Ruhe- und Schlafbedürfnisse junger Kinder in der Kita

Der Großteil der Bevölkerung in Deutschland gibt seine Kinder in die verantwortungsvollen Hände von pädagogischen Fachkräften in Kitas oder in die KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung. . Fast jedes Kind ab drei Jahren und bereits ein Drittel der Kinder unter drei Jahren nutzt einer Erhebung des statistischen Bundesamtes zufolge das Angebot einer frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung, Tendenz steigend (Kindertagesbetreuung Kompakt 2017). Damit ist die Kita der erste institutionelle Raum, in welchem Familien mit unterschiedlichem sozialen und (sub-)kulturellem Hintergrund, Erziehungsvorstellungen und Bedürfnissen aller Art zusammenkommen. Aus der großen Vielfalt einen für alle Kinder funktionierenden Alltag zu gestalten und nebenbei noch eine gute Bildung und Erziehung zu leisten, stellt eine große Herausforderung für die Fachpersonen in den Kitas dar.
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Der Bildungs- und Erziehungsauftrag von Kitas im Kontext Schlaf und Ruhe

In Bezug auf den Ruhe- und Schlafbedarf von Kindern befindet sich die Kita in einer besonderen Rolle. In kaum einer anderen weiterführenden Bildungseinrichtung muss das Thema Schlaf und Ruhe überhaupt im institutionellen Alltag vorbereitet und umgesetzt werden. Schulen weisen beispielsweise keine Schlafräume auf oder müssen den Schlafbedarf von Kindern in den Schulablauf einplanen. In Kitas jedoch, insbesondere in Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren, muss das Schlafen und zur Ruhe finden täglich eingeplant werden.

Zuständige Aufsichtsbehörden überprüfen Schlafräume und erwarten zumindest eine konzeptionelle Erwähnung der Schlafbegleitung. Kriterienkataloge zur Erhebung der Qualität in Kitas haben das Schlafen und Ruhen längst als ein Schüsselkriterium guter Qualität erkannt (Tietze & Viernickel 2016). Auf der Suche nach spezifischer Fachliteratur ist dazu jedoch nur wenig zu finden. Erst seit der Veröffentlichung von Kramer und Gutknecht (2016): „Schlafen in der Kinderkrippe“ und weiteren Artikeln der Autorinnen in Fachzeitschriften hat das Thema einen wissenschaftlichen Transfer aus Medizin und Wissenschaft in die Kitapraxis gefunden. Selbst in den Curricula der Ausbildungsstellen tauchen das Schlafen und Ruhen bisher gar nicht oder nur am Rande der Lehrthemen auf.

Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass kaum eine Kita in Deutschland auf ein abgestimmtes Konzept zum Schlafen und Ruhen unter Einbezug der aktuellen wissenschaftlichen Standards aus der Schlafwissenschaft und Medizin verweisen kann. Stattdessen greifen Fachpersonen auf biographisch und kulturell begründete Vorstellungen zurück, setzen auf ihre gängige Kita-Praxis „so haben wir es schon immer gemacht“ und versuchen das Thema damit hauptsächlich intuitiv umzusetzen.

Kommen in der Praxis jedoch Schwierigkeiten auf, passen die Vorstellungen und Erwartungen von Eltern mit der Schlaf- und Ruhepraxis der Einrichtung nicht zusammen oder zeigen Kinder eine Schlafart, die für die Fachpersonen nicht in das Raster ihrer „Norm“ einzufassen sind, entstehen nicht selten große Missverständnisse. Daraus können gesundheitsgefährdende Schlaf- und Ruhevorgaben oder Schlafentzugspraktiken entstehen, die gravierende Folgen für die Kinder haben können (Kramer & Gutknecht 2016).

Folgen von langanhaltendem Schlafentzug

Eine Verkürzung der Gesamtschlafdauer um nur 54 Minuten im Grundschulalter kann zu deutlichen Verhaltensauffälligkeiten führen. Darunter fallen übermüdungsbedingte Wahrnehmungsprobleme, Beeinträchtigung der kognitiven Leistung, Lernschwierigkeiten und emotionale Regulierungsprobleme, bis hin zu aggressivem Verhalten. Es können Symptome auftreten, welche fälschlich als Frühzeichen von ADHS interpretiert werden, aber tatsächlich im Zusammenhang mit anhaltender Müdigkeit aufkommen. Das Risiko für Infektionskrankheiten und Adipositas (starkes Übergewicht) steigt (Berger et al. 2012; Kirchhoff 2014; Staton et al. 2015).

