Familienmigration und ihr Einfluss auf Sozialisationsziele
Projektbeschreibung:
Projektleitung:
Projektmitarbeiter:
Kooperationspartner:
- Prof. Dr. Dorit Roer-Strier (Hebrew University, Jerusalem)
- MA Oleg Pachenkov (Deputy director at CISR (Centre for independent Social Research), St. Petersburg, Russland)
- Vera, Dekanj, Mitglied der jüdischen Gemeinde in Donezk, Ukraine
Hintergrund / Fragestellung
In diesem Projekt geht es um die Prozesse der Adaptation von Migranten an ihr neues „Lebensumfeld“ und die damit einhergehenden potentiellen Veränderungen hinsichtlich der Erziehungsziele von Migranten-Müttern und Großmüttern für ihre Kinder bzw. Enkel.
Ziel ist es herauszufinden, was für Erwartungen Migranten-Mütter und Großmütter an ihre Kinder und Enkel haben, wie Mütter den „Aufnahmekontext“ wahrnehmen bzgl. Erziehung, ob es Unterschiede zu den Erwartungen gibt, die Personen in der Herkunftskultur angeben und ob sich Generationenunterschiede dabei zeigen. Wenn letzteres der Fall sein sollte, wäre von Interesse welchen Einfluss die Aufnahmekultur auf Generationenunterschiede haben könnte.
Diesbezüglich werden Mütter und Großmütter russisch-jüdischer Herkunft in Deutschland und Israel befragt (Aufnahmekontexte) und auch Mütter und Großmütter in Russland und der Ukraine (Hauptherkunftskulturen dieser Migrantengruppe). Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass die Befragten ein Kind bzw. Enkel im Alter von 0-6 Jahren haben.
Die Konzepte, die untersucht werden lassen sich auf der Basis der Konzepte Autonomie und Relationalität darstellen.
Untersuchungsdesign
Im Berichtjahr 2008 wurde mit der Datenerhebung begonnen. Hierfür wurden eine Vielzahl von jüdischen Gemeinden in Niedersachen und Nordrheinwestfalen kontaktiert, um die Familien mit dem Projekt – über Elternbriefe und Flyer – vertraut zu machen und die Gemeinden zur Mitarbeit bei der Suche nach potentiellen Teilnehmern zu motivieren. Kontaktadressen ließ die jeweilige Gemeinde nach Einwilligung der Eltern der Projektleitung zukommen, so dass die Befragungen nach Absprache mit den Familien wahlweise in russischer oder deutscher Sprache, in der Gemeinde oder bei den Probanden zu hause stattfanden.
In Israel, in Russland und der Ukraine wurde die Untersuchung zu verschiedenen Zeitpunkten jeweils durch Interviewer des dortigen Kooperationspartners in russischer Sprache durchgeführt.
Im ersten Teil der Befragung wurden soziodemographischsoziodemographisch|||||Soziodemographische Daten werden häufig in Sozialforschungen erhoben. Der Begriff, der Bevölkerungsmerkmale beschreibt, umfasst häufig Kategorien wie: Geschlecht, Alter, Familienstand, Religion, Schulabschluss, Nationalität, Haushaltsgröße etc.e Daten mit Hilfe von Fragebögen erhoben. Im zweiten Teil wurde ein semistrukturiertes Interview durchgeführt und aufgezeichnet zu den Themen Migration, Familie und Erziehung, mit Fokus auf Sozialisationsziele und im dritten Teil wurden noch einmal Fragen zu Werthaltungen (Autonomie und Relationalität, Migrationserfahrungen, Sozialisationsziele und Identität) mittels Fragebögen erhoben.
