Gelebte Inklusion

Praxistipps

Inklusion sollte nicht als Theorie verkümmern, sondern zum Wohle der Kinder so gut wie möglich umgesetzt werden. Mut, Zuversicht, Engagement, Rücksichtnahme, Mitgefühl oder Anteilnahme ermöglichen eine gelebte Inklusion. Dazu gehört aber noch mehr. Unzählige kleine und große Probleme können die Umsetzung des besten Konzeptes erschweren. Dann sind konkrete Verhaltenstipps, aufgezeigte Möglichkeiten von unschätzbarem Wert. Lesen Sie hier eine Hilfestellung.

Wie in Ihrer Kita Inklusion gelebt wird, wissen Sie selbst am allerbesten. Letztlich geht Inklusion ja alle Menschen etwas an, wir sind alle Betroffene. Wie möchten Sie sich als Erzieherin/Erzieher, Kollegin/Kollege und generell als Mensch fühlen in der Kita? Was ist Ihnen wichtig in Ihrer Arbeit und in Ihrem Leben? Welche Biografien bringt Ihr Team mit in die Arbeit ein, wie „ticken“ andere eigentlich?

Um ein möglichst gutes und professionelles Arbeitsklima zu erzeugen, ist es unabdingbar, dass sich das Team mit seinen persönlichen Stärken und Schwächen kennenlernt und respektiert. Biografie-Arbeit gehört darum ebenso zu Professionalität wie Supervision und Weiterbildung. Reflektieren Sie sich, Ihre Arbeitsweise und Ihre Vorbehalte gegen gewisse berufliche Anforderungen, um herauszufinden, ob es Aspekte gibt, die inklusives Arbeiten erschweren. Und arbeiten Sie im Team an der Weiterentwicklung von Inklusion.

Erste Schritte

Möchten Sie in Ihrer Kita Inklusion einführen bzw. Ihre bisherige inklusive Arbeit verbessern, sollte zunächst jedes Teammitglied für sich Antworten auf folgende (und ähnliche) Fragen finden:

  • Wie fühle ich mich in der Einrichtung?
  • Wie empfinde ich meine Arbeit – mit den Kindern, den Eltern, den Kolleginnen, mit der Leitung?
  • Was ist mir bei meiner Arbeit besonders wichtig?
  • Was ist mir im Leben besonders wichtig?
  • Bin ich mit meiner Arbeitsweise zufrieden?
  • Sehe ich bestimmte berufliche Anforderungen kritisch? Wenn ja, warum?
  • Erkenne ich in meiner Arbeit bzw. in der Einrichtung insgesamt Aspekte, die inklusives Arbeiten erschweren?
  • Wird in der Kita ein partnerschaftliches oder ein hierarchisches Miteinander praktiziert? Wie stehe ich dazu?
Sprechen Sie anschließend mit der Leitung im Team darüber.

Bei all diesen Fragen steht die persönliche und berufliche DispositionDisposition|||||Wörtlich gemeint ist damit sowohl eine Anordnung von Material, als auch die  physische und psychische Verfassung, Anlage, Empfänglichkeit zum Beispiel zum Lernen.  der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Fokus. Genauso wenig wie ich als pädagogische Fachkraft religiöse Früherziehung nur dann befriedigend durchführen kann, wenn ich einen Zugang zur Thematik habe, kann ich kein inklusives Konzept mittragen, wenn mich bestimmte Formen von Behinderungen erschrecken oder abstoßen. Inklusives Arbeiten erfordert eine grundsätzliche Offenheit und Willkommenskultur für alle Menschen mit allem Drum und Dran. Da wird es immer wieder zu „neuen“, in der Kita noch nicht erlebten, Formen von Beeinträchtigungen kommen.

Gedanken & Impulse

Denken Sie darüber nach, welche Biografien das Team mitbringt – und wie jede pädagogische Fachkraft entsprechend ihrer Persönlichkeitsstruktur am besten in die Umsetzung der Inklusion eingebunden werden kann. Legen Sie Wert darauf, dass sich das Team gut kennt, dass sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig respektieren. Erwägen Sie, ob neben der Biografie-Arbeit Supervision oder Weiterbildungen hilfreich sein können. Denken Sie daran, dass die persönliche Motivation einer jeden pädagogischen Fachkraft eine Voraussetzung für gelingende Integration ist.

Nach dieser reflexiven Phase können folgende und ähnliche Fragen helfen, sich zu positionieren – unabhängig davon, ob Inklusion neu eingeführt oder die bestehende Praxis verbessert werden sollte:

  • Gibt es Erfahrungswerte in der Einrichtung mit Behinderungen, Beeinträchtigungen oder besonderem Verhalten bei Kindern?
  • Ist das Kita-Gebäude barrierefrei?
  • Sind alle Räume für alle Kinder geeignet?
  • Findet Partizipation im Kita-Alltag statt? Sie ist ein wichtiger Bestandteil einer inklusiven Arbeitsweise.
  • Inwieweit werden Eltern in den Kita-Alltag bzw. in die Arbeit mit den Kindern einbezogen?

Konkretes für die Praxis


Elterngespräche und Elternberatung
Vorab: Jedem Teammitglied sollte die Bedeutung des Erstkontaktes zu einer neuen Familie bewusst sein. Überlegen Sie sich eventuell gemeinsam entsprechende Richtlinien.