Aber nicht nur in der Analyse und Beantwortung der individuellen Schlaf- und Ruhebedarfe der Kinder stehen Fachkräfte vor einer großen Herausforderung. Wichtig ist vor allem auch, dass ein guter und ausgewogener Alltag für die Kinder vorbereitet wird, der das Schlafen und Ruhen für alle Kinder sinnvoll integriert.

Doch wie kann eine ganze Kindergruppe optimal in den Schlaf oder zur Ruhe begleitet werden? Wie lassen sich unterschiedliche Schlafausprägungen bei den Kindern in eine gute Gruppendynamik ableiten? Wie können die zum Teil sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen der Eltern zum Kinderschlaf in den Kita-Alltag integriert bzw. wie kann ein gemeinsamer Nenner dazu gefunden werden? Wie sieht überhaupt der richtige Weg aus: sollen alle Kinder schlafen oder nicht? Wie lange, d.h. auch bis zu welchem Alter sollen Kinder schlafen? Und wie sieht das mit der Frage nach dem Wecken aus? Diese und viele weitere Fragen rund um das Thema müssen täglich beantwortet werden. In diesem Artikel wird es darum gehen, die Konsequenzen für die Kita-Praxis aus den eben gestellten Fragen in groben Zügen zu skizzieren und daraus Empfehlungen für die Politik, Ausbildung und Praxis zu formulieren. Eine Anleitung zur praktischen Gestaltung der Mikrotransition in den Schlaf (Übergang vom Mittagessen in den Schlafraum und responsive Begleitung der Kinder in den Schlaf) und die damit verbundenen Herausforderungen, eine große Kindergruppe im Übergang professionell zu begleiten, wird an dieser Stelle nicht aufgegriffen. Dieser Prozess wird ausführlich im Fachbuch von Kramer & Gutknecht (2016) beschrieben.

Kulturbedingte Schlafnormen prägen das Schlafsetting

Schlafstudien konnten zeigen, dass Schlafgewohnheiten und auch Vorstellungen und Erwartungen über den Schlaf kulturell tief verankert sind und in der Regel beibehalten werden, auch wenn die Familie in eine neue Kultur emigriert (Kirchhoff 2014). So arbeiten auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kitas unbewusst mit ihren kulturell und biographisch bedingten Vorstellungen vom Schlaf. Diese zeigen sich z.B. in der Ausgestaltung des Schlafraums, welche Schlafbegleitung angeboten wird und welcher Bewertung die kindlichen Schlafeigenheiten anheimfallen, z.B. wie lange ein Kind in einem bestimmten Alter schlafen sollte. Auch in der Auseinandersetzung mit Eltern zu diesem Thema steht die eigene Schlafkultur im Vordergrund. Ohne eine intensive Reflexion der persönlichen Schlafeinstellung wird eine professionelle Beantwortung der vielfältigen Schlaf- und Ruhearten der Kinder und Eltern in der Kita nur unzureichend möglich sein.

Eine Auseinandersetzung mit den weltweit kulturtypischen Normen würde an dieser Stelle zu weit führen. Wichtig für die institutionelle Arbeit in der Kindertageseinrichtung ist die Auseinandersetzung mit den hiesigen Schlafnormen und den großen Gegensätzen zu anderen Kulturen. Nur so kann die eigene kulturelle Schlafbrille abgesetzt und eine neutrale, d.h. professionelle Analyse der Situation vorgenommen werden.

