Mut zur Veränderung

Wie Veränderungsprozesse in der KiTa gelingen können

Mut zur Veränderung: Was dabei hilft, Neues besser anzunehmen, welche Rolle unsere Gewohnheiten spielen und warum es sich lohnt, Dinge mal anders zu betrachten.


Eine Übung vorweg:

Gleich zu Anfang diese Beitrages möchte Sie zu einer kleinen Übung einladen: Falten Sie einmal vor sich die Hände! Stellen Sie nun fest, welcher Daumen oben und welcher kleine Finger unten liegt. Ist der rechte Daumen oben und der linke kleine Finger unten oder umgekehrt? Wie auch immer: Falten Sie nun die Hände genau anders herum! Und nun springen Sie hin und her: Falten Sie einmal die Hände wie gewohnt und dann wieder auf die neue Art und wieder zurück, mehrmals hintereinander. Bis das flüssig ohne Verhaken klappt. Und nun nehmen Sie sich vor, bei nächster Gelegenheit vor dem Fernseher oder in einer Besprechung über die gesamte Dauer hinweg Ihre Hände auf die neue, noch ungewohnte Art zu verschränken. Wie? Das ist zu anstrengend, weil ungewohnt? Oder weil unsinnig? Glückwunsch: Sie haben soeben in komprimierter Form ein paar Erkenntnisse über wichtige Aspekte im Zusammenhang mit Veränderungen gewonnen.


 
In keiner Dekade hatten Kindertagesstätten bisher so viele strukturelle und konzeptionelle Veränderungen zu bewältigen, wie in der letzten. Ob Einführung von Qualitätsmanagement einschließlich Beobachtungs- und Dokumentationssystemen, Bildungsplan, Erweiterung um zusätzliche Altersstufen mit Zusammenlegungen, Aus- oder Umbauten, Inklusion und Familienzentrum, verlängerte Öffnungszeiten, Partizipation oder Beschwerdemanagement: Allen ist gemeinsam, dass der Wandel für die einzelne Person im System an vielen kleinen Stellen vollzogen werden muss. Tagesablauf, Gruppenräume, kollegiale Zusammenarbeit, Arbeitszeiten, Rituale bis hin zu gewohnten Alltagstätigkeiten und Handgriffen müssen angepasst werden und erfordern Umstellung. Da ist die Umstellung auf neuartig verschränkte Hände, wie in der Übung links beschrieben, ein Klacks dagegen. Dabei findet Wandel ohnehin und immer statt, nach dem Motto: Die Zahnpasta kann nie in die Tube zurück. Denn das Hinterher ist immer anders als das Vorher. Das Treiben im Strom ist wesentlich weniger anstrengend als das Gegen-den- Strom-schwimmen. Kein Gärtner käme auf die Idee, den gesunden Pflanzen im Garten den Wechsel der Jahreszeiten ersparen oder sanfter gestalten zu wollen. Bei unserem allzu schnell aktivierten und wohlmeinenden Bedürfnis, die Kinder zu schützen vor anstehenden Veränderun- gen, handelt es sich nicht selten um eine Projektion, weil an unseren fest verankerten Gewohnheitsmustern gerüttelt wird und wir das eigene Bedürfnis nach Kontinuität unbewusst auf die Kinder übertragen. Vor allem, wenn Veränderungen plötzlich und unvorbereitet hereinbrechen ist dieser Impuls umso stärker. Schleichende, organische Veränderungen und Entwicklungen hingegen laufen unterschwellig und sehr viel geschmeidiger ab.

PädagogInnen sind "Gewohnheitsgenie"

Wir Menschen, aber vor allem wir Pädagoginnen und Pädagogen, sind Gewohnheitsgenies, aus gutem Grund: Unsere Gewohnheitsmuster sind eine wichtige Ressource, indem wir durch etablierte Gewohnheitsmuster Sicherheit zurückgewinnen, die uns verloren gegangen ist, im gleichen Zuge wie unsere Instinkte als verlässliche Antennen für unser Handeln verkümmert sind: Gewohnheiten ersetzen Instinkte. Zugleich entlasten uns unsere Gewohnheiten. Sie ermöglichen ökonomisch hocheffiziente Routineabläufe und verhindern, über jede einzelne Aktion bewusst nachdenken zu müssen. Das reicht vom Aufstehen, Duschen und Frühstücken am Morgen über die Begrüßung und Vorbereitung der Umgebung für die Kinder, dem Einnehmen der Mahlzeiten und dem Erstellen pädagogischer Rituale und Angebote über die Aufräumarbeiten zum Ende des Arbeitstages. Auch administrative Alltagsaufgaben werden routiniert, ohne viel nachzudenken, auf gewohnte Weise durchgeführt. Ein dritter Vorteil individueller Gewohnheiten ist die Einschätzbarkeit und damit Sicherheit für Andere: Wenn die Tür zwischen 12 und 13 Uhr geschlossen ist, wissen Andere, dass die Gruppe isst und nicht gestört werden möchte. Wenn Erzieherinnen rufen: „Kommt bitte zum Stuhlkreis“ wissen eingewöhnte Kinder, was auf sie zukommt und was von ihnen erwartet wird.

