Finanzierung und Qualität des Frühkindlichen Bildungssystems


Kathrin Bock-FamullaIm Interview mit Hilde von Balluseck von www.erzieherin.de gibt Kathrin Bock-Famulla Auskunft über die Finanzierung des frühkindlichen Bildungssystems in Deutschland sowie die damit zusammenhängende Frage nach seiner Qualität. Kathrin Bock-Famulla ist Diplom-Pädagogin und seit 2003 Projektleiterin für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann Stiftung. Aktuell ist sie verantwortlich für das Projekt „Ländermonitoring frühkindliche Bildungssysteme“ und „KiTaZoom Ressourcen wirksam einsetzen“.


ErzieherIn.de: Wie viel Geld gibt Deutschland für die frühkindliche Bildung und Betreuung aus und welche Position nimmt unser Land im internationalen Vergleich ein?

Kathrin Bock-Famulla: Nach den aktuellsten Zahlen hat Deutschland 18,4 Milliarden Euro (ohne Elternbeiträge) im Jahr 2012 für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) ausgegeben [1]. Darin sind Ausgaben für den laufenden Betrieb von Kitas, Investitionsausgaben für den Bau von Einrichtungen sowie Mittel für die Kindertagespflege enthalten. Damit hat Deutschland 2012 0,7% seines Bruttosozialprodukts für FBBE ausgegeben. Die Ausgaben für FBBE sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen und auch für 2013 sehen Haushaltsansätze einen weiteren Anstieg auf 19,5 Milliarden Euro vor. 2010 wurden in den OECD Ländern durchschnittlich 0,6% des BIP für frühe Bildung ausgegeben, damit liegen die FBBE-Ausgaben in Deutschland über dem Durchschnitt der OECD Länder. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die OECD empfiehlt, dass 1% des BIP für FBBE ausgegeben werden soll. Ein alleiniger Vergleich des Kostenvolumens ist allerdings nur bedingt aufschlussreich, da gleichzeitig betrachtet werden muss, welche Angebote mit welcher Ausstattung zur Verfügung gestellt werden.


Was Bund, Länder und Kommunen zahlen


ErzieherIn.de: Was und wie viel wird in der Frühpädagogik vom Bund finanziert? Wie verhält sich das zu den Ausgaben des Bundes für Schulen und Hochschulen? Halten Sie das für angemessen? Warum (nicht)?

Kathrin Bock-Famulla: Die Länder sind nach der Verfassung in erster Linie für die Bildung verantwortlich. Da frühkindliche Bildung und Betreuung zum Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gehören, sind auch hier die Länder bzw. die kommunale Ebene zuständig. Ein Vergleich der Ausgaben des Bundes für diese Bildungsbereiche ist deshalb wenig informativ. Von den öffentlichen Ausgaben für Kitas haben 2010 die Gemeinden und kommunalen Zweckverbände fast 58% getragen, die Länder 41,3 sowie der Bund 0,9% [2]. Die Beteiligung des Bundes besteht aus einem Sondervermögen, dass speziell für den Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren eingerichtet wurde. Aktuell wird eine weitergehende Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der FBBE diskutiert. Eine solche Beteiligung würde wahrscheinlich mit der Einführung von Bundesstandards verbunden werden, wie beispielsweise einheitliche Personalschlüssel. Wie viel der Bund für die frühkindliche Bildung ausgeben sollte, ist allgemein kaum zu beantworten. Zunächst wäre politisch zu klären, was die Zielsetzung einer Bundesbeteiligung sein soll. So wäre beispielsweise vorstellbar, dass die gegenwärtig zum Teil gravierenden Unterschiede bei den Personalschlüsseln aufgehoben werden sollen, damit Kinder nicht in Abhängigkeit von ihrem Wohnort unterschiedliche KiTa-Qualität erfahren. Es ist allerdings zu betonen, dass ein qualitativ orientierter Ausbau einen deutlichen Anstieg der öffentlichen Ausgaben für FBBE zur Folge haben muss. So sind beispielsweise die Personalschlüssel für Kinder unter drei Jahren in den östlichen Bundesländern im Vergleich zu den meisten westlichen Bundesländern halb so gut [3], so dass für die Personalkosten in diesem Bereich von einer Verdopplung in einigen Bundesländern auszugehen ist. Des Weiteren ist auch ein Ausbau der berufsbegleitenden Unterstützungssysteme wie Fachberatung, Supervision oder auch Teamfortbildungen für einen Qualitätsausbau erforderlich. Hierfür werden ebenfalls zusätzliche Finanzmittel gebraucht.


Was die Eltern zahlen

 
ErzieherIn.de: Welchen Anteil haben Elternbeiträge bei der Finanzierung der frühkindlichen Bildung?

