Auf der einen Seite: Drei- bis sechsjährige Kinder, welche in der Kindertagesstätte spielen und forschen, basteln und konstruieren, fragen und suchen. „Wie kann ich mit den Bauklötzen einen möglichst hohen Turm bauen? Warum schwimmt ein Stück Holz, ein Stück Metall aber nicht? Hat ein Regenwurm Augen, können Fische hören?“


Auf der anderen Seite: ErzieherInnen, die gerne auf diese und ähnliche Fragen eingehen und die Kinder fördern würden, wären da nicht verschiedenste Probleme: „Ich weiss einfach zu wenig Bescheid in Natur und Technik; ich traue mir nicht zu mit den Kindern naturwissen-schaftliche Fragen und Experimente anzugehen; wir haben in unserer Kita kein entsprechendes Experimentiermaterial.“

 

Genau hier, an diesem Problem, setzt die Arbeit von Dr. Monika Zimmermann (Pädagogische Hochschule Heidelberg) an. Wie lassen sich ErzieherInnen fördern und begleiten, da-mit sie mit Kompetenz und Freude jungen Kindern Wege in Natur und Technik erschliessen können? Es geht also einerseits um „Frühe naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten“, andererseits um die „Kompetenzentwicklung von Erzieherinnen“. In ihrer Dissertation geht Monika Zimmermann die skizzierten Probleme sowohl von der theoretischen wie von der praktischen Seite an.

 

Theorie der naturwissenschaftlichen Frühförderkompetenz
 

Im ersten Teil der Arbeit entwickelt die Autorin in mehreren Kapiteln eine Theorie der „naturwissenschaftlichen Frühförderkompetenz“ (NFFK) und deren Entwicklung bei ErzieherInnen. Als Arbeitsdefinition notiert sie (S. 186): „Naturwissenschaftliche Frühförderkompetenz bezeichnet hier die Fähigkeiten, die Erzieherinnen benötigen, um den Lernprozess von Kindern im Kindergarten in ihrer Begegnung und Auseinandersetzung mit alltagsbezogenen Phänomenen der belebten und unbelebten Natur spezifisch zu begleiten und zu fördern. Zielperspektive für die Förderung der Kinder ist, beim Kind Selbstaktivität und Kompetenzerleben zu ermöglichen, damit die Neugier auf das Entdecken und die Begeisterung für naturwissenschaftliche Zusammenhänge möglichst lebenslang erhalten bleibt.“ Monika Zimmermann stützt sich in der Theorieentwicklung – ganz einem interdisziplinären Ansatz verpflichtet – auf so verschiedene Disziplinen bzw. Theorien wie Schulpädagogik, Konstruktivismus, pädagogisch-didaktische, elementarpädagogische, fachdidaktische, psychologische, neurodidaktische und bildungspolitische Grundlagen. Es entsteht ein Kompetenzmodell, welches vier Hauptdimensionen, nämlich Sach-, Reflexions-, Selbst- und Handlungskompetenz umfasst, die ihrerseits in je drei bis vier Subdimensionen gegliedert sind. Basierend auf diesem Modell erarbeitet die Autorin ein detailliertes Fortbildungs- und Coachingkonzept sowie einen Fragebogen zur „Erfassung, Analyse und Entwicklung von NFFK“.


 

Interventionsstudie

 

Der zweite Teil der Arbeit ist der Interventionsstudie gewidmet. Monika Zimmermann beschreibt detailliert die Befragung von ErzieherInnen zum Verständnis von NFFK, die von ihr durchgeführten Kompetenz- und Kompetenzentwicklungsanalysen („Wie entwickelt sich die NFFK unter Berücksichtigung verschiedener Treatments und Parameter?“), die Beurteilung der Wirksamkeit des Fortbildungs- und Coachingkonzepts durch die Erzieherinnen. Sorgfäl-tig, verständlich und nachvollziehbar werden Vorgehen, Datenerhebung und Auswertung sowie die Resultate notiert.

 

Ergebnisse und Perspektiven
 

In den letzten zwei Kapiteln fasst die Autorin „Ergebnisse und Perspektiven“ zusammen und gibt einen „Ausblick“. In ihren Schlussfolgerungen entwickelt sie drei Thesen:

 

  • „Ohne Aufbau eines positiven professionellen Selbstkonzeptes durch die Erzieherinnen ist eine nachhaltige Implementation der frühen naturwissenschaftlichen Bildung nicht zu erwarten.“ In einem Drei-Phasen-Modell setzt die Autorin auf „Begeistern – Bewusst machen – Befähigen“ (S. 527).
  •  „Nachhaltige NFFK-Entwicklung benötigt kognitives Verhaltenstraining, um die Erzieherinnen auf ihrem Weg von der Absicht zur Handlung hilfreich zu begleiten.“
  • „Das für die Fortbildung von Erzieherinnen entwickelte ‚integrative ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.  smodell‘ ist übertragbar auf andere Settings der Bildung von Elementarpädagogen, insbesondere in die Fachschulausbildung von Erzieherinnen und in die neuen elementarpädagogischen Studiengänge.“

 

Abgerundet wird die Arbeit mit neun Forschungsimpulsen, welche neue Perspektiven und Horizonte erschliessen sollen.

 

Wissenschaftlich Fundiertes und praxiserprobtes Modell


Es ist das grosse Verdienst von Monika Zimmermann ein wissenschaftlich fundiertes, in die Weiterbildungspraxis umgesetztes und evaluiertes Modell der NFFK und deren Entwicklung erarbeitet zu haben. Wer sich für die Aus- und Weiterbildung von ErzieherInnen im Bereich der naturwissenschaftlichen Bildung interessiert bzw. in diesem Bereich arbeitet, kommt an der Dissertation – besser: an dem Werk – von Monika Zimmermann nicht vorbei. Die Arbeit besticht u.a. durch die breite theoretische Fundierung, das elaborierte Weiterbildungskonzept, die detaillierte Evaluation der verschiedenen Treatments, die empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden. abgestützten Folgerungen, die gleichermassen kritischen wie zukunftsträchtigen Rück- und Ausblicke. Es ist daher nicht vermessen, die vorliegende Arbeit als ein Grundlagenwerk für die naturwissenschaftliche Frühförderung im Elementarbereich zu bezeichnen.


"Optimismus-Forschung"

 

Monika Zimmermann ordnet ihre Forschungsarbeiten der „Optimismus-Forschung“ zu, einer Forschung, welche nicht von den Defiziten der Akteure, hier der ErzieherInnen, ausgeht, sondern von deren Stärken. In Anlehnung an Monika Zimmermanns Begriff lässt sich von dem vorliegenden Werk von einem „Optimismus-Buch“ sprechen. Ein Buch welches Mut macht und zum Handeln anregt. Ein Buch, das dazu beiträgt:

 

  • auf Kinderfragen eingehen und die Neugierde und das Interesse von Kindern an naturwissenschaftlichen Fragen, Phänomenen und Prozessen steigern zu können;
  • die Kompetenzen von ErzieherInnen in Bezug auf naturwissenschaftliche Frühförderung fördern zu können.

 


Prof. Dr. habil. Peter Labudde
(Basel, PH FHNW, Zentrum Naturwissenschafts- und Technikdidaktik)

 

 

  • Monika Zimmermann: Naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten. Logos Berlin, 616 S., 52 Euro.