Zusammenarbeit mit Familien mit Migrations- und Fluchthintergrund

Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen pädagogischer Fachkraft und Eltern wird als Grundvoraussetzung für das kindliche Wohl in der pädagogischen Einrichtung gesehen. In der Kooperation mit Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund können unterschiedliche kulturelle Erziehungsvorstellungen, aber auch unterschiedliche kulturelle Kommunikationsgewohnheiten und Beziehungserwartungen besondere Herausforderungen für die Eltern-Fachkraft-Beziehung darstellen.

Kulturell bedingte pädagogische Überzeugungen

In der Kindertageseinrichtung führen unterschiedliche kulturelle Erziehungs- und Bildungsvorstellungen der Familien und pädagogischen Fachkräfte häufig zu Irritationen und Missverständnissen (1). Das erlebte Verhalten des jeweils anderen in den Bring- und Abholsituationen wird vor dem Hintergrund der eigenen kulturellen Werte und Verhaltensregeln gesehen und bewertet, ohne sich dieser kulturellen Brille bewusst zu sein.



Marias Mutter hat einen mexikanischen Migrationshintergrund. Sie beobachtet jeden Morgen beim Bringen ihrer Tochter dieselbe Szene: Die Erzieherin begrüßt Maria und fragt sie, was sie spielen möchte. Maria schaut sie stumm und unentschlossen an, worauf die Erzieherin sagt, sie könne es sich ja noch überlegen, sie werde schon etwas Schönes finden. Nach einigen Wochen spricht Marias Mutter ihre Freundin an: „Ich verstehe nicht, warum die Erzieherin meine Tochter nicht mag. Warum ist ihr egal, was meine Tochter tut?“ Die Freundin rät ihr, die Erzieherin darauf anzusprechen, aber Marias Mutter entgegnet, dass sie sich doch nicht in die Kita einmischen könne und schon gar nicht Kritik an der Fachfrau üben dürfe.


Autonomieorientierung in der Kita

Insbesondere der Fokus auf die Förderung der kindlichen Autonomie und Selbständigkeit, der in vielen pädagogischen Einrichtungen in Deutschland verfolgt wird, wird von Familien mit Migrationshintergrund teilweise nicht geteilt oder missverstanden (2). So kann die Ermunterung zu eigenen Entscheidungen (wie im obigen Fallbeispiel) als Gleichgültigkeit erlebt werden oder die Ermutigung zur Äußerung eigener Präferenzen und Wünsche als Aufruf zum Ungehorsam. Freispiel sehen Familien mit Migrationshintergrund oftmals als wenig bildungsförderlich an und wünschen sich stattdessen stärker strukturierte, systematische Lernangebote und Anleitung durch die pädagogischen Fachkräfte (3).

Elterliche Zurückhaltung verstehen

Eltern, die nie den Gruppenraum betreten, keine Tür- und Angelgespräche führen und Einladungen nicht folgen, können von den Fachkräften schnell als desinteressiert wahrgenommen werden. Diese Zurückhaltung kann kulturell bedingte Ursachen haben. Beispielsweise können Eltern die pädagogischen Fachkräfte als Autoritätspersonen ansehen und diese aus Respekt nicht direkt ansprechen. (1) Das Beziehungsangebot der Erziehungspartnerschaft, in der Fachkraft und Eltern sich auf Augenhöhe begegnen, kann diese Eltern irritieren oder gar als Unsicherheit seitens der Fachkraft bewertet werden.(3) Familien mit Migrationshintergrund sehen zum Teil auch eine strikte Trennung zwischen der häuslichen Welt und der pädagogischen Einrichtung (4) Wenn Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in diesem Sinne unterschieden werden, wird ein Austausch häufig als nicht nötig oder gar unerwünscht betrachtet. Andere wiederum meiden eventuell den Kontakt aufgrund sprachlicher Unsicherheiten.