Der Kinderschlaf in Deutschland

In Deutschland wird eine eher auf Autonomie orientierte Erziehung verfolgt. Selbstständigkeit, Willensbildung und Selbstverwirklichung stehen im Vordergrund der Persönlichkeitsentwicklung. Das Kind soll frühzeitig lernen, sich selbst zu beschäftigen, sich eigenständig zu regulieren und seinen persönlichen Interessen nachzugehen (Borke & Keller 2014). Im frühen Kindesalter wird es darauf vorbereitet, selbstgesteuerte Einschlafstrategien zu entwickeln, d.h. selbstständig in den Schlaf zu finden und im eigenen Bett zu schlafen, ab dem zweiten Lebensjahr auch im eigenen Zimmer. Feste Bettzeiten und eine allmähliche Reduzierung von personenbezogenen Einschlafhilfen (z.B. Flasche geben, im Arm einschlafen) sind bereits im ersten, spätestens aber im zweiten Lebensjahr fester Bestandteil der landestypischen Schlaferziehung. Zur Unterstützung werden den Kindern Schnuller, Teddybären und Spieluhren als Einschlafbegleiter angeboten. Als angemessene abendliche Bettzeiten gelten im Kleinkind- und Vorschulalter Schlafzeiten vor 20 Uhr. Um diese Zeitmarke einhalten zu können, wird in der Regel zuerst der Mittagschlaf gekürzt oder weggelassen, häufig ungeachtet der Konsequenzen bezüglich Tagesbefindlichkeit und Schlafbedarf am Nachmittag für das Kind.

Der Kinderschlaf in Siesta-Kulturen & Co

Im Kontrast dazu weisen auf Verbundenheit orientierte Gesellschaften (z.B. Afrika, Thailand) sowie auch Mischformen zum Teil konträre Schlafnormen auf. Darunter fallen z.B. südländische Siesta-Kulturen (z.B. Italien, Mexiko). Das gemeinsame Schlafen in einem Bett, mindestens aber in einem Raum, ist in vielen Ländern aufgrund der Raumverfügbarkeit gar nicht anders zu lösen. Teilweise finden das Leben und Schlafen in ein und demselben Raum statt. Helligkeit und Lautstärke können mitunter nicht an das Schlafverhalten der Kinder angepasst werden und entwickeln sich so zu wichtigen Einschlaffaktoren. Das Co-Sleeping mit den Eltern, mindestens aber das Schlafen in einem Raum z.B. mit Geschwistern, ist in vielen Teilen der Welt über die gesamte Kindheit und Jugend hinweg gängige Praxis. Übergangsobjekte wie Schnuller oder Teddybären gibt es nicht, stattdessen wird die menschliche Nähe, der Körperkontakt, als wichtiger Einschlaf-, Regulations- und Schutzfaktor eingesetzt. Die Bettzeiten richten sich eher am Rhythmus der Familie oder schlicht nach Tageslicht und Temperatur aus. In vielen Ländern gehen die Kinder mit ihren Eltern oder mit ihren älteren Geschwistern zu Bett. Das Familienleben findet am Abend statt. Ziehen sich die Bettzeiten hinaus, legen sich Kinder in der Nähe ihrer Bezugspersonen zum Schlafen hin und werden zu Bett gebracht, wenn die Schlafzeit für die Eltern gekommen ist. Mittagschlaf und spätere Aufstehzeiten sind Teil der gängigen Schlafpraxis (Crosby et al 2005; Jenni & O’Conner 2005; Mindell et al. 2015).

Der Mittagschlaf im Fokus

Der Mittagschlaf ist im Verhältnis zum Nachtschlaf bislang wenig erforscht. Unbestritten ist, dass Kleinkinder unter drei Jahren ihren Gesamtschlafbedarf in der Regel auf mindestens zwei Schlafphasen, eine kurze am Tag und eine längere in der Nacht, aufteilen. Uneinigkeit herrscht mit Blick auf kulturvergleichende Studien zum Mittagschlaf. In medizinischen Studien aus auf Autonomieorientierten Gesellschaften wie den USA, Kanada und Deutschland wird eher die Reduktion oder ein Wegfall des Mittagschlafes bei Kindern ab zwei Jahren verzeichnet. Danach lassen schon ca. 13 Prozent der Zweijährigen den Mittagschlaf weg. Etwa die Hälfte der Dreijährigen und lediglich ein paar wenige Kinder mit fünf Jahren (ca. acht Prozent) schlafen noch am Nachmittag (Mindell & Owens 2015).

In Studien, welche den (Mittag-)Schlaf von Kindern mit unter schiedlichem kulturellem Background untersuchen, sind die Zahlen bezüglich der Mittagschläfer bis ins hohe Kindesalter hinein zu finden. So legen sich noch ca. 40 Prozent der Kinder im Grundschulalter mit afroamerikanischen Wurzeln oder aus so genannten Siesta-Kulturen am Nachmittag schlafen (Crosby et al 2005; Jenni & O’Conner 2005). Auch in der asiatischen Bevölkerung sind es etwa die Hälfte der Kinder, welche am Nachmittag noch schlafen (Mindell et al. 2015). Die Gesamtschlafdauer der Kinder mit Mittagschlaf und ohne Mittagschlaf bleibt hingegen relativ konstant, die abendlichen Zubettgehzeiten und das morgendliche Auf wachen verschieben sich dafür parallel zum Mittagschlaf. Es gilt: ein Kind ohne Mittagschlaf geht am Abend früher ins Bett als ein Kind, das am Mittag schläft.