Kathrin Bock-Famulla: Grundsätzlich ist zunächst festzustellen, dass sich die Höhe der Elternbeiträge nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern meistens auch zwischen den Kommunen unterscheidet. Hinzu kommt, dass in einigen Bundesländern das letzte Kindergartenjahr, teilweise sogar das erste und auch zweite Kindergartenjahr, beitragsfrei ist. Für Eltern bedeutet dies, dass die Beitragshöhe für den KiTa-Besuch ihres Kindes von ihrem Wohnort abhängig ist. Auf Landesebene zeigt sich, dass der Anteil, den Eltern insgesamt zur Finanzierung der frühkindlichen Bildung leisten, zwischen 9% in Berlin und fast 27% in Mecklenburg-Vorpommern variiert [4].

ErzieherIn.de: Sollte die frühkindliche Bildung wie die schulische Bildung kostenlos für die Eltern sein? Was spricht dafür, was dagegen?

Kathrin Bock-Famulla: Da frühkindliche Bildung, obwohl sie rechtlich dem Kinder- und Jugendhilfebereich zugeordnet ist, als erste Stufe im deutschen Bildungssystem gilt, ist grundsätzlich erstrebenswert, dass der Zugang zur KiTa oder Tagespflege für Eltern kostenlos ist. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Eltern aktuell einen nicht unerheblichen Anteil an der Kita-Finanzierung leisten. Wenn dieser von heute auf morgen wegfallen würde, müsste er durch öffentliche Mittel finanziert werden. Bereits jetzt haben wir allerdings die Situation, dass mehr Finanzmittel erforderlich wären, um beispielsweise bessere Personalschlüssel finanzieren zu können. In dieser Situation würde der Wegfall der Elternbeiträge vermutlich nicht nur dazu führen, dass bessere Personalschlüssel in naher Zukunft nicht finanziert werden können, sondern darüber hinaus sogar bestehende Qualitätsstandards gefährdet wären. Kostenfreiheit in der frühkindlichen Bildung für Eltern sollte deshalb zwar langfristig realisiert werden, allerdings muss gleichzeitig sichergestellt werden, dass kein Qualitätsabbau stattfindet. Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass bereits jetzt in allen Bundesländern gilt, dass Eltern, die eine bestimmte Einkommensgrenze unterschreiten, keinen Beitrag bezahlen müssen. Teilweise müssen Eltern auch einen reduzierten Beitrag zahlen. Allerdings variieren diese Einkommensgrenzen zwischen den Bundesländern bzw. zwischen den Kommunen.


Objekt- und subjektbezogene Finanzierung: Finanzierung pro Kind oder pro Einrichtung?

 
ErzieherIn.de: Derzeit gibt es eine objekt- und eine subjektbezogene Finanzierung von Kita-Plätzen. Was bedeuten diese Begriffe und welches sind die Vor- und die Nachteile der beiden Finanzierungsmodelle?

Kathrin Bock-Famulla: Die Subjektfinanzierung zeichnet sich dadurch aus, dass die Finanzierung pro Kind erfolgt und angenommen wird, dass auf diese Weise nur die Kosten für das jeweils tatsächlich betreute Kind übernommen werden. Deshalb wird diese Finanzierungsform auch als nachfrageorientiert bezeichnet. Demgegenüber wird  Objektfinanzierung eher als angebotsorientiert verstanden, d. h. ein Träger erhält Finanzmittel, um ein bestimmtes Angebot von Kita-Plätzen bereit zu stellen

Es gibt bereits seit vielen Jahren eine sehr kontrovers geführte Debatte über die Vor- und Nachteile der sogenannten objekt- und subjektbezogenen Finanzierung von Kitas. Problem ist, dass es nicht das eine Modell der Objekt- oder Subjektfinanzierung gibt. Vielmehr zeigen sich in der Praxis sehr unterschiedliche Ausgestaltungsvarianten und meistens handelt es sich auch um Mischformen. Hinzu kommt, dass es nach wie vor keine wissenschaftlichen Studien zu den Effekten verschiedener Finanzierungsmodelle gibt. Vorliegende Praxisberichte zeigen allerdings, dass sich  beispielsweise die Effekte sogenannter subjektbezogener Finanzierungsmodelle deutlich je nach den Details der Ausgestaltung unterscheiden. Aus diesem Grund kann man kaum von generellen Effekten der Subjekt- bzw. Objektfinanzierung sprechen... Als Kritik an der Objektfinanzierung wird häufig genannt, dass auf diese Weise Angebote unabhängig von ihrer Nutzung finanziert werden. In der Praxis trifft dies allerdings nur eingeschränkt zu. So müssen Träger beispielsweise eine bestimmte Mindestbelegung einer KiTa-Gruppe nachweisen, damit sie die Finanzmittel für alle Plätze erhalten. Wird eine solche Mindestbelegung unterschritten, wird beispielsweise ein Teil der Zuschüsse nicht gezahlt.      

Generell sollte eine Finanzierungssystematik für Kindertagesbetreuung in Beziehung zu den verfolgten Zielen bewertet werden. Ohne eine solche zielbezogene Betrachtung ist die Entscheidung für eine spezifische Finanzierungssystematik wenig hilfreich.