Stand der Erhebung und Auswertung
Bis Ende Dez 2009 wurden folgende Großmütter-Mütter Paare (Dyaden) erhoben:
33 Dyaden in Israel, 13 Dyaden in Deutschland und 10 Dyaden in Russland. Weiterhin kam es zu 11 Einzelinterviews in Deutschland (meist mit der Mutter des Zielkindes, da die Großmutter dem Interview kurzfristig fernblieb), und zu 7 Einzelinterviews in Russland. In der Ukraine hat die Datenerhebung im April 2009 begonnen, bis dato haben wir 5 Dyaden erhalten, 5 weitere sind schon erhoben, aber noch nicht übermittelt. 61 Interviews sind bis dato transkribiert und übersetzt worden.
Die Auswertung der Interviews basiert auf der Methode der Grounded Theory. Textinterpretation („theoretisches Kodieren“) führt bei dieser qualitativen Analysemethode zu einer „Theorie“ über das untersuchte Handlungsfeld. Vorkenntnisse über das Handlungsfeld werden als sensibilisierende Konzepte gewertet, die es erlauben sich dem „Thema“ präziser, aus der Sicht der Befragten zu nähern und es in seiner Komplexität zu erfassen. Das ständige Vergleichen ähnlicher Textstellen wird durchgeführt, bis eine „Sättigung“ eintritt, d.h. sich keine neuen Gesichtspunkte mehr ableiten lassen für die Theorienbildung. Für die Auswertung der Fragebögen werden statistische Methoden verwandt.
Erste Ergebnisse
Die hier berichteten Ergebnisse basieren auf den Fragebogendaten aller befragten Personen (N=136) und den Interviewdaten von 7 Großmütter-Mütter Dyaden aus Deutschland, 7 Dyaden aus Israel und 7 Dyaden aus Russland (N= 42).
In der folgenden Tabelle sind ein paar soziodemographische Daten der Stichprobe abgebildet (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1 - Stichprobenbeschreibung
Nachdem sich im ersten Schritt einige Kategorien bzgl. Sozialisationszielen von Großmüttern und Müttern herauskristallisiert hatten (angemessenes Verhalten, Selbst-Maximisierung und Bildung), wurden im weiteren Verlauf der Analyse Typen gefunden, die hinsichtlich ihrer Ziele unterschiedliche Einstellungsmuster aufweisen.
Der erste Typ zielt auf emotionale Independenz bei Kindern ab, der zweite Typ ist eher direktiv zu nennen. Während der erste Typ eher bei den russischen und deutschen Müttern und Großmüttern vorkommt, sind direktive Typen eher bei den befragten Familien in Israel zu finden.
Emotionale Independenz:
Mütter und Großmütter, die emotionale Independenz forcieren, lassen ihren Kindern /Enkeln Freiheiten in der Absolvierung täglicher Routinen, die kindlichen Bedürfnisse und Autonomiebestrebungen der Kinder werden dabei berücksichtigt und die kindlichen Meinungen unterstützt. Eine Eltern-Kind Partnerschaft wird angeregt, die auf „gegenseitigem“ Respekt fußen soll. Mütter, aber auch Großmütter sowohl in den Aufnahmekontexten als auch im Herkunftskontext berichten von gesellschaftlichen und zeitlichen Veränderungen, die die Kindererziehung mit beeinflussen. In beiden Generationen wird hier klar von einer Veränderung der Eltern-Kindbeziehung und der Ziele für die Erziehung von Kindern über die Zeit und über die Generationen berichtet, die auf die Veränderung des Lebenskontexts und der Anpassung daran zurückgeführt wird. Auch wenn vieles im Aufnahmekontext nicht gut geheißen wird, wie z.B. der Umgang mit Älteren und die Bildungsqualität, sehen diese Mütter und Großmütter auch die Vorteile einer „offeneren“ Erziehung und versuchen sich das beste aus den verschiedenen Erziehungskontexten zu ziehen. Eine Mutter benennt das „die goldene Mitte“ suchen.