Kulturbewusste Schlafsettings in der Kita

Als Kita-Einrichtung ist zu analysieren, welche Schlafkulturen vermehrt in der Kita vorzufinden sind. Einrichtungen mit einem hohen Migrationsanteil sollten den Mittagschlaf z.B. bis ins Grundschulalter hinein anbieten und Akzeptanz zeigen für späte Bettzeiten und lange Mittagschlafzeiten. Es ist wichtig, verlässliche Rückzugsorte für Kinder in allen Formen der Kindertagesbetreuung zu schaffen, um die Bedürfnisse nach Ruhe und Schlaf jeder Zeit beantworten zu können. Das hat Auswirkungen auf die Raumstruktur, auf Buchungszeiten für die Kin- der und natürlich auch auf die Personalplanung. Träger und Leitungen sind hier gefordert, entsprechende Bedingungen zu schaffen.

Es wäre zudem hilfreich, wenn die Schlafplätze der Kinder sich an deren kulturellen Prägungen orientieren. Hier gehören Matratzenlager ebenso in das Repertoire wie Einzel- und Gitterbetten. Auch Begrenzungsmöglichkeiten und die Bettpositionierung im Raum (das eine Kind braucht etwas mehr Licht, als das andere) kann für Kinder ausschlaggebend sein, um sicher einschlafen zu können. Vor allem aber ist in der Zusammenarbeit mit den Eltern zu erörtern, welche Vorstellungen und Erwartungen zum Schlafen vorherrschen, wie das Schlafsetting zuhause aussieht und welche Bedingungen die Kita diesbezüglich stellen kann. Eine kulturbewusste Reflexion unter den Mit arbeitenden könnte helfen, Vorurteile abzubauen und feste Vorstellungen zum Kinderschlaf aufzulockern, wodurch sowohl eine höhere Beratungskompetenz als auch eine flexiblere Ausgestaltung des Schlaf- und Ruhesettings in der Einrichtung zu erwarten ist.

Differenzierung der Schlafausprägungen in der frühen Kindheit

Zahlreiche Studien zur Erfassung des Schlafbedarfs von Kindern haben gezeigt, dass sich bereits bei den Kleinsten große Unterschiede bzgl. der Dauer und der Eigenheiten des Schlafes auftun (Galland et al. 2012; Mindel & Owens 2015).

Während das eine zweijährige Kind nur etwa zehn Stunden Schlaf benötigt, um seinen Schlafbedarf vollständig abzudecken, benötigt das andere Zweijährige noch über 14 Stunden Schlaf (siehe Tabelle 1). Kurz- und Langschläfer können demzufolge nicht mit den gleichen Bettzeiten und Erwartungen zu Schlafdauer und Mittagschlaf behandelt werden. Häufig fehlt Eltern und auch Kita-Fachkräften dazu jedoch das entsprechende Wissen, wodurch falsche Bettzeiten und unpassende Schlafdauererwartungen entstehen, die zu inadäquaten Maßnahmen hinsichtlich der Verlängerung oder Verkürzung des Schlafes führen können.

Tabelle1
Tabelle 1: Schlafdauer von jungen Kindern (nach Galland et al. 2012; Mindell & Owens 2015, in Kramer & Gutknecht 2016)



Ähnlich verhält es sich mit den unterschiedlichen Schlafausprägungen der Kinder: Manche Kinder schlafen sehr rhythmisch, d.h. sind zu immer gleichen Zeiten müde, schlafen ohne Schwierigkeiten und großen Aufwand ein, schlafen die Nacht gut durch. Andere wiederum zeigen kaum einen klar zu definierenden Rhythmus, benötigen sehr viel Hilfe beim Einschlafen, wachen mehrfach in der Nacht auf und benötigen aufwändige Wiedereinschlafrituale.

