Schwierige Elterngespräche in der KiTa

Herausforderungen & Möglichkeiten

Inhaltsverzeichnis

  1. Stress & Konflikt im Gespräch
  2. Wenn Eltern kämpfen
  3. Beratung im Zwangskontext – in der Kita?
  4. Psychische Krankheiten - Scham & Tabus in Familien
  5. Geschlossene Systeme – wenn Familien „dichtmachen“
  6. Verdacht auf sexuellen Missbrauch
  7. Grenzen in der Zusammenarbeit mit Eltern?!
  8. Ausblick - Supervision als qualitätssicherndes Instrument
  9. Literatur

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Wenn Eltern kämpfen

Einige Fachkräfte in Kitas haben bereits erlebt, dass Eltern beginnen, gegen die Einrichtung, die Leitung oder einzelne Mitarbeiter*innen zu kämpfen. Hier ein ausführliches Beispiel:



Im Rahmen der Gefährdungsabschätzung (GA) gem. § 8a SGB VIII in einer Kita mit der Frage „Liegt eine Kindeswohlgefährdung vor/Müssen wir es melden?“ wird die Fachberatung als zuständige insoweit erfahrene Fachkraft im Kinderschutz hinzugezogen. Es besteht akuter Beratungsbedarf, da sich der fünfjährige Junge (X) in den letzten Wochen in der Kita vermehrt aggressiv, speziell gegenüber jüngeren Mädchen der Gruppe gezeigt hat. Es gab auch zwei Beschwerden von Eltern diesbezüglich. Beide Mädchen haben zu Hause darüber erzählt und Situationen mit X nachgespielt. Er zeige wenig Frustrationstoleranz anderen Kindern gegenüber. X lutsche vermehrt am Daumen und nutze sein Kuscheltier zum Schmusen. X zeige sich durchaus sehr merkfähig bei Liedertexten und Reimen, er singe sehr gern und sei oft engagiert beim Morgenkreis dabei. Es gab vor dem Besuch in dieser Kita einen weiteren kurzen Besuch in einer anderen Kita, in denen die Eltern nicht zufrieden waren. X besucht seit etwa zweieinhalb Jahren diese Einrichtung.

Die Eltern kommen nach Angaben der Fachkräfte selten in die Kita, die ältere Schwester holt X oft ab. Es gibt Hinweise, dass es zwischen den Eltern in letzter Zeit vermehrt Konflikte gäbe. Es kam zu häuslicher Gewalt mit lautstarkem Streit zwischen den Eltern, was der Nachbarschaft nicht verborgen blieb (Hörensagen/Meldungen der Nachbarn an die Kita). Es ist nicht bekannt, ob auch im Jugendamt eine Meldung einging. Die Kita hatte bisher keinen Kontakt diesbezüglich. Es gab mehrere kürzere Trennungen (On-Off-Beziehung der Eltern). Die Mutter wirke auf die Fachkräfte eher zurückhaltend, fast teilnahmslos im Umgang mit X. Der Vater zeige sich in den Situationen, in denen er mit X in der Kita zu beobachten war, wenig im Kontakt mit ihm. Er rede dann vermehrt auf die Fachkräfte ein, lasse X einfach stehen und antworte auch nicht auf seine Fragen. Die Fachkräfte äußern den Eindruck, dass der Vater im Kontakt durchaus merkwürdig wirke und schnell aus der Haut fahre. Dies sei auch bei dem einzigen Entwicklungsgespräch vor einem Jahr passiert, seitdem wurden alle weiteren Gesprächseinladungen von den Eltern nicht mehr wahrgenommen. Das Verhältnis beider Eltern zur Kita sei aktuell sehr belastet, der Vater habe die Leitung im letzten Telefonat (Info über Meldungen der anderen Eltern) beschimpft und sich daraufhin bei dem Träger der Kita über die Leitung beschwert. Vermittlungsversuche von Dritten (Träger) scheiterten bisher. Es bestehe der Eindruck, dass mit dem Vater nicht zu reden sei. Die Mutter hingegen sei nicht zu erreichen, wird jedoch eher noch als Ressource angesehen. Da X in knapp 3 Monaten die Kita verlassen wird (Einschulung), besteht für die Kita dringender Handlungsbedarf.


Dieses Beispiel zeigt einige Aspekte von Herausforderungen, vor denen die pädagogischen Fachkräfte der Kita, wie auch die Eltern und das Kind nun stehen: Die pädagogischen Fachkräfte können das Verhalten der Eltern nicht nachvollziehen und machen sich ernsthafte Sorgen um X. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die anderen Kinder der Gruppe ausreichend geschützt werden müssen. Die Kitaleitung fühlt sich durch die Beschwerden des Vaters angegriffen und nicht voll in ihrer Kompetenz. Das verunsichert auch die anderen Mitarbeiter*innen. Bei den Eltern kann man annehmen, dass durch den zunehmenden Druck von außen (Beschwerden der anderen Eltern, Anrufe der Kita, Gesprächsangebot des Trägers) Stress entsteht. Es sind bereits einige der oben aufgeführten Verhaltensweisen aus dem Überforderungszustand (Dis-Stress) zu beobachten: der Vater beginnt zu kämpfen, die Mutter flüchtet bzw. stellt sich tot (geht nicht an das Telefon, antwortet nicht auf Sprachnachrichten). Währenddessen zeigt der fünfjährige X in der Kita zunehmend Verhaltensweisen, die als oppositionell oder auffällig beschrieben werden. Als Hypothese kann man hier den aus der Traumapädagogik stammenden guten Grund (Weiß 2016; Weiß/Picard 2015) einführen, nämlich dass X hier den verzweifelten Versuch unternimmt, eine unerträgliche häusliche Situation zu kontrollieren, in dem er sich entwicklungslogisch verhält (Hipp 2018). X zeigt diese Verhaltensweisen (Symptome) in zunehmender Weise in der Kita, die Vorfälle häufen sich. Der letzte Aspekt ist die zeitliche Grenze für alle Akteure, da X im Rahmen der anstehenden Einschulung die Kita verlassen wird. Folgendes wurde in der Gefährdungsabschätzung vereinbart:

