Eleonore Heerwart (1835-1911)


heerwartEleonore Heerwart (Quelle: Ida Seele-Archiv)Eleonore Heerwart war ohne Zweifel eine der renommiertesten Persönlichkeiten der Fröbelbewegung und des Kindergartenwesens, nicht nur in Deutschland sondern weit darüber hinaus. Besonders hervorzuheben ist ihr Wirken im Königreich Großbritannien. Ohne sie „wäre die Verbreitung des Kindergartens in England sicher nicht so erfolgreich gewesen. Durch zahlreiche Vorträge und Ausstellungen steigerte sie dort wie auch in Irland den Bekanntheitsgrad der Fröbelschen Beschäftigungen. Erst durch ihren Einsatz wurde eine einheitliche Kindergärtnerinnen-Ausbildung in solider und fundierter Weise etabliert. Dadurch wurden die Fröbelschen Methoden systematisch eingeführt und konnten den lehrerzentrierten Frontalunterricht der Infants-school […] ersetzen“ (Dams 1999, S. 171). Eine ihrer bedeutendsten Schriften „Music for the kindergarten“ erschien in insgesamt 29 Auflagen und nur in englischer Sprache.

 

Leben und Wirken


Eleonore Heerwart wurde am 24. Februar 1835 in Eisenach geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters übersiedelte die Mutter mit ihren Kindern in das Dorf Mechterstädt, gelegen zwischen Eisenach und Gotha. Das Mädchen erhielt Privatunterricht und absolvierte in ihrer Geburtsstadt die Höhere Töchterschule. Als die Mutter 1852 starb, ging die junge Frau nach Keilhau, um sich dort von Louise Fröbel und Wilhelm Middendorf zur Kindergärtnerin ausbilden zu lassen. Fortan stand sie in mehr als fünf Jahrzehnten im „Dienste“ Friedrich Fröbels. In ihrer zweibändigen Autobiografie resümierte sie rückblickend:

 
„Fröbel hat in vielen Richtungen den Weg gezeigt und das hat mich immer zu ihm gezogen, weil ich in ihm den Bahnbrecher vieler Verbesserungen sah und mich nur wunderte, daß man dies nicht überall anerkannte“ (Heerwart 1906a, S. VI).

 
1854 verließ die Kindergärtnerin Keilhau und betätigte sich als Privaterzieherin. Ferner war sie Mitinitiatorin der 1860 gegründeten Fachzeitschrift „Kinder-Garten und Elementar-Klasse“. Im Jahre 1861 ging Heerwart nach Manchester, wo sie die Leitung eines Kindergartens übernahm. Bereits ein Jahr später übersiedelte sie nach Dublin. In der „zweiten Stadt des Empires“ leitete sie eine Privatanstalt (Schule und Kindergarten). Die Institution vergrößerte sich in den Jahren immer mehr. Bereits vier Jahre später umfasste sie mehrere Klassen und Kindergartengruppen. Aus gesundheitlichen Gründen kehrte die Pädagogin 1874 nach London zurück. In der Hauptstadt des Königreichs Großbritannien leitete sie Fröbelkurse für Lehrerinnen, gründete die „Froebel-Society“ und bildete im „Stockwell-College“ Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen aus.

 
1883 kehrte Heerwart nach Deutschland zurück. Sie wohnte bis 1889 in Blankenburg (heute Bad), dann bis zur ihrem Tod in Eisenach. In Thüringen begann für sie eine neue Zeit intensiven Schaffens für Friedrich Fröbel und seine Idee des Kindergartens. Sie publizierte unzählige Aufsätze und mehrer Monographien, gab in den 80er Jahren „Blätter aus Blankenburg“ heraus, gründete am 21. April 1892 zur Erinnerung an Friedrich Fröbels Geburtstag die erste Berufsorganisation für Kindergärtnerinnen, den „Allgemeinen Kindergärtnerinnen-Verein“ (später umbenannt in „Allgemeinen internationalen Kindergärtnerinnen-Verein“), den sie auch präsidierte. Für die vom Verein herausgegebenen vierteljährlich erscheinenden „Berichte“, die u. a. „den Mitgliedern Kunde über den Bestand und die Thätigkeit des Vereins geben“ (Heerwart 1897b, S. 101), wurden von Heerwart redigiert. Zu dem setzte sie sich energisch für die Erhaltung des Geburtshauses ihres pädagogischen Vorbildes in Oberweißbach ein, das abgerissen werden sollte und empfahl die Einrichtung eines Fröbel-Gedenkzimmers. Als ihre Anregung, in Blankenburg ein Fröbel-Haus mit Museum, das Schenkungen Louise Fröbels an ihre einstige Schülerin aufnehmen sollte, auf taube Ohren stieß, zog sich Heerwart enttäuscht nach Eisenach zurück. Dort gründete sie ein eigenes Fröbel-Museum. Noch als über 70-jährige unterrichtete Heerwart Kindergartenpädagogik am Kindergärtnerinnenseminar des Diakonissenmutterhauses in Eisenach.
 
