Durchgängige Leseförderung von der Kita bis zur Sekundarstufe

Ausgewählte Konzepte und Instrumente

Inhaltsverzeichnis

  1. FÖRDERUNG VON VORLÄUFERFÄHIGKEITEN DES LESENS IM ELEMENTARBEREICH
  2. FÖRDERUNG VON LESEFLÜSSIGKEIT IN DER GRUNDSCHULE
  3. ERFOLGREICHE STRATEGIEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE
  4. Fazit
  5. Literatur
  6. Weitere Informationen

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ERFOLGREICHE STRATEGIEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE


Lesestrategien dienen dazu, sich einen Text zu erschließen, Informationen zu organisieren und in ein mentales Gesamtbild einzubetten. Sie zählen zu den kognitiv anspruchsvollen, hierarchiehöheren Prozessen des Lesens. Abhängig von ihrer Funktion werden kognitive und metakognitive Lesestrategien voneinander unterschieden: Kognitive Lesestrategien helfen dabei, Informationen im Text zu organisieren, zu ordnen und Textstrukturen zu nutzen (Organisationsstrategien), sie vertiefen aber auch das Textverständnis und verknüpfen neues mit vorhandenem Wissen (Elaborationsstrategien). Beispiele für kognitive Strategien sind das Unterstreichen wichtiger Textstellen, das Erstellen von Zusammenfassungen oder das Bilden von Hypothesen zum Text. Metakognitive Lesestrategien stehen dagegen in engem Zusammenhang mit der Fähigkeit, selbstreguliert zu lernen. Sie gewährleisten, dass Leserinnen und Leser ihren Lese- und Verstehensprozess gezielt planen und auch während des Lesens kontrollieren und steuern, sodass sie beispielsweise schwierige Passagen langsamer lesen oder unklare Textstellen klären. Verbindet man Lesestrategien mit der Lesemotivation zu einem Konzept selbstregulierten Lesens, lässt sich auch eine zeitliche Unterscheidung treffen: Einige Lesestrategien werden vorbereitend vor dem Lesen eines Textes eingesetzt, z. B. wenn man sich Bilder oder andere visuelle Informationen zunutze macht, um erste Hypothesen zum Inhalt des Textes zu formulieren. Andere Strategien kommen während des Lesens oder in der Selbstreflexionsphase nach dem Lesen zum Einsatz.


Geeignet ab der dritten Klasse

Insgesamt sind Lesestrategien bereits sehr gut erforscht, und es gibt eine Vielzahl an evaluierten Fördermaßnahmen, für die positive Effekte nachgewiesen werden konnten. Leseschwächere Schülerinnen und Schüler kennen und nutzen weniger Lesestrategien als kompetente Leserinnen und Leser, die aus einer größeren Anzahl von Strategien auswählen, um sich einen Text zu erschließen. Positive Effekte von Lesestrategietrainings konnten auch für schwächere Leserinnen und Leser nachgewiesen werden, ebenso wie für Schülerinnen und Schüler, die Deutsch als Zweitsprache lernen. Die Vermittlung von kognitiven und metakognitiven Lesestrategien kann daher als wirksame Fördermaßnahme betrachtet werden. Die Einführung der Strategien ist dann sinnvoll, wenn die Wort- und Satzerkennung bereits automatisiert abläuft, die Schülerinnen und Schüler flüssig lesen können (s. o. Leseflüssigkeit) und sie die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen dafür mitbringen, ihren Leseprozess zu planen und strategieorientiert vorzugehen. Daher werden Lesestrategien ungefähr ab Ende der dritten Grundschulklasse vermittelt.


Einsatz von Lesestrategien

Lesestrategien werden zielgerichtet eingesetzt, um sich einen Text zu erarbeiten. Sie sind erlernbar und können daher im Unterricht gut vermittelt werden. Es gibt allerdings einige Prinzipien, die bei der Einführung und Vermittlung beachtet werden sollten, um eine wirksame Förderung sicherzustellen: Die Lehrkraft sollte den Schülerinnen und Schülern die Strategie, deren Nutzen und ihre Einsatzmöglichkeiten erläutern. Da Lesestrategien bewusst eingesetzt werden, ist die Einsicht in Vorteile, die sich durch das Anwenden einer Strategie ergeben, eine Voraussetzung dafür, dass die Schülerinnen und Schüler auch beim eigenständigen Lesen auf ihr Strategiewissen zurückgreifen. Es muss eine explizite Vermittlung der Lesestrategien im Unterrichtsgespräch stattfinden, da insbesondere schwächere Schülerinnen und Schüler sich Lesestrategien in der Regel nicht allein im Rahmen der eigenen Textarbeit implizit aneignen können. Hierfür eignet sich u. a. die Methode des Lauten Denkens, in der die Lehrkraft als Modell dient. Der Einsatz der Strategien muss intensiv an unterschiedlichen Texten geübt werden. Anfangs sollte dieser Prozess noch stark angeleitet werden, um anschließend schrittweise zu selbstständigeren Übungsformen überzugehen.


