Pädagogik der Vielfalt im Kindergarten

Ein Überblick

Inhaltsverzeichnis

  1. Menschenrechtliche Grundlagen
  2. Sozial- und bildungsphilosophische Grundlagen
  3. Historische Voraussetzungen
  4. Praxisbezogene Handlungsperspektiven
  5. Literatur

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Sozial- und bildungsphilosophische Grundlagen

In sozial- und bildungsphilosophischen Untersuchungen wird das theoretische Fundament der Pädagogik der Vielfalt – und das heißt der Inklusiven Pädagogik – herausgearbeitet. Theoretische Grundbegriffe sind unter anderem Heterogenität, Nichtidentisches, Differenz, Différance, DiversityDiversity|||||Im Deutschen wird der Begriff auch auch als Vielfalt benutzt und meint besonders, dass soziale Vielfalt konstruktiv genutzt wird. Im Diversity Management wird besonders auf eine positive Wertschätzung der individuellen Verschiedenheit eingegangen, um eine produktive Gesamtatmosphäre zu erreichen., PluralitätPluralität|||||Pluralität bezeichnet die Koexistenz von Vielfalt. In der heutigen Gesellschaft bedeutet das, dass es häufig  vielfältige, individuelle  Interessen und Lebensstile, Bildungswege, Familienkonstellationen etc. in der Gesellschaft geben kann., Vielfalt. Als weitere Theoriebausteine Inklusiver Pädagogik werden u. a. Anerkennung, Bildung, Bedürfnis und Partizipation genutzt.

Die mit dem Begriff der Heterogenität und den verwandten Begriffen verbundenen Denkfiguren wurden international in unterschiedlichen Kontexten herausgearbeitet und enthalten im Kern zugleich eine starke gemeinsame Bedeutung. Der Begriff »heterogen« wurde in der altgriechischen Kategorienlehre des Aristoteles (384–322 v. Chr.) definiert als »verschiedenes, das einander nicht untergeordnet ist«. Damit geht ein egalitäres und hierarchiekritisches Verständnis von Verschiedenheit einher, das auch für die folgenden Begriffe bestimmend ist. Der Begriff des Nichtidentischen und mehr noch der Begriff der Differenz hatten im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts von der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und von der französischen Postmoderne ausgehend Konjunktur. Mit diesen Begriffen wird eine nicht hierarchisierende, nicht diskriminierende und nicht festschreibende Denkweise bezeichnet. In diesem Verständnis wird von der Vielschichtigkeit, Veränderlichkeit, Vernetztheit und Unbestimmbarkeit der einzelnen Menschen und der kollektiven Gruppierungen ausgegangen. Diversity geht auf die amerikanische Bürgerrechtsbewegung zurück und wendet sich gegen Segregation und Diskriminierung. Mit Pluralität und Vielfalt wird die Wertschätzung von Verschiedenheit auf den Begriff gebracht.

Gemeinsam ist den Begriffen Heterogenität, Nichtidentisches, Differenz, Différance, Diversity, Pluralität, Vielfalt – trotz ihrer unterschiedlichen Entstehungskontexte – der Verzicht auf die Hierarchisierung, Festschreibung und Trennung von Verschiedenem. Mit dem Verzicht auf Hierarchisierung geht eine Verpflichtung auf Gleichheit einher. Mit dem Verzicht auf Festschreibung geht eine Verpflichtung auf Freiheit für Vielfalt einher. Mit dem Verzicht auf Trennung geht eine Verpflichtung auf solidarische Gemeinsamkeit einher. Dieser komplexe Zusammenhang kommt in der politisch-sozialen Sprache als Gleichberechtigung, intersubjektive Freiheit sowie der Solidarität mit Fremden zum Ausdruck und wird auch in der Denkfigur der egalitären Differenz gefasst.

Darüber hinaus sind für Inklusive Pädagogik das Recht auf Bildung, die bedürfnisgemäße feinfühlig-solidarische Anerkennung der gleichen Freiheit und der Partizipation aller Lernenden bestimmend. Die umfassend empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden. begründeten Bildungs-, Bedürfnis-, Anerkennungs-, Partizipationsund Sozialisationstheorien weisen darauf hin, dass Kindern und Jugendlichen ein Gleichheitsrecht auf Bildung zukommt und dass sie auf feinfühlige Anerkennung ihrer persönlichen Bedürfnisse sowie auf Teilhabe in ihren Bildungsprozessen angewiesen sind, wenn gute individuelle Potentialentfaltung möglich sein soll (Prengel 2019b, 2016; König 2014).

Die sozial- und bildungsphilosophischen Grundlagen der Inklusiven Pädagogik weisen enge Bezüge zu den menschenrechtlichen Grundlagen auf. Diese Bezüge kommen im oben erläuterten Konzept einer solidarisch vertretenen gleichen Freiheit für Vielfalt zum Ausdruck. Die wohl weitestgehende und anhand der genannten Theorien begründete Konzeption inklusiver Teilhabe der Verschiedenen wurde von der Philosophin Julia Kristeva und dem Sonderpädagogen Charles Gardou (2012, S. 46) vorgelegt, indem sie postulieren, es gehe darum, »jedem zu gewähren, seinen ureigensten Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten«. Diese Autoren artikulieren mit Verletzlichkeit einen weiteren Grundbegriff der Inklusion, indem sie die universelle Verletzlichkeit aller Menschen herausstellen und damit unser aller Angewiesenheit auf Zugehörigkeit und Solidarität bewusst machen.