Kompensatorische Vorschulerziehung


Anliegen der kompensatorischen Vorschulerziehung ist es, Bildungsdefizite benachteiligter Kinder schon im Vorschulalter auszugleichen. Hiermit soll Chancengleichheit beim Schuleintritt und aus wirtschaftlichen Interessen eine Ausschöpfung aller Begabungsreserven und frühzeitige Qualifizierung der Kinder erreicht werden.
In der ersten Phase der Reformen der Vorschulerziehung (1966-75) wurden in der Bundesrepublik Deutschland, angeregt durch Programme aus den Vereinigten Staaten von Amerika, stark strukturierte, funktionsorientierte Förderprogramme (Materialien zur Sprach-, Wahrnehmungs- und Denkförderung, Übernahme der Fernsehserie Sesamstraße) entwickelt. Grundlage waren Theorien, die schichtspezifische Unterschiede im Sprachgebrauch und Handeln und damit verbundene Defizite (Defizithypothese) beschrieben.
Die aufkommende Kritik an der kompensatorischen Vorschulerziehung bezog sich auf die Abgehobenheit der Maßnahmen vom Lebenszusammenhang der Kinder, die Nichtbeachtung der Ursachen, die Orientierung am soziologischen Modell schichtspezifischer Defizite und die Anpassung der Kinder an Sprache und Normen der Mittelschicht. Der Defizithypothese wurde im Gegenzug die Differenzhypothese gegenübergestellt, die von nicht auszugleichenden Unterschieden ausging, mit der Folge, dass die Programme nicht weitergeführt wurden.
Die Programme erwiesen sich auch längerfristig als unwirksam, wenn sie allein für sich standen. Untersuchungen in den USA ergaben, dass sie nur Erfolg hatten, wenn zugleich umfassende familienunterstützende Maßnahmen bereits bei der Geburt des Kindes einsetzten. Für die im Anschluss an die jüngsten internationalen Schulleistungsstudien geforderten Programme der Spracherziehung und der Förderung benachteiligter Kinder erscheinen diese Erkenntnisse aus den 1970er Jahren berücksichtigenswert.

Literatur

  • Bronfenbrenner, U. (1974): Wie wirksam ist kompensatorische Erziehung? Stuttgart.
  • Iben, G. (1971): Kompensatorische Erziehung. München.


Copyright-Hinweis:
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. © 2011 Verlag Julius Klinkhardt. Quelle: Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE), hg. v. Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz, Winfried Marotzki und Uwe Sandfuchs. Stuttgart, Klinkhardt/UTB 2011, ISBN 978-3-8252-8468-8. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Das komplette Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft erhalten Sie im UTB-Online-Shop (Link s.u.)

 



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