Zwei erfolgreiche Verfahren

Da es mittlerweile eine sehr große Anzahl von Verfahren zur Förderung von Lesestrategien gibt, werden anstelle eines Überblicks zwei Programme für die Sekundarstufe I exemplarisch dargestellt, die bereits empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden. überprüft wurden und deren Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte. Ein reines Strategietraining, in dem konkret einzelne Lesestrategien vermittelt werden (Reciprocal Teaching), und ein kombiniertes Programm, bei dem Leseflüssigkeit, Lesestrategien und Lesemotivation verbunden werden (Wir werden Textdetektive). Für beide Typen von Fördermaßnahmen — reine Strategieförderung oder kombinierte Programme — finden sich in der Forschung positive Effekte. Kombinierte, komplexe Trainings stellen jedoch hohe Anforderungen an die Lehrkraft und müssen daher entsprechend sorgfältig und umfassend, möglichst durch eine Schulung, vorbereitet werden. Denn eine fachgerechte Umsetzung dieser Programme ist Voraussetzung für die erfolgreiche Steigerung der Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler.

Reziprokes Lehren
  • Als Beispiel für ein rein strategiebezogenes Training dient das Reciprocal Teaching bzw. Reziproke Lehren, das ursprünglich aus dem englischsprachigen Raum kommt und für die Klassenstufe 7 entwickelt wurde. Den Schülerinnen und Schülern sollen damit vier Lesestrategien vermittelt werden: (1) Fragen an den Text stellen, (2) Text zusammenfassen, (3) Wortbedeutungen oder unklare Textstellen klären, (4) Vorhersagen treffen. Die Vermittlung dieser vier Strategien erfolgt nach der Methode des lauten Denkens. Zunächst übernimmt die Lehrkraft die Rolle des Modells und erläutert, wie sie die Strategie anwendet, ihren Nutzen und die Vorgehensweise beim Einsatz der Lesestrategien. In der Folge arbeiten die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen zusammen, wobei je eine Schülerin oder ein Schüler die Rolle der Lehrkraft übernimmt und mit einem Gruppenmitglied die Strategie an einem Sachtext übt. Die Rollen wechseln dabei so, dass nacheinander verschiedene Schülerinnen und Schüler die Lehrerrolle übernehmen. Das Reziproke Lehren wurde bereits verschiedentlich adaptiert und zeigte bei unterschiedlichen Altersstufen positive Resultate sowohl für Kinder ab Klasse 4 als auch für jugendliche und erwachsene Leserinnen und Leser.


„Wir werden Textdetektive“
  • Im Programm Wir werden Textdetektive werden Lesestrategien mit Strategien der kognitiven und motivationsbezogenen Selbstregulation kombiniert. Das Training ist für die Klassenstufen 5 und 6 konzipiert und in eine Rahmenhandlung der Detektivarbeit eingebettet. Diese Analogie wird durchgängig genutzt: Die Kinder gehen als Detektive an einen Text heran und nehmen ihn mit verschiedenen Detektivmethoden, d.h. Lesestrategien, unter die Lupe. Abgesehen von den vier Elaborationsstrategien und drei Organisationsstrategien, die den Textdetektiven vermittelt und von ihnen angewandt werden, sollen die Kinder erfahren, wie sie Erfolge durch eigene Anstrengungen erzielen und sich realistische Ziele setzen können (motivationale Selbstregulation). Im Leseplan halten sie das eigene Leseziel, die Methoden und Vorgehensweise fest und notieren im Nachgang, ob das Ziel erreicht wurde. Die Textdetektive können um eine adaptierte Variante mit dem Titel Wir werden Lesedetektive ergänzt werden, die für leseschwächere Schülerinnen und Schüler konzipiert wurde. Je nach Leseleistung kann auch ein früherer oder späterer Einsatz der Lesedetektive von der vierten Klasse bis hin zu Klassenstufe 8 noch sinnvoll sein. Im Gegensatz zu Wir werden Textdetektive arbeiten die Lesedetektive mit einer kleineren Anzahl von insgesamt vier metakognitiven und kognitiven Strategien, für die jedoch mehr Zeit zum Üben und Wiederholen vorgesehen ist.


Lesestrategien sind insgesamt ein gut erforschter und wirksamer Ansatz, für den eine Vielzahl von Förderprogrammen und -instrumenten zur Verfügung steht. Die Strategien sollten in jedem Fall nach den skizzierten Prinzipien eingeführt sowie systematisch und zielgerichtet genutzt werden. Außerdem sollten die Lesestrategien nicht nur im Deutschunterricht, sondern fächerübergreifend eingesetzt werden, um einen möglichst umfassenden und nachhaltigen Lernzuwachs zu erreichen.


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