Interessant ist auch ein Blick auf die innere Uhr: Schon im frühen Kindesalter können Morgen- und Abendtypen identifiziert werden. Ein Morgentyp ist früh wach und gerade am Morgen und am frühen Nachmittag sehr interessiert an seiner Umwelt. Am Nachmittag nimmt die Leistungsfähigkeit deutlich ab, und es stellt sich eine frühe Abendmüdigkeit ein. Abendtypen schlafen gerne etwas länger am Morgen, benötigen in der Regel eine ausgedehntere Aufwachzeit und finden ein erstes Leistungshoch am späten Morgen. Besonders aktiv werden diese Kinder am Nachmittag bis in den Abend hinein. Die richtigen Bettzeiten für Morgen- oder Abendtypen zu finden ist nicht immer leicht. Aber: Schlafen kann nur der, der auch wirklich müde ist. Eine Binsenweisheit, die wissenschaftlich untermauert ist (Renz-Polster & Imlau 2016; Zulley & Knab 2014).

Mittagschlaf oder Nachtschlaf – was ist wichtiger?

Ein ausführlicher, intensiver Nachtschlaf ist für die Gesundheit des Kindes insgesamt, für seine Entwicklung und Reifung, für Lernen und Gedächtnisbildung von größerer Bedeutung als der Mittagschlaf (Fukuda & Asaoka 2004; Staton et al. 2015). Hier verbringt der Schläfer/die Schläferin sowohl quantitativ als auch qualitativ mehr Zeit in wichtigen Schlafphasen, die für die oben aufgeführten Reifungs- und Entwicklungsbereiche unbedingt notwendig sind. Bei kleinen Kindern mit hohem Gesamtschlafbedarf deckt der Mittagschlaf einen Teil davon ab. Später kann er eine verkürzte Nacht ausgleichen und die zweite Hälfte des Tages qualitativ verbessern. Kinder, die mittags schlafen, sind emotional ausgeglichener und fröhlicher, zeigen eine höhere Lernbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit (Zulley & K nab 2014; Berger et al. 2012). Allerdings kommt es beim Mittagschlaf eben auch auf die Dauer und Qualität des Schlafes an. Während Erwachsenen ein so genannter „Powernap“ von ca. zehn bis 30 Minuten empfohlen wird (vermieden wird dabei das Eintauchen in den Tiefschlaf, welcher zur anschließenden Schlaftrunkenheit führen kann; Betroffene fühlen sich nach einem langen Mittagschlaf schlapp und finden nicht zurück in die Leistungsfähigkeit), sollten kleine Kinder zumindest einen Schlafzyklus (siehe Kasten) lang schlafen dürfen (Kramer & Gutknecht 2016).

Der Schlafzyklus

Ein Schlafzyklus beim Erwachsenen dauert ca. 90 Minuten an. Dieser Zyklus ist durch eine regelmäßige Abfolge von Schlafphasen gekennzeichnet, welche sich folgendermaßen einteilen lassen:

1: Halbschlaf,
2: leichter Schlaf
3: Tiefschlaf und
4: REM-Schlaf.

In welchem Verhältnis und in welcher Länge die Schlafstadien in der Abfolge vorkommen, kann innerhalb eines Zyklus unterschiedlich ausfallen, je nach Schlafdruck und Konsolidierungsbedarf. Die Schlafwissenschaft rechnet insbesondere den Tief- und R EM-Schlafphasen eine wichtige Bedeutung für komplexe Vorgänge bezüglich Gedächtnisleistung, Gesundheit und Emotionsregulation zu (Schäfer 2011). Nach einem Zyklus erwacht der Schlafende aus dem Schlaf. Ist noch Schlafbedarf vorhanden, beginnt nun ein neuer Zyklus und das kurze Erwachen bleibt in den meisten Fällen nicht in Erinnerung.

Der Zyklus eines Kindes verhält sich zwar in etwa wie der eines Erwachsenen, entwickelt sich bezüglich seiner Dauer jedoch altersabhängig. Schätzwerte können eine gute Orientierung darstellen, ohne die genaue Länge bestimmen zu müssen. Folgende Richtwerte lassen sich auf Grundlage verschiedener Studien bezüglich der Zykluslänge andeuten.