Direktive Independenz:
Die direktive Perspektive Autonomiebestrebungen des Kindes zu unterstützen basiert eher auf der Angst vor Kontrollverlust über das Kleinkind, die in einer Aufnahmegesellschaft, welche bzgl. der Erziehungsqualität eher negativ betrachtet wird, relativ viel Gewicht zu haben scheintUm die Angst vor Kontrollverlust zu vermindern, wäre die Legitimisierung von (körperlicher) Bestrafung wünschenswert, leider ist Bestrafung im Aufnahmekontext nicht legal. Eine weitere Strategie diesbezüglich scheint die gelehrte Akzeptanz von Hierarchien zu sein; der Respekt vor Ältern (aber nicht gegenseitiger Respekt) erscheint hier relevant.
Was auf den ersten Blick als sehr kontrollierend, nicht die Independenz fördernd, gesehen werden könnte, entpuppt sich als Strategie, die auf Umwegen zu Independenz führen soll, denn Independenz wird als wichtige Eigenschaft gesehen, um im neuen Lebenskontext zu überleben. Den Müttern und Großmüttern ist klar, dass ihr Kind sich später behaupten muss. Allerdings erscheint es diesen Müttern noch zu früh, ihren Kleinkindern viele Freiheiten zuzugestehen, da die Kinder -ihrer Meinung nach- damit noch nicht umgehen können.
Zusammenfassung:
Mütter, die den direktiven Weg bevorzugen zeigen sich also insgesamt einem eher konservativem Bild von Erziehung zugetan, das oftmals auf die direkte Übernahme der elterlichen Erziehungsstrategien basiert, nach eigenen Aussagen dieser Personen. Die Erziehungs-Umgebung wird relativ negativ gesehen und man ist der Meinung sich davor schützen zu müssen. Die befragten Mütter und Großmütter im Aufnahmekontext Israel bevorzugen diesen Weg zur Independenz viel eher als befragte Dyaden im Aufnahmekontext Deutschland und im Herkunftskontext Russland.
Weiteres Vorgehen:
Im Weiteren wird die systematische Aufstellung der Probanden nach Typen weiter ausgebaut und auf die gesamte Stichprobe ausgeweitet, sowie die Stichproben weiter nach generationalen Unterschieden und Gemeinsamkeiten (Mutter-Großmutter) und nach Kontext (3 Stichproben) verglichen. Die Analyse der ukrainischen Interviews wird in die Wege geleitet und zusammen mit denen aus Russland (Herkunftskontexte) mit den Interviews aus den Aufnahmekontexten verglichen, um einen genaueren Einblick in die Art des Einflusses der Migration auf das Thema der Erziehung zu erhalten.
Letztendlich wird dann noch eine methodische Triangulation angestrebt, bei der durch Abgleich von Fragebogendaten und Interviews versucht wird, inhaltlich Lücken der reinen Erzählungen durch statistischen Daten zu füllen und das Wissen über diese Migrantengruppe zu erweitern.
Implikationen für die Praxis:
Wie erwartet setzen die befragten Migrantenfamilien bei der Erziehung ihrer Kinder etwas andere Schwerpunkte als dies in den Aufnahmekontexten – nach subjektiver Wahrnehmung der Mütter und Großmütter – der Fall ist. Sie sind oftmals nicht einverstanden mit der Art und Weise, wie z.B. in Bildungsinstitutionen (KiTa, Schule) mit dem Thema Bildung und Erziehung umgegangen wird. Trotzdem scheint es unterschiedliche Wege zu geben damit umzugehen, Einflussfaktoren zu kennen erscheint an dieser Stelle wichtig.
Die Ergebnisse dieser Studie können weiterhin die Kernthemen aufzeigen, die zu Missverständnissen zwischen Familien mit Migrationhintergrund und Aufnahmegesellschaft führen. Durch dieses Wissen können beide Dialogpartner sensibilisiert werden für die Anliegen des jeweiligen Gegenübers und ein Beitrag zur besseren Integration geleistet werden.
Projektdetails
Projektart: | Forschungsprojekt |
Träger: | nifbe-Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur |
Straße: | Artilleriestr. 34 |
Ort: | 49069 Osnabrück |