Wie die Finanzierungsstruktur die Qualität beeinflusst


ErzieherIn.de: Kann die Art der Finanzierung der frühkindlichen Bildung und Betreuung auch Qualitätskriterien beeinflussen? Wenn ja, wie sollte eine Finanzierung aussehen, die die Qualität im Blick hat?

Kathrin Bock-Famulla: Im Projekt KiTaZoom der Bertelsmann Stiftung gehen wir davon aus, dass nicht nur das zur Verfügung stehende Finanzvolumen („wie viel?“) die Qualität der FBBE beeinflusst. Zwar müssen ausreichend Finanzmittel verfügbar sein, um beispielsweise genügend Personal beschäftigen zu können. Darüber hinaus sehen wir einen zentralen Einflussmechanismus in der Finanzierungsstruktur, d. h. „wie“ das Geld an die KiTas weiter gegeben wird. Werden nur genau die Betreuungsstunden finanziert, die von den Kindern in Anspruch genommen werden (stundengenaue Abrechnung) oder wird nur zwischen einem Halbtags- und Ganztagsplatz unterschieden? Denn wichtig ist es im Blick zu behalten, dass bestimmte Kosten auch unabhängig von der genauen Anzahl der Kinder entstehen.

Damit Erzieherinnen sich auch berufsbegleitend weiter qualifizieren können, müssen Mittel für Fort- und Weiterbildung zur Verfügung stehen. Da spielt es keine Rolle, ob 5 oder 10 Kinder anwesend sind. Werden die Fortbildungsmittel aber pro Kind an die Kita gezahlt, stehen möglicherweise nicht genug Mittel zur Verfügung. Deshalb kann es sinnvoller sein, die Fortbildungsmittel an der Zahl der Erzieherinnen zu bemessen. Solche Fragestellungen sollten bei der Ausgestaltung der Finanzierungsmechanismen, d. h. ob Mittel pro Kind oder pro Platz, pro Betreuungsstunde oder pro Betreuungstag usw. bemessen werden, berücksichtigt werden.

Eine Finanzierung, die die Qualität der KiTas im Blick haben will, muss deshalb bereits konzeptionell anders entwickelt werden. Im Projekt KiTaZoom, das sich mit der Entwicklung von Finanzierungssystematiken für KiTas beschäftigt, stellen wir deshalb zunächst die Frage, welche Anforderungen an die KiTas gestellt werden und welche Qualitäten sie erbringen sollen. Im nächsten Schritt muss dann bestimmt werden, welche Ressourcen, d. h. Personal- und Sachressourcen, erforderlich sind, um die erwarteten Leistungen erbringen zu können. Dies heißt beispielsweise, dass die Realisierung eines Qualitätsmerkmals wie „kontinuierliche Beziehungen zwischen Erzieherinnen und Kindern ermöglichen“, auch die arbeitsvertragliche Situation des pädagogischen Personals berücksichtigen muss. Zu fragen ist, ob eine  Finanzierungsform eher befristete und auch Teilzeitverträge des pädagogischen Personals begünstigt und deshalb kontinuierliche Beziehungen zwischen Erzieherinnen und Kindern erschwert werden. Aus der Praxis gibt es bereits vielfältige Hinweise, dass einige subjektbezogene Finanzierungsmodelle Teilzeitverhältnisse begünstigen. Denn wenn ein Träger nur Finanzmittel pro betreutem Kind erhält, muss er auf steigende bzw. sinkende Kinderzahlen relativ schnell mit Personalreduktion oder – aufstockung reagieren können. Wenn kontinuierliche Beziehungen zwischen pädagogischem Personal und Kindern insbesondere in der Ganztagsbetreuung möglich sein sollen, müssen auch Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse gezielt unterstützt werden.

Die Schritte die wir im Rahmen von KiTaZoom bei der Entwicklung einer Finanzierungssystematik gehen, haben noch einen weiteren Vorteil: Wenn die Anforderungen an die Kitas für alle transparent und zudem die dafür erforderlichen Finanzmittel bestimmt sind,, kann politisch entschieden werden, ob dieses Finanzvolumen bereit gestellt werden kann bzw. soll. Werden weniger Finanzmittel zur Verfügung gestellt, kann auch gezeigt werden, was Kitas unter den finanzierten Rahmenbedingungen leisten können und was nicht. Dies könnte ein wichtiger Schritt sein, um den steigenden Anforderungen an KiTas bei unzureichenden Rahmenbedingungen entgegenzutreten.

 
 
 

Fussnoten

[1] Bildungsfinanzbericht 2013: 47.

[2] Bildungsfinanzbericht 2013: 73.

[3] Bock-Famulla, Kathrin; Lange, Jens (2013): Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh.

[4] Bock-Famulla, Kathrin; Lange, Jens (2013): Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh. S. 304.

 

 



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