Ergebnis der GA: Drohende Gefährdung, weitere Klärung ist dringend nötig.
  1. Es sollte im Sinne des Kindeswohls möglichst ein Bindungsabbruch vor dem regulären Ende der Kindergartenzeit (in 3 Monaten) verhindert werden: Nach Einschätzung der pädagogischen Fachkräfte ist die Kita für X ein sicherer Ort (Schutzfaktor). X sollte die Möglichkeit haben, mit den anderen Kindern gemeinsam den Abschied aus der Kita feiern zu können (z. B. Teilnahme an der Übernachtung, Feier, Ausflug). Dieser wichtige Aspekt fließt in die Haltung und weitere Gesprächsführung der Fachkräfte mit den Eltern und weiteren Stellen ein.
  2. Die anderen Kinder der Gruppe müssen geschützt bleiben. Die Bezugserzieherin wird dies mit X besprechen (Grenzen absprechen, Bindung/Kontakt bieten).
  3. Elterngespräch (Einbeziehung der Erziehungsberechtigten gem. § 8a SGB VIII Abs. 4, Pkt. 3) innerhalb der nächsten 2 Wochen. Die Einladung erfolgt sowohl schriftlich als auch mündlich (telefonisch und persönlich, falls die Eltern in die Kita kommen). Das Elterngespräch wird in einem weiteren Termin mit der Fachberatung vorbereitet, um die Leitung in ihrer Kompetenz zu unterstützen.
  4. Den Eltern Hilfsangebote empfehlen (FB sozial-emotionale Entwicklung, Erziehungsberatung, Hilfen zur Erziehung). Hier ist es wichtig, von Seiten der Kita den Eltern die Entscheidung zu überlassen, ob Sie Hilfe annehmen möchten oder nicht.
  5. Sollte keine Vereinbarung mit den Eltern erfolgen können, die Eltern nicht zum Gesprächstermin erscheinen oder die Eltern das Gespräch abbrechen, erfolgt eine Meldung gem. § 8a SGB VIII beim zuständigen Jugendamt.


Die ausführliche Darstellung des Beispiels soll verdeutlichen, dass jeder Konflikt mit Eltern kontextsensibel betrachtet werden sollte. Dabei wird in der Abschätzung der Kontext erst einmal erweitert, um ihn für das Ergebnis der GA wieder „auf den Punkt“ zu bringen. Kontext ist diesbezüglich zu verstehen als der Bezugsrahmen bzw. Zusammenhang, worin Verhaltensweisen und verbale wie averbale Mitteilungen ihre Bedeutung erlangen. So wie sich der Satz eines Textes nur im Zusammenhang des Gesamttextes verstehen lässt, ist zum Verständnis individuellen Verhaltens die Kenntnis des Umfelds, in das es eingebettet ist, notwendig. Für unterschiedliche zwischenmenschliche Kontexte gelten unterschiedliche Verhaltensregeln. Jede einigermaßen reibungslos verlaufende Interaktion bedarf also einer Einigung darüber, welcher Kontext zu gelten hat (vgl. Gröne 1998).

Wichtig ist, auch in belastenden und schwierigen Kontexten, immer auch auf den Bereich der Ressourcen zu fokussieren. Sie bilden eine wichtige Grundlage für das anstehende Gespräch mit den Eltern und sollten unbedingt mitgeteilt werden. Auch der Einsatz von Lob und Wertschätzung, z. B. pünktlich zum Gespräch erschienen zu sein, den weiten Weg auf sich genommen zu haben usw. können als „Türöffner“ fungieren und die Eltern gesprächsbereiter machen, als sie vielleicht ursprünglich waren.

Das Gespräch konnte (nach einer Terminverschiebung) mit der Mutter geführt werden. Der Vater nahm nicht teil. Es konnten mit der Mutter Absprachen getroffen werden für die verbleibende Zeit von X in der Kita. Sie entschied sich gegen die Hilfsangebote mit Ausnahme eines Termins in der Erziehungsberatungsstelle. X konnte seine Kindergarten-zeit in der Einrichtung beenden. Der Vater zog sich aus dem Kontakt mit der Kita zurück, dafür wurde die Mutter präsenter. Beide Eltern nahmen am Abschiedsfest der Schulkinder teil, was für die Fachkräfte ein schöner Abschluss war.

Dass Reaktionen und Handlungen unter Emotionen weniger reflektiert sind und nicht selten zu einem Handeln führen, was zu einer Eskalation beiträgt, beschreiben auch Lemme und Körner. Es kann dann beidseitig zu Handlungen kommen, die nach dem Gespräch bedauert werden. Die Autoren beschreiben in ihrem Konzept der neuen Autorität die Haltung im Gespräch in einem Werte-Dreieck, das sich zwischen den drei Ecken „Beziehung/Kooperation, Gegenüber/Klarheit und Transparenz/Verbindlichkeit“ bewegt (Lemme/Körner 2018, S. 83 ff.).


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