Die Zykluslänge und die Frage nach dem Wecken

Mit Blick auf die Richtwerte wird deutlich, dass eine Zykluslänge von ca. 90 Minuten erst bei einem Kind ab drei Jahren oder älter zu erwarten ist. Vorher sind die Zyklen deutlich kürzer, was vermutlich einem alten Überlebensmechanismus zuzuschreiben ist (Renz-Polster & Imlau 2016).

Studien weisen jedoch darauf hin, dass gerade ältere Mittagschlaf-Kinder häufig von selbst keine 90 Minuten mehr schlafen, sondern bereits vorher erwachen können (Blair et al. 2012). Es ist davon auszugehen, dass diese Kinder keinen hohen Schlaf bedarf mehr am Nachmittag aufweisen und sich nur den Schlaf „holen“, den sie tatsächlich benötigen.

Selbstständiges Erwachen vor der erwarteten Zykluslänge gilt nicht als problematisch. Es kann jedoch auch vorkommen, dass ältere Kinder am Nachmittag länger schlafen als jüngere Kinder. Während das Zweijährige nach 75 Minuten seinen Schlafzyklus abgeschlossen hat, ist das Vierjährige womöglich erst nach 90 Minuten ausgeschlafen. Werden die Kinder vor ihrem natürlichen Wachmoment aktiv geweckt, kann es passieren, dass dabei wichtige Konsolidierungsprozesse im Schlaf unterbrochen werden. Noch fehlen ausreichend Studien, um verlässliche Aussagen darüber treffen zu können, welche Schlafphasen im Kleinkindalter während des Mittagschlafes vermehrt vorkommen (Kurdziel et al. 2013). Nichtsdestotrotz ist zu vermuten, dass ein Kind seinen Gedächtnis-, Erholungs- oder emotionalen Regulierungsprozess nicht abschließen kann, wenn es aus ungünstigen Schlafphasen geweckt wird.

Es hat sich gezeigt, dass es günstige und weniger günstige Weckmomente gibt. In manchen Momenten erwachen Kinder trotz intensiver Weckimpulse gar nicht oder nur sehr schwer; hier befinden sie sich wahrscheinlich in einem intensiven Konsolidierungsprozess bzw. in einer wichtigen Schlafphase (z.B. im Tiefschlaf). Von weiteren Weckversuchen sollte jetzt unbedingt abgesehen werden! Leicht zu erwecken sind Kinder stattdessen in leichteren Schlafphasen, welche in jedem Fall am Ende und am Anfang eines Zyklus vorkom men. Häufig geht es nur um fünf bis zehn Minuten, bis das Kind von einer tiefen Phase in eine leichtere Phase am Ende des Zyklus überwechselt.

Tabelle2
Tabelle 2: Zykluslänge des Schlafs in Abhängigkeit vom Alter des Kindes (nach Jenni et al. 2003; Mindell & Owens 2015)
Nicht selten ist zu beobachten, dass das Kind im Schlaf nun unruhiger wird, die Atmung schneller geht, manchmal sogar die Augen öffnet und sich umschaut, bevor es wieder in den Schlaf abtaucht. Jetzt reicht bereits eine leise Ansprache oder sanfte Berührung, damit das Kind erwacht. Auch Lichteinfall und Alltagsgeräusche können am Zyklusende ein sanftes Wecken einleiten. In der Regel benötigen die Kinder nach günstigen Weckimpulsen eine relativ kurze Aufwachphase, bevor sie gut gelaunt und schnell wieder ins Spiel finden (Jenni & Benz 2007; Kramer & Gutknecht 2016).

Professioneller Umgang mit der Frage nach dem Wecken in der Kita

Ohne den genauen Ablauf innerhalb eines Zyklus von außen genau analysieren zu können, muss davonausgegangen werden, dass ein Wecken während des Zyklus in jedem Fall größere Gefahren für ungewollte Abbrüche der Konsolidierungsprozesse birgt, als ein Wecken nach einem abgeschlossenen Zyklus. Fachpersonen in Kitas stehen in der Verantwortung, den Schutz des Kindes zu gewährleisten, einen gesundheitsorientierten Tagesablauf zu gestalten und neben einer guten Betreuung der Kinder, die besten Bildungs- und Entwicklungschancen herzustellen. Unter Beachtung dieses Auftrages darf das Wecken von Kindern nicht ohne eine genaue Analyse des Weckmoments und der daran abzuleitenden Tagesbefindlichkeit geschehen.