Wir Menschen sind also Gewohnheitsgenies: Wir gewöhnen uns ganz schnell an neue Kinder und deren Familien mit deren Gewohnheiten, an einzuschlagende Wege, an Sitzordnungen und Ordnungssysteme, an neue Kolleginnen und Kollegen, an ver- änderte Räume und vieles mehr. Doch neben viel Gutem bergen Gewohnheiten auch Suchtgefahr in sich: Dadurch dass Sie uns mit Sicherheit und Entlastung locken und uns deren Beibehalten sozial unkompliziert für Andere macht, verfestigen wir sie so, dass irgendwann das Gegenteil einkehrt: Sie machen uns krank, unfrei und sozial unbequem. Man spricht dann plötzlich von „schlechten“ Gewohnheiten. Dabei darf die Gewohnheit nicht grundsätzlich infrage gestellt werden, sondern muss im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt gesehen werden: War die Ausbildung einer Gewohnheit früher sinnvoll, haben sich womöglich heute andere Bedingungen eingestellt, auf die die Gewohnheit nicht mehr die passende Antwort darstellt. Bin ich früher immer erst um 7 Uhr aufgestanden und kam dennoch pünktlich am Arbeitsplatz an, kann das nun durch eine Baustelle auf dem Weg zu spät sein. Nicht die Baustelle trägt also die Verantwortung für das Zuspätkommen, sondern die alte Gewohnheit, die zur neuen Situation nicht mehr passt.

Die Relevanz dieser Betrachtung ist immens: Es macht einen großen gefühlten Unterschied, ob dem bisherigen Bildungsverständnis von Erzieherinnen und Erziehern ein neuer pädagogischer Ansatz gegenüber gestellt wird oder ob die bisherigen Gewohnheiten der Fachkräfte eine Wertschätzung erfahren, nach dem Motto: „Ihr habt es jahrelang völlig richtig gemacht, denn schließlich wussten wir alle es ja nicht anders. Nur hat sich etwas verändert, und zwar… “

Partizipation und Selbstwirksamkeit sind entscheidend bei Veränderungsprozessen

Der Wunsch nach Festhalten an Gewohntem stellt also weder Unfähigkeit noch mangelnde Motivation oder Widerstand dar, sondern gehört dazu, wenn Veränderungen anstehen. Er ist Ergebnis und Ausdruck kollektiven Einübens berechtigter Verhaltensweisen, die jahrelang Sicherheit, Entlastung und Vorhersehbarkeit gewährleistet haben. Wie stark der Wunsch nach Festhalten an Gewohnheiten ausgeprägt ist, hängt nicht zuletzt auch von der Einrichtungskultur ab: Je größer die Bedeutung von Standardisierung und Regeleinhaltung, desto schwerer fällt die Öffnung für Neues. So formuliert der Lyriker Stanislav Lec: „Vor allem Ihr Gradlinigen, gebt acht in den Kurven!“.

Alle zeitlich befristeten, zielorientierten und durchstrukturierten Veränderungsprojekte erfordern also unweigerlich immer auch eine wohlwollende Auseinandersetzung mit Gewohnheiten und deren Wandlung. Schon deshalb ist Partizipation aller Beteiligten ein unverzichtbarer Faktor. Die Erzieherinnen und Erzieher machen durch die aktive Mitgestaltung struktureller Veränderungen die stärkende Erfahrung, Dinge bewegen zu können.

Dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit ist ein wesentlicher Mut- und Motivationsfaktor auf dem Weg zu Neuem.

So können auch komplexere Herausforderungen wie das ungewohnte Händeverschränken gelingen. Immer unter der Voraussetzung, Sie geben sich und anderen ausreichend Zeit und haben viel Geduld und Durchhaltevermögen an Bord! Nicht selten braucht es gute Argumente, um den Prozess vor unangemessenem Druck von außen zu schützen. Denn eines ist klar: Gras, Kinder und Pädagoginnen wachsen nicht schneller, wenn man an ihnen zieht.




Veränderungen können gut gelingen, wenn die „ZUKUNFT-Formel©“ berücksichtigt wird:

  • Z wie Zielklarheit und Zielstrebigkeit: Damit alle gerne ins gemeinsame Boot steigen und mitrudern.
  • Uwie Untersuchung des Umfelds: Um sicherzustellen, dass alles Neue an Lebenssituationen von Kindern und deren Familien ausgerichtet ist.
  • Kwie Konstruktive Kommunikation: Damit einhergehende Konflikte gar nicht erst aufkommen beziehungsweise deeskalierend bearbeitet werden können.
  • Uwie Umfassende Unterrichtung: Damit alle über alles für sie Relevante ausreichend informiert sind.
  • Nwie Nachvollziehbare Navigation: Um sich sicher fühlen zu können durch Fürsorge einer projektverantwortlichen Person und die Transparenz des aktuellen Standes des Projektplans.
  • F wie Fortbildung und Fortschritt: Denn Veränderung braucht immer auch Kompetenzerwerb und Offenheit für das Neue
  • T  wie Tatkräftiges Tun: Damit wir das Neue ausprobieren können und so schnell wie möglich erlebbar machen.


 

Zum Weiterlesen

  • Viva Fialka: Handbuch Bildungs- und Sozialmanagement. Verlag Herder, 2011
  • Viva Fialka: Management kompakt. Wie Sie mit Veränderungen umgehen und sie mit dem Team gestalten. Changemanagement. Verlag Herder, 2011

 
Erstveröffentlichung  in: Meine Kita, Ausgabe 1/2014, S. 6 -8

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von Meine Kita