Die Fröbelpädagogin starb am 19. Dezember 1911 in Eisenach.


Die im Kind schlummernde Kraft zur Entfaltung bringen


Heerwart bedauerte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Tatsache, dass die Forderung einiger Fröbelanhänger, Lehrer- und Erzieherkreise sowie viele Kindergärtnerinnen nach einer „äußerlichen und innerlichen“ Verbindung von Kindergarten und Schule nicht erfüllt worden wäre. Und das,  obwohl der Kindergarten auch auf die Schule vorbereitet, „und die Mittel, die er benutzt […] die erwiesene Grundlage für den Unterricht (sind; M.B.)“ (Heerwart 1897a, S. 89)

Intensiv befasste sich die Pädagogin mit den Föbel’schen Spielgaben und Beschäftigungsmaterialien. Ausdrücklich betonte sie, dass diese Erziehungs- und Bildungsmittel „auf einer festen Grundlage beruhten und kein zusammengewürfeltes Spielmaterial sind“ (Heerwart 1906a, S. 75). Werden die Spielgaben und Beschäftigungsmaterialien richtig angewandt, dann „findet ein Wechselverhältnis zwischen innerer Kraft und äußerer Anregung statt und das Kind tritt in seine kleine Welt als schaffendes Wesen ein“ (Heerwart o. J., S. 43). Außerdem fördern und unterstützen sie das Denken, Handeln und Fühlen des Kindes, behalten aber trotzdem „den Charakter des Spiels“ (Heerwart 1906a, S. 296) bei.
 
Die  Fröbelepigonin bezog sich stets auf Friedrich Fröbels Äußerungen zum Wesen des Kindes. Dieses als „Ganzes“ aufgefasst bedarf für seine allseitige und harmonische Entwicklung die Unterstützung der Erziehenden, denn was als Keim im Kind schlummert, will und muss erzogen sein und bedarf nur „eines äußeren Reizes“ (Heerwart 1901, S. 23). Da aber das Kind ein polymorph angelegtes Wesen ist, müssen nach Heerwart, „die von außen kommenden Anregungen und Eindrücke auch mannigfaltiger Art sein, damit jede Seite berührt werden kann. Die von außen gebotene n Mittel sind die Stützpunkte, an denen sich des Kindes Geist emporrichtet und durch die es von der konkreten Welt in die geistige gelangt“ (ebd. S. 68). Demzufolge kommt nicht nur der Familie, als erste Sozialisationsinstanz, sondern auch der Institution Kindergarten eine gewichtige erziehliche Funktion zu, nämlich:

„1. Die im Kind vorhandene, schlummernde Kraft zu entwickeln und zu entfalten; 2. die Selbstthätigkeit im Kinde zu benutzen, zu unterstützen und anzuregen durch Mittel, die seinem Wesen entsprechen; 3. durch Selbstsuchen die neuen Stoffe zu finden, wodurch der Schaffenstrieb befriedigt und gestärkt wird; die neue Stufe geht folgerichtig aus der vorigen hervor, ist darum mit ihr verwandt; das Neue ist entgegengesetzt und wird durch Mittelstufen verbunden, die das Kind auch selbst findet; die Methode ist eine logische. 4. die Methode ist eine naturgemäße; sie entspricht dem Wesen des Kindes; das Spiel und Beschäftigungsmaterial ist ebenfalls der Natur entnommen und besteht aus typischen Formen, die daher auch Symbole der Außenwelt sind“ (ebd. S. 34 f).