Elternberatung über den Mittagschlaf in der Kita
Ein Kind sollte so lange schlafen dürfen, dass es interessiert, konzentriert und gut gelaunt den Tag verbringen kann. Kinder mit Mittagschlaf sind abends eventuell erst nach 20 Uhr müde, dafür am Nachmittag womöglich emotional wie auch kognitiv besser gerüstet, als Kinder ohne Mittagschlaf und frühen Bettzeiten am Abend. Über Kürzungen des Mittagschlafes sollte erst nachgedacht werden, wenn sich erhebliche Schwierigkeiten bezüglich der abendlichen Bettroutine auftun oder der Nachtschlaf nachhaltig beeinträchtigt ist. Für die Kita-Praxis ist von Bedeutung, dass Forderungen zur Kürzung oder Weglassen des Mittagschlafes nicht ohne klärende Gespräche mit den Eltern des Kindes umgesetzt werden sollten. Eine Analyse zum Gesamtschlaf bedarf und der Zykluslänge sind in jedem Fall in den gemeinsamen Entscheidungsprozess einzubeziehen. In Kramer & Gutknecht (2016) sind Fragen rund um das Wecken detailliert ausgearbeitet und Auswirkungen falscher Weckmomente näher beschrieben. Ein Schlaf-Protokoll zur Ermittlung eines günstigen Weckzeitpunktes ist ebenfalls enthalten.

Wenn der Mittagsschlaf zur Qual wird
Etwa die Hälfte der Dreijährigen benötig t noch einen Mittagschlaf. Die andere Hälfte kommt schon gut ohne diesen aus. Ein natürlicher Leistungsabfall, ein so genanntes Tief, kommt dennoch auch bei Wachkindern in der Mittagszeit vor (Zulley & Knab 2014). Lautstärke, viel Bewegung, intensive Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen und spannende Spielmomente fordern Kraft und machen müde. Jetzt ist ein Moment der Ruhe und Entspannung angesagt, insbesondere an einem so aktiven Ort wie der Kita. Während die einen Kinder jetzt unbedingt einen Mittagschlaf in der Kita benötigen, können andere stark unter einer Pflicht zum Mittagschlaf leiden.

Pflichtschlaf- oder auch Pflichtliegezeiten zum Ausruhen bedeutet für viele Kinder eine hohe emotionale wie auch körperliche Belastungsprobe. Anstatt Entspannung zu erfahren, was durch das Pflichtliegen eigentlich vorgesehen ist, steigt der Stresspegel (Staton et al. 2015; Fukuda & Asakoa 2004). Auf Dauer kann das sehr negative Folgen haben. Eine anhaltende Liege-Pflicht kann das Empfinden über die eigene Schlafqualität nachhaltig beeinträchtigen. Kinder fühlen sich dann weniger ausgeschlafen, obwohl sich ihre Gesamtschlafdauer gar nicht ändert. Häufig entstehen nächtliche Schlafstörungen und Bettwiderstände, mor- gens beim Aufwachen sind die Kinder schon schlechter Stimmung. Im schlimmsten Fall entwickeln die Kinder starke Aversionen gegen die Bildungseinrichtung mit Pflichtschlaf (Fuk uda und Asakoa 2004; Staton et al. 2015).

Kinder ohne Schlafbedarf profitieren eher von einer gut gestalteten Ruhephase ohne Liegezwang. Das bedeutet: Spannungsabbauendes Material muss zur Verfügung gestellt und eine professionelle Begleitung in ruhige Spiel-Angebote stattfinden können (Kramer & Gutknecht 2016). Leitungen und Träger sind hier aufgefordert, Einrichtungsbedingen herzustellen, welche eine tätigkeitsbezogene Ruhezeit personell und räumlich umsetzbar machen.

Ruhezeiten in der Kita pädagogisch planen
Welches Material und welche Angebote für die Ruhezeit den Kindern zur Verfügung gestellt werden sollten, ist abhängig vom Alter und den Interessen der Kindergruppe. Spannungsabbauende Aktivitäten sind solche, in denen das Kind eine körperliche oder geistige Entspannung erfährt, d.h. in keine konzentrierte Tätigkeit eintaucht. Darunter fallen z.B. Massagen, selbstgewählte Kuschelecken- oder Ruhe-Inseln, in der ein selbstinduziertes Liegen stattfinden kann. Lärm- und Reizreduzierung sind wichtig, um eine Regulation des Stresshaushalts zu unterstützen. Aber auch das Anbieten von Spielmaterial oder angeleitete Tätigkeiten, welche eine Aufwendung von Konzentration erfordern, können eine innere Ruhe beim Kind erzeugen, z.B. das Spiel mit Wasser und Sand, welches durch die taktile Zentriertheit häufig eine spannungsabbauende Wirkung hat (Kramer & Gutknecht 2016). Auch Hörspiele, Klanggeschichten und ausgewählte Sing- und Bewegungsspiele können die Atmosphäre maßgebend regulieren.

