Kinder mit psychisch erkranktem Elternteil

Was im Umgang beachtet werden sollte

Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil sind keine Seltenheit. Auch wenn die psychische Erkrankung eines Elternteils nicht immer fachliche Hilfe für die betroffenen Kinder notwendig macht, kann sie ein Entwicklungsrisiko für die Kinder darstellen. Um betroffene Kindern bestmöglich zu unterstützen und ihnen Bildungsbeteiligung zu ermöglichen, sollten bei der Zusammenarbeit mit den Familien einige Besonderheiten berücksichtigt werden.

Viele betroffene Kinder

Studien gehen davon aus, dass in Deutschland ca. 30 % der Erwachsenen im Laufe eines Jahres von einer psychischen Erkrankung betroffen sind.(1) Knapp ein Drittel dieser Menschen, die deshalb in einer Klinik behandelt werden, sind auch Eltern minderjähriger Kinder.(1) Starke Hinweise auf Angststörungen und Depressionen, die als häufigste psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter gelten, zeigen sich einer weiteren Studie zufolge bei 4,4 % der Eltern mit Kindern bis zu drei Jahren, schwächere Hinweise bei 15,7%. (2)

Bei der Behandlung der Eltern ist es wichtig, auch eine mögliche Belastung der betroffenen Kinder in den Blick zu nehmen. Gerade bei Kleinkindern zeigen sich mögliche Auswirkungen einer belastenden familiären Situation meist in internalisierenden Störungen (wie Rückzugsverhalten, unsicherer Bindung, geringer Explorationsaktivität und verzögerter Sprachentwicklung), die von außen zunächst kaum bemerkt werden – sie sind also eher „unauffällig auffällig“. (3)

Mögliche Belastungen der betroffenen Familien

Eine psychische Erkrankung führt nicht automatisch zu hohen Belastungen für die Familie. Dennoch betrifft eine psychische Erkrankung immer die gesamte Familie.(3) In Akutkrisen fühlen sich erkrankte Elternteile oft von Erziehungsaufgaben überfordert und haben Selbstzweifel.(4) Je nach Art der Erkrankung können dann die Eltern-Kind-Interaktionen hinsichtlich EmpathiefähigkeitEmpathiefähigkeit|||||Der Begriff bezeichnet die Fähigkeit empathisch auf andere Menschen oder Tiere einzugehen. Dazu gehört es Gedanken, Emotionen, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale zu erkennen oder zu verstehen. Auch eigene Reaktionen auf Gefühle, wie Mitleid, Trauer und Schmerz gehören dazu.

, Feinfühligkeit und emotionaler Verfügbarkeit des Elternteils eingeschränkt sein. Zusätzlich haben betroffene Elternteile häufig große Angst, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren.(1) Denn trotz Belastungen durch die eigene Elternschaft bietet gerade diese Aufgabe oft einen inneren Halt, und die Kinder werden als Kraftquelle erlebt.(5) Gesunde Elternteile sind häufig unsicher im Umgang mit der psychischen Erkrankung des anderen Elternteils und in Akutkrisen oftmals stark überfordert.(4) Schuldgefühle und Scham können zusätzlich belasten und zu einer Tabuisierung der Krankheit mit regelrechten „Schweigegeboten“ führen. Diese Umstände können zu einer sozialen Isolierung der Familie und der betroffenen Kinder führen.(1)

Verhaltensweisen eines psychisch erkrankten Elternteils können für die betroffenen Kinder manchmal schwer verständlich und verunsichernd sein. Auch kann es dazu kommen, dass betroffene Kinder sich verantwortlich für diese elterlichen Verhaltensweisen fühlen und Schuldgefühle entwickeln. (4) Insbesondere bei älteren Geschwisterkindern kann es in Folge einer Verantwortungsübernahme zu einer Umkehrung der Eltern-Kind-Rolle (Parentifizierung) kommen.(1) Durch die möglicherweise notwendige Versorgung des erkrankten Elternteils durch den anderen Elternteil oder andere Bezugspersonen der Familie kann zudem Zeit für die Kinder und ihre Bedürfnisse fehlen.(4) Durch stationäre Aufenthalte kann es auch zu längeren Trennungen vom Elternteil kommen.(3) Der Umgang mit der besonderen Situation der Familie wird für das Kind meistens durch Unkenntnis erschwert: die meisten Kinder im Kindergartenalter sind nicht über die Erkrankung des Elternteils informiert.(3)



Ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Eltern kann Gespräche ermöglichen, um
  • die Eltern für die Situation und Belastungen des Kindes zu sensibilisieren,
  • die Bereitschaft der Eltern zu steigern, sich anzuvertrauen und Unterstützung für sich und ihr Kind zuzulassen,
  • besser einschätzen zu können, welche Unterstützungssysteme und Schutzfaktoren dem Kind zur Verfügung stehen und ob das Kindeswohl gefährdet ist.(3)


Mit betroffenen Familien im Kontakt

Die Auswirkungen auf den Alltag unterscheiden sich je nach Art und Intensität der psychischen Erkrankung und nach Familie sehr stark. Viele betroffene Familien haben sich ein gut funktionierendes Helfersystem organisiert, das vor allem auch die Kinder in Krisenzeiten auffängt. Gleichwohl können Belastungen und auch Gefährdungen für betroffene Kinder entstehen.(6) Da sich der Kon-takt zum erkrankten Elternteil für pädagogische Fachkräfte meistens auf Zeiten beschränkt, in denen es ihnen gerade gut geht, fällt eine Erkrankung häufig nicht auf. Deshalb ist es oft auch nicht erkennbar, dass ein Kind betroffen ist.(6) Eltern bei einer entsprechenden Vermutung oder bei Hinweisen auf die Problematik anzusprechen, erfordert ein hohes Maß an Sensibilität u. a. für Stigmatisierungserfahrungen.(5)

Unterstützung für betroffene Kinder

Gerade bei jüngeren Kindern ist die Gewinnung der Eltern zur Unterstützung der Kinder der wichtigste Schritt.(6) Im Kind selbst als auch im Umfeld des Kindes können Schutzfaktoren helfen, es zu stärken und gegenüber den Belastungen resilient werden zu lassen. Zu persönlichen Schutzfaktoren zählen beispielsweise Selbstwirksamkeitserfahrungen und ein positives Selbstkonzept, zu den sozialen Faktoren z. B. sozial-emotionale Unterstützung durch außerfamiliäre Erwachsene und Freundschaftsbeziehungen mit Gleichaltrigen, die auch außerhalb der Familie gefördert werden sollten. Spezifische Faktoren für Kinder psychisch erkrankter Eltern liegen im Krankheitswissen und –verstehen der Kinder und im offenen und aktiven Umgang mit der Krankheit in der Familie.(1) Die Aufklärung der Kinder über die Erkrankung muss dabei aber kindgerecht, situationsadäquat, behutsam, lösungsorientiert und differenzierend sein.(3) Insgesamt muss darauf geachtet werden, Loyalitätskonflikte für das Kind zu vermeiden, beispielsweise wenn die Eltern dem Kind etwas verboten haben, was in der Kita aber vom Kind eingefordert wird (z. B. Zähneputzen).(6)

Ergänzend können auch Patenschaftsangebote für betroffene Kinder Verlässlichkeit gewährleisten und v. a. in Zeiten der elterlichen Abwesenheit ein erster Anlaufpunkt sein.(7)


Anmerkungen

(1) Lenz, A. & Brockmann, E. (2013). Kinder psychisch kranker Eltern stärken. Informationen für Eltern, Erzieher und Lehrer. Göttingen: Hogrefe.

(2) Eickhorst, A., Fullerton, B. & Schreier, A. (2017). Psychische Belastungen bei Eltern mit Kleinkindern. Faktenblatt 5 zur Prävalenz- und Versorgungsforschung der Bundesinitiative Frühe Hilfen. Köln: Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH).

(3) Pretis, M. & Dimova, A. (2016). Frühförderung mit Kindern psychisch kranker Eltern. 3. Aufl. München: Ernst Reinhardt.

(4) Schone, R. & Wagenblass, S. (2006). Wenn Eltern psychisch krank sind ... Kindliche Lebenswelten und institutionelle Handlungsmuster. 2. Aufl. Weinheim: Juventa.

(5) Lenz, A. (2017). Eltern mit psychischen Erkrankungen in den Frühen Hilfen. Materialien zu Frühen Hilfen 9. Köln: Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH).

(6) Beeck, K. (2015).‘Mutti sagt, die Zahnpasta ist vergiftet.‘ Wie ErzieherInnen Kinder mit psychisch kranken Eltern unterstützen können. Überarb. Aufl. Werder: Netz und Boden.

(7) Beeck, K. (2014). Verlässlichkeit für Kinder – Das Patenschaftsangebot für Kinder psychisch erkrankter Eltern von AMSOC e. V. In M. Kölch, U. Ziegenhain & J. M. Fegert (Hrsg.), Kinder psychisch kranker Eltern (S. 178-201). Weinheim: Beltz Juventa.


Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.


Zum Programm KiTa-Einstieg


Verwandte Themen und Schlagworte