Sind Eltern im Zweifel, ob sie ihr (schwer) behindertes oder beeinträchtigtes Kind der Obhut einer Kita überlassen sollen, kann eine erste Besprechung mit dem gesamten Team eine Entscheidungshilfe sein. So können die Eltern sehen, dass die Verantwortung gut verteilt auf kompetenten Schultern lastet. Beziehen Sie außerdem die Eltern mit ein, indem Sie sich von ihnen aufklären und informieren lassen, was in bestimmten Situationen, z. B. bei Anfällen, zu tun ist.

Haben Sie das Gefühl, dass die Eltern ihr Kind aufgrund seiner Behinderung überbehüten, haben Sie Geduld und gehen Sie Ihrem gewohnten Kita-Alltag nach mit dem Kind. Wenn die Eltern sehen, dass es ihrem Kind gut geht, dass ihm der Kita-Alltag mit den anderen Kindern guttut, werden sie allmählich loslassen. Sie können sie dabei unterstützen, indem Sie ihnen in passenden Momenten von den kleineren und größeren Erfolgserlebnissen ihres Kindes erzählen.

Werden Sie aktiv, falls Sie bemerken, dass das neue Kind schwer Anschluss findet: Sollte es sich in der Kita mit einem anderen Kind gut verstehen, regen Sie bei den Eltern einen Austausch von Telefonnummern an. Ein Treffen außerhalb der Kita kann helfen.

Herausforderungen
  • Sollten Eltern nicht-behinderter Kinder befürchten, dass das inklusive Arbeiten zulasten ihrer Kinder gehen könnte, dass sie dann zu wenig Aufmerksamkeit und Förderung bekämen, klären Sie auf. Zunächst sollte die Kita-Leitung ein Gespräch mit den beunruhigten Eltern suchen. Berufen Sie zudem Elternabende ein, in denen Sie allen Eltern die Kerngedanken der Inklusion sowie Ihr Konzept vorstellen. Überlegen Sie außerdem im Team, wie Sie mit dieser Unsicherheit der Eltern am besten umgehen, ob bestimmte Aktionen oder Vorgehensweisen im Alltag helfen können.

  • Was tun, wenn nicht alle Teammitglieder für die Einführung von Inklusion sind? Dann ist ein gemeinsamer Prozess der Klärung unbedingt notwendig – mit dem Team, den Trägern und der Leitung.

  • Lassen Rahmenbedingungen wie Personalschlüssel oder Raumausstattung die Aufnahme von Kindern mit Einschränkungen oder Behinderungen nicht zu? Sprechen Sie mit Ihrem Träger darüber, auch in einer gemeinsamen Besprechung mit der Kita-Leitung und den Eltern.

  • Sollten Sie manche Behinderungen an Ihre Grenzen bringen (ein Kind, welches sondiert werden muss z. B., oder eines mit epileptischen Anfällen): Machen Sie sich Ihre persönlichen Grenzen bewusst und respektieren Sie sie. Gehen Sie möglichst offen damit um, informieren Sie gegebenenfalls Ihre Vorgesetzten. Suchen Sie gemeinsam nach Alternativen für einen konstruktiven Umgang mit der Problematik (Weiterbildung, Zusatzqualifikation, Gruppenwechsel).

  • Wenn sich Ihr Team die Einführung von Inklusion wünscht, Ihre Vorgesetzten jedoch nicht oder: wenn Sie bereits inklusiv arbeiten, Ihre Vorgesetzten sich aber Ihrer Meinung nach nicht ausreichend engagieren oder Sie nicht unterstützen: besprechen Sie das mit Ihren Vorgesetzten im Team. Haben Sie keinen Erfolg, wenden Sie sich an Ihren Betriebsrat oder an Ihre Mitarbeitervertretung und regen Sie dort ein Gespräch mit Ihren Vorgesetzten an (eine entsprechende Schulung kann helfen).

  • Sie würden gerne inklusiv arbeiten, Ihre Einrichtung jedoch nicht. Organisieren Sie Teamgespräche oder auch Einzelgespräche mit der Leitung. Sollten Sie keinen Erfolg haben, dennoch inklusiv arbeiten wollen, bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, sich eine andere Einrichtung zu suchen, bei der der inklusive Gedanke konzeptionell verankert ist und entsprechend gelebt wird.


Entwickeln
Inklusion bedeutet, Andersartigkeit zulassen und stehen lassen zu können. Wenn ich jemanden – egal weswegen auch immer – nicht mag, dann lasse ich ihn einfach in Ruhe. Ich attackiere ihn nicht, ich mache mich nicht über ihn lustig oder diffamiere ihn nicht, ich grenze ihn nicht aus oder gehe gegen ihn vor, ich suche mir keine Verbündeten gegen ihn oder wünsche ihm etwas Schlechtes – ich lasse ihn sein, wie er ist!


Literatur

  • Sansone Adele: Florian lässt sich Zeit. Verlag Tyrolia 2012
  • Schnee, Silke/ Sistig, Heike: Die Geschichte von Prinz Seltsam. Neufeld 2011
  • Volmert Julia: Du gehörst zu uns oder Jeder ist ein bisschen anders. Albarello 2015

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß 1-2019, S. 7-9





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