Ruhezeiten bedürfen einer ebenso guten geplanten Übergangs- und Durchführungsgestaltung wie das Schlafengehen. Die Materialien und Angebote müssen gut vorbereitet, im Team abgestimmt und räumlich sinnvoll präsentiert werden. Es müssen klare Absprachen im Team und mit den Kindern darüber herrschen, welche Regeln zu dieser Zeit gelten (z.B. Rennen ist nicht gestattet), wie die Ruhe-Zeit eigeleitet und ausgeleitet wird, unter welchen Kriterien die Kinder ihr Ruhematerial aussuchen und wechseln können und wie diese Phase transparent für die Kinder ersichtlich bleibt (z.B. solange die Sternenlampe leuchtet, ist Ruhezeit). In Gutknecht & Kramer (2018): Mikrotransitionen in der Kinderkrippe werden Strategien zur Übergangsgestaltung in und aus der Ruhezeit vorgestellt.

So individuell der Mensch, so individuell sind auch seine persönlichen Strategien, um zur Ruhe und zur Entspannung zu finden. Ein einzelnes Angebot, welches alle Kinder gleichermaßen zur Ruhe begleiten soll, kann nicht funktionieren. Es benötigt etwas mehr Vielfalt von Material- oder Spielangeboten, um alle Kinder einer heterogenen Gruppe zu erreichen und den gewünschten Effekt des Stressabbaus durch eine Ruhephase zu erzielen.

Professionalisierung der Kita-Fachkräfte
Das Schlafen und Ruhen in der Kita ist nicht nur in der täglichen Umsetzung ein anspruchsvolles und organisatorisch aufwendiges Thema, sondern bei näherer Betrachtung auch fachlich hoch komplex. Es beinhaltet Wissensbezüge aus anderen Disziplinen, z.B. der Schlafforschung und Medizin und erfordert von den Fachpersonen in Kitas eine hohe Reflexionsfähigkeit und Beratungsexpertise. Einer finnischen Studie nach sind Maßnahmen zur zielgerichteten ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   der Fachpersonen zu diesem Thema hoch wirkungsvoll (Siren-Tius- anen & Robinson 2001). Aus der Studie geht hervor, dass Fachpersonen, die über ein umfassendes Wissen verfügen, die Schlafzeiten und die Umgebungsgestaltung in der Kita (Schlafraumsetting, Übergangsgestaltung, Schlafbegleitung) den kind- und gruppendynamischen Anforderungen besser anzupassen vermögen. Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern, insbesondere in Bezug auf ein weckfreies Schlafenlassen, profitiert durch die Professionalisierung der Fachpersonen deutlich.

Es ist unbedingt notwendig, Fachkräfte in den Kitas zum Thema Schlafen und Ruhen über Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, zielgerichtete Fachliteratur und profunde Beratungsangebote mit Fachwissen zu versorgen, um eine Professionalisierung in der Praxis aufbauen und erhalten zu können. Hier sind Politik und Ausbildungsstellen aufgefordert, entsprechende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einzuleiten und das Thema in die Bildungspläne und Konzeptionsvor gaben zu integrieren. Darunter fällt auch die Netzwerkarbeit mit medizinischen Fakultäten und Experten, die das theoretische Wissen mitbringen. Es ist über Multiplikatoren nachzudenken, die den Transfer von der Schlafwissenschaft in die Kita-Praxis fachlich begleiten und auch zu Beratungssituationen mit Eltern hinzugezogen werden könnten. Träger und Leitungen sind hingegen aufgefordert, das Thema ernst zu nehmen und entsprechende räumliche wie auch personelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Schlafen und Ruhen in den Einrichtungen umsetzbar machen sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv zu Weiterbildungsmaßnahmen auszusenden.


LITER ATUR

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Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus frühe kindheit 04-18, S. 6-15


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