Nicht aufgeben! – Wiederholte Kontaktinitiativen versprechen Erfolg

Die effektivste Strategie, Familien mit Migrationshintergrund einzubinden, ist es, immer wieder wertschätzend auf sie zuzugehen. (2) Durch die wiederholten Kontaktangebote der Fachkräfte wird Interesse signalisiert und die Verantwortung für die Kontaktaufnahme übernommen. Auf die Familien zugehen heißt dabei, sie persönlich anzusprechen, nicht nur mit dem Elternbrief oder der schriftlichen Einladung. Informelle Treffen, wie ein gemeinsames Kaffeetrinken, senken die Hemmschwelle im Gegensatz zu offiziellen Terminen, wie den Elternabenden. Auch Treffen außerhalb der Einrichtung, z. B. Hausbesuche, können hilfreich sein, um im vertrauten Umfeld der Familie vertrauensvollen Kontakt aufzubauen.

Sprachbarrieren überwinden

Die sprachliche Barriere wird von der Mehrheit der Fachkräfte als besondere Herausforderung in der Zusammenarbeit mit zugewanderten Familien gesehen. (2) Eltern, die bisher wenig Kontakt mit der deutschen Sprache hatten, können verunsichert sein. Auch hier sollten die pädagogischen Fachkräfte den ersten Schritt auf die Eltern zu machen. Eigene Fremdsprachenkenntnisse zu reaktivieren und mit Händen und Füßen zu kommunizieren, sind mögliche Wege. Andere Eltern der Einrichtung als sprachliche Vermittler bei alltäglichen Angelegenheiten einzubinden, ist ebenfalls sehr effektiv. Bei sensiblen Gesprächen sollten jedoch professionelle Dolmetscher oder Dolmetscherinnen hinzugezogen werden. Nicht zuletzt können auch Symbole und bildliche Darstellungen zum Informationsaustausch eingesetzt werden (z. B. „Bildbuch: Kita-Alltag“, Bestellung auf https://sprach-kitas.fruehe-chancen.de/themen/zusammenarbeit-mit-familien/bildbuch-kita-alltag/).

Fachkräfte mit Migrationshintergrund als Brückenbauer

Pädagogische Fachkräfte, die selbst direkt oder indirekt Migration erfahren haben, sind für Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund häufig die erste Anlaufstelle in der Einrichtung.(2) Die gemeinsame Erfahrung von Migration bildet dabei die verbindende Basis, das Gefühl einander zu verstehen, auch wenn es sich um ganz unterschiedliche Herkunftskulturen handelt. Das sollte nicht zu einer Arbeitsteilung führen, dass sich nur Fachkräfte mit Migrationshintergrund um zugewanderte Familien kümmern. Aber es zeigt, wie wichtig kulturelle DiversitätDiversität|||||siehe Diversity innerhalb der pädagogischen Teams ist. Fachkräfte mit Migrationshintergrund können den Familien das Ankommen in der Kita erleichtern und dem Kollegium das Verständnis für die Situation der Zugewanderten vermitteln.

Fazit

Die Basis für kultursensitive Zusammenarbeit mit Familien ist eine nicht-wertende Kontaktaufnahme mit den Familien, auch wenn Unterschiede im Umgang mit den Kindern oder der Kommunikation mit den Fachkräften zutage treten. Offenheit und Akzeptanz gegenüber möglicherweise unerwartetem Erziehungsverhalten und familiären Anliegen sowie Flexibilität im Umgang mit unterschiedlichen Beziehungserwartungen (z. B. gleichberechtigte Erziehungspartnerschaft oder professionelles/ autoritäres Expertentum) ebnen den Weg für eine wechselseitig bereichernde Eltern-Fachkraft-Beziehung.


Anmerkungen

(1) Tobin, J., Adair, J. K., & Arzubiaga, A. (2013). Children crossing borders: Immigrant parent and teacher perspectives on preschool for children of immigrants. New York: Russell Sage Foundation.

(2) Bossong, L. (2017). Die Welt trifft sich in der Kita. Zusammenarbeit mit immigrierten oder geflüchteten Eltern. In B. Lamm (Hrsg.), Handbuch Interkulturelle Kompetenz (S. 240-253). Freiburg: Herder.

(3) Borke, J. & Keller, H. (2014). Kultursensitive Frühpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer.

(4) Jäkel, J. & Leyendecker, B. (2009). Erziehungsverhalten türkischstämmiger und deutscher Mütter von Vorschulkindern. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 56, 1-15.



Hinweis:

Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.

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