Die Tätigkeit des Kindes ist das Spiel


Für Heerwart war das Spiel, das sie in ihren vielen Schriften nicht eindeutig definierte, das zentrale Erziehungsmittel. Die von ihr herausgearbeiteten Wesensmerkmale, die sie trotz der begrifflichen Unschärfen, in Zusammenhang von Spiel, Arbeit und Lernen, „dem Spiel (und der Beschäftigung) zuschrieb, werden noch heute allgemein anerkannt“ (Boldt 2003, S. 108). Über das Spiel als erste Tätigkeit des Kindes resümierte die Pädagogin:
 
„Die erste Thätigkeit des Kindes hat die Form vom Spiel, darum verachte man des Kindes Spiel nicht, sondern führe es mit liebender Hand zur Arbeit“ (Heerwart 1894, S. 11).

Und an anderer Stelle vermerkte sie, dass das Kind sich kindlich beschäftige, „es soll spielen und nicht über seine Kräfte angestrengt werden. Die Beschäftigungen sehen daher erst wie Spiel aus, gehen aber nach und nach in Arbeit über“ (ebd., S. 3). Des weitern ist für Heerwart das Spiel ein Spiegel dessen, was das Kind „in sich aufgenommen und vermöge seines Lebens- und Schaffenstriebes wiedergeben will“ (Heerwart 1901, S. 23). Da das Spiel dem Kind Freude, Lust und Erholung bringt, das Lernen fördert, ferner umfassend auf das Leben, auf Hand- und Kopfarbeit sowie Kunst und Wissenschaft vorbereitet (vgl. Heerwart 1894, S. 3 ff.), ist oberste Aufgabe der Kindergärtnerin, das kindliche Spiel anzuregen, zu fördern sowie zu befruchten.

 

Literatur:


  • Berger, Manfred, Frauen in der Geschichte des Kindergartens, Frankfurt/Main 1995, S. 75-79

  • Ders: Heerwart, Eleonore, in: Marwinski, F. (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen. Dritte Sammlung, Jena 2006, S. 147-151

  • Boldt, R.: Einige Gedanken über das Fröbelverständnis von Eleonore Heerwart, in: Heiland, H./Neumann, K./Gebel, M. (Hrsg.): Friedrich Fröbel. Aspekte international vergleichender Historiographie, Weinheim 1999, S. 160-170

     

  • Dies.: Eleonore Heerwart über die Gaben und Beschäftigungsmittel Friedrich Fröbels, in: Heiland, H./Neumann, K. (Hrsg.): Fröbels Pädagogik verstehen interpretieren weiterführen. Internationale Ergebnisse zur neueren Fröbelforschung, Würzburg 2003

  • Dams, A.: Leben, Werk und Nachlaß Eleonore Heerwarts – ein Werkstattbericht, in: Heiland, H./Neumann, K./Gebel, M. (Hrsg.): Friedrich Fröbel. Aspekte international vergleichender Historiographie, Weinheim 1999, S. 171-77

  • Heerwart, E.: Music fort he Kindergarten, London 1877

  • Dies.: Der Zweck und das Ziel der Fröbel’schen Gaben und Beschäftigungen mit einer erläuternden Tabelle, Eisenach 1894
 
  • Dies.: Kindergärtnerinnen-Verein, in: Rein, W.: Enzyklopädisches Handbuch der Pädagogik. Vierter Band. Kadetten-Anstalten – Myopie, Langensalza 1897a, S. 100-102

  • Dies.: Kindergarten und Schule, in: Rein, W.: Enzyklopädisches Handbuch der Pädagogik. Vierter Band. Kadetten-Anstalten – Myopie, Langensalza 1897, S. 84 - 91

  • Dies.: Einführung in die Theorie und Praxis des Kindergartens, Leipzig 1901

  •  Dies.: Fünfzig Jahre im Dienste Fröbels. Erinnerungen. I. Band. Bis zum Jahre 1895, Eisenach 1906a

  • Dies.: Fünfzig Jahre im Dienste Fröbels. II. Band. Von 1896 bis 1906, Eisenach 1906

  • Dies.: Die vier Grundsätze Friedrich Fröbels, Eisenach o. J.

  • Wasmuth, Helge: Kindertageseinrichtungen als Bildungseinrichtungen. Zur Bedeutung von Bildung und Erziehung in der Geschichte der öffentlichen Kleinkindererziehung in Deutschland bis 1945, Bad Heilbrunn 2011, S. 230-235


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