheidungen, wenn es Ihnen nicht gut geht. Wichtige Gespräch fangen ja auch selten mit den Worten an: „Ich bin total im Stress und muss jetzt mal ganz Wichtiges mit dir besprechen.“ Ich für mich habe irgendwann mal entdeckt, dass ich der wichtigste Mensch in meinem Leben bin und mit mir auch die längste aller Beziehungen führen werden. Deswegen gehe ich mit mir immer am besten um.

Literatur

  • Kalisch, Raffael: Der resiliente Mensch: Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Berlin Verlag 2017
  • Mauritz, Sebastian: Immun gegen Probleme, Stress und Krisen. Wie unser Leben gelingen kann. Gabal 2019

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß 1-2021


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