Zur Begrüßung hob Uni-Vizepräsident Prof. Dr. Joachim W. Härtling den wichtigen Beitrag des nifbe zur bestmöglichen Begleitung und Förderung der Kinder in KiTa und Familie heraus: „Viele Bundesländer beneiden das Land Niedersachsen mittlerweile um ein Institut, das Forschung und Praxis auf vielfachen Wegen verbindet und neues Wissen systematisch in den Transfer bringt.“ Er unterstrich die Chance, dass Niedersachsen mit einer weiteren konsequenten Vernetzung und Stärkung der Forschungsexpertise von Emden bis Göttingen zu einem „Exzellenz-Standort für die Zukunft unserer Kinder und damit auch für die Zukunft unserer Gesellschaft“ werden könnte.
nifbe-Direktorin Prof. Dr. Renate Zimmer hob im Anschluss die vielfältigen Netzwerke in Niedersachsen heraus, in denen Forschung und Praxis schon zusammen kommen. In den nifbe-Forschungsstellen und auch an zahlreichen anderen Hochschulstandorten habe sich dabei „eine neue Forschungshaltung etabliert, die das vorhandene Wissen aus der Praxis wertschätzt, gezielt Fragen aus der Praxis aufnimmt oder sogar von Anfang an gemeinsam mit der Praxis Forschungsprojekte entwickelt“. So werde einerseits die wissenschaftliche Theorie differenzierter und praxistauglicher und die Praxis andererseits reflektierter und wissenschaftsbasierter. Resultat sei eine neue Art von ‚groundet science‘, die mit beiden Füßen auf dem Boden stehe.
Bild(er) vom Kind
In ihrem Eröffnungsvortrag beleuchtete Prof. Dr. Heidi Keller die historisch und kulturell bedingten Bilder vom Kind. Zeitlich hätte der Weg dabei von der Annahme eines „nebelartigen Urzustandes“ zum heutigen Bild des „kompetenten Säuglings“ geführt. Eindrucksvoll zeigte sie aber insbesondere auf, wie sich das Bild vom Kind noch aktuell zwischen den Kulturen unterscheidet: „In unseren westlichen Gesellschaften steht das Kind im Zentrum und wird als quasi gleichberechtigte und autonome individuelle Persönlichkeit gesehen.“ Dieses als „Psychologische Autonomie“ bezeichnete Bild vom Kind werde allerdings nur von 5% der Weltbevölkerung geteilt und die meisten Kulturen sähen das Kind vielmehr in „relationaler Verbundenheit“ und damit in ein soziales System aus Familie und Dorfgemeinschaft eingebunden. Damit einher gingen, so Keller weiter, gravierende Unterschiede in den Bildungs- und Sozialisationszielen, die auch in der KiTa-Praxis mit ihrer zunehmenden kulturellen Vielfalt berücksichtigt werden müssten. So seien Kinder aus anderen Kulturen oftmals durch die bei uns selbstverständliche Wahl- und Entscheidungsfreiheit oder durch exklusive 1:1-Interaktionen mit ErzieherInnen überfordert bzw. irritiert. Sie wies auf das in der KiTa noch oftmals unterschätzte „ungeheure Potenzial von Gruppenprozessen“ hin, in denen die ErzieherInnen eine moderierende und begleitende Funktion übernehmen könnten.
Von der Selbstwirksamkeit zur Selbstkompetenz
Die Selbstwirksamkeit stand im Fokus des Vortrages von Prof. Dr. Renate Zimmer. Sie zeigte auf, wie Säuglinge von Anfang an mit ihrer Umwelt in einem ständigen Dialog stehen und ausgehend von ihren sinnlichen Wahrnehmungen schon erste Theorien bilden. Systematisch werde die Welt in einer Abfolge aus Nachahmen, Wiederholen und Variieren erkundet und verändert. Dieses Selbstbildungspotenzial der Kinder gelte es zu fördern und zu unterstützen: „Gelingende Pädagogik muss Kinder ihre Selbstwirksamkeit spüren lassen“, unterstrich Zimmer. Daraus resultiere Selbstvertrauen und ein positives Selbstkonzept. Auch sie hob schon im Hinblick auf die Kleinen und Kleinsten das Potenzial von Gruppen-Prozessen in einem „arrangierten und herausfordernden Raum“ heraus.
Von der Erfahrung der Selbstwirksamkeit führte nur ein kurzer Weg zu der von Prof. Dr. Julius Kuhl aus psychologisch-neurobiologischer Sicht ausgeführten Entwicklung von Selbstkompetenzen als der entscheidenden Basis für erfolgreiche Bildungsprozesse. Selbstkompetenzen stünden für die Fähigkeit, das eigene Verhalten wahrnehmen und einordnen zu können. Wer selbstkompetent sei, könne sich in schwierigen Situationen selbst beruhigen und zugleich motivieren, bei der Sache zu bleiben. Auf der Folie einer bildhaft und amüsant vorgetragenen Zweiteilung des Menschen in ein analytisch-separierendes, bewusstes „Ich“ und ein ganzheitlich-vernetzendes, unbewusstes „Selbst“ führte Kuhl aus, wie Selbststeuerungskompetenzen mit der Beziehungsqualität zusammen hängen: „Gute Emotionsregulation wächst in guten Beziehungen“ resümierte er und plädierte für eine gut abgewogene Kombination aus „Fordern und Fördern“ in der Pädagogik.
Gute Krippen-Pädagogik in der Praxis
Wie gute Krippen-Pädagogik in der Praxis aussieht, führte der begleitend zu den niedersächsischen Handlungsempfehlungen entstandene Film für die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren dem Kongress-Publikum plastisch vor Augen – und zwar anhand der zentralen Bereiche „Bindungen aufbauen“, „Lernumgebungen gestalten“ und „Bildungsprozesse wahrnehmen“. In der Diskussion mit der Filmemacherin und Vorsitzenden der LAG der Elterninitiativen Niedersachsen / Bremen, Stephanie Lüpke, wurde allerdings auch ein gewisser Widerspruch zu den tatsächlich herrschenden Rahmenbedingungen und hier insbesondere dem Personalschlüssel deutlich: „Der Film ist toll und ermutigend, Realität sieht aber anders aus“ brachte eine Teilnehmerin es auf den Punkt. Einigkeit herrschte darüber, dass alle Beteiligten sich in diesem Sinne verstärkt für bessere Rahmenbedingungen einsetzen und entsprechende Initiativen wie in Niedersachsen die „KiTa-Volksinitiative“ unterstützen sollten.
Den Alltag sichtbar machen
Einen Perspektivwechsel von der Entwicklung der Kinder hin zur Arbeit der ErzieherInnen nahm Prof. Dr. Hilmar Hoffmann in seinem Vortrag vor. Ziel seiner Forschungsstelle sei es, den Alltag von ErzieherInnen tatsächlich sichtbar zu machen. Dazu stellte er die Ergebnisse eines (Teil-) Forschungsprojektes vor, in dem SozialassistentInnen, ErzieherInnen und GruppenleiterInnen systematisch im Alltag beobachtet wurden. Stolze 13.000 Tätigkeitsmerkmale resultierten daraus und bei allen drei Gruppierungen lag die Arbeit mit Bezug zum Kind bei rund 50%. Die übrigen großen Tätigkeitsbereiche bildeten die Elternarbeit, die Büroarbeit und hauswirtschaftliche Tätigkeiten. Mit nur relativ leichten Unterschieden verteilen sich die unterschiedlichen Tätigkeiten dabei auf das ganze Team. Grundsätzlich bescheinigte Hoffmann dem Beruf der Pädagogischen Fachkraft in der Krippe ein „hohes Maß an Verantwortung und Entscheidungsspielraum“ sowie eine „hohe Komplexität der Tätigkeiten“. In diesem Sinne forderte er auch eine „tarifliche Neubewertung“.
Den Alltag gestalten
In 18 verschiedenen Workshops konnten die KongressteilnehmerInnen in der Folge erfahren, gemeinsam diskutieren und zum Teil auch schon erproben, wie der Krippenalltag in den verschiedenen Bildungs-und Managementbereichen gestaltet werden kann – von der Bindung und Eingewöhnung über Sprachförderung, Fallarbeit und Inklusion bis zur Elternbildung und der Organisationsentwicklung.
Hätte-Hätte-Pädagogik
Zum Abschluss des Kongresses erlebten die TeilnehmerInnen die Welturaufführung des Theaterstückes „Die Hätte Hätte-Pädagogik“. Unter der Regie von Dietz-Ulrich von Czettric zeigten Stella Hanheide und Miguel Lugasi die wissenschaftlich begleitete Bildungsbiographie von Kevin-Elias auf. Von der Krippe und einer „Frühfrühfrühförderung“ führte der Weg über MINT-, Musik- und Natur-KiTas bzw. Horte schließlich bis zum Abitur, das Kevin-Elias tatsächlich bestand - und dies, obwohl ErzieherInnen und LehrerInnen ihm jeweils unter Verweis auf die Versäumnisse der vorhergehenden Institution immer wieder bescheinigten: „Der kann’s einfach nicht“. Augenzwinkernd wurde so auch die Resilienz des Kindes gegenüber einer allzu gut gemeinten und dann allzu schnell in ein „Hätte Hätte“-Lamento flüchtenden Super-Pädagogik thematisiert.
Wie findet neues Wissen Anschluss in der KiTa?
In ihrem Ausblick resümierte nifbe-Moderatorin Maria Korte-Rüther die aus dem Kongress resultierenden Ansätze zu einer weiteren Verbesserung des Transfers von neuem Wissen in die Praxis. Die Podiumsdiskussio hätte gezeigt, dass es darauf ankomme, „dass Wissen zu bündeln und für die unterschiedlichen Zielgruppen und Praxisanforderungen zu übersetzen“. Nur so könne über die unterschiedlichen Logiken und Kulturen in Wissenschaft, Aus- und Weiterbildung, Fachberatung und KiTa-Praxis hinweg das neue Wissen anschlussfähig werden. Aus den Kongress-Diskussionen, so Maria Korte-Rüther hätten sich in diesem Sinne auch drei ganz konkrete Aufgabenbereiche für das nifbe herauskristallisiert, die es nun anzugehen gelte:
- Systematische Initiierung und Begleitung eines fachlichen Dialogs zwischen den verschiedenen Professionen und Ebenen der Elementarpädagogik
- Gezielte Unterstützung der Fachberatung als Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis
- Regionale Krippen-Arbeitskreise für Praxis-AnleiterInnen
Die Frage des Transfers aus der Sicht von Fachberatung, Ausbildung und Weiterbildung
Im Folgenden stellen wir die Ergebnisse zur Frage des Transfer noch einmal vertief dar. Denn gestartet war der Kongress mit drei „Prolog“-Workshops für Aus- und Weiterbildnerinnen sowie FachberaterInnen, in denen jeweils nach einem kurzen fachlichen Input gemeinsam die Frage diskutiert wurde, wie das neue Wissen aus der Forschung denn tatsächlich in die KiTas gelangen und dort Anschluss an das Vorhandene finden kann. In einer Podiumsdiskussion wurden die zentralen Ergebnisse dann dem gesamten Kongress-Publikum vorgestellt.
Thesen zur Fachberatung
(Input: Erika Brahms, Moderation: Birte Engelberts)
Im Workshop und der Podiumsdiskussion kristallisierten sich die FachberaterInnen als „ideale Schnittstelle zwischen Praxis und Forschung“ heraus. Grundvoraussetzung dafür seien gebündelte und auf den Alltag herunter gebrochene Forschungsergebnisse. Diese müssten „anschlussfähig, handhabbar, sinnvoll“ sowie im Idealfall auch noch entlastend sein. Gemeinsam mit den „möglichst engmaschig“ begleiteten KiTa-Teams könnten FachberaterInnen so im Sinne eines „forschenden Lernens“ neues Wissen in der Praxis wirksam werden lassen. Allerdings müsse immer geschaut werden, was zum aktuellen Zeitpunkt in einer KiTa tatsächlich gerade gebraucht werde: „Ich muss nicht auf jedes Pferd aufspringen und ich muss auch nicht immer alles wissen“ konstatierte eine Fachberaterin entsprechend. Durch die intensive Begleitung der Praxis bündelten sich in der Fachberatung auch die aktuellen Bedarfe, Frage- und Problemstellungen, die in die Forschung zurückgespiegelt werden könnten. Chancen zum Transfer von neuen Wissen ergäben sich, wie Birte Engelberts anhand einer aktuellen Qualifizierungsinitiative des nifbe zur Arbeit mit Kindern unter drei ausführte, auch durch die Kooperation von Fachberatung und Weiterbildung. Grundsätzlich wurde klar, dass die „bunt aufgestellte und ausgebildete“ Fachberatung noch stärker ein „eigenes Professionsverständnis entwickeln“ muss und dass hierfür auch curriculare Vorgaben sinnvoll seien.
Thesen zur Ausbildung
(Input: Dorothee Schnepper-Leuck, Moderation: Bernd Wintzer)
Dorothee Schnepper-Leuck von der Fachschule Sozialpädagogik in Melle umriss die Ausbildung zunächst als „Basis für die Persönlichkeitsentwicklung“. FachschülerInnen bräuchten dabei auch insbesondere eine gute Begleitung in der Praxis, für die Fachschule und Praxiseinrichtung gemeinsam die Verantwortung trügen. Als wünschenswert hob sie beispielsweise durch das nifbe moderierte Arbeitskreise der PraxisanleiterInnen in Niedersachsen zum Thema Krippe und ihren besonders sensiblen Bereichen heraus. Als Beispiel wurde so die Frage diskutiert, ob Kurzpraktika von FachschülerInnen in der Krippe möglich sein sollten. Grundsätzlich forderte Dorothee Schnepper-Leuck „mehr Ressourcen für den unterschätzten Bereich der Praxisanleitung und des Lernortes Praxis“.
Thesen zur Weiterbildung
(Input: Dr. Thomas Südbeck, Moderation: Monja Krafft)
Dr. Thomas Südbeck von der Historisch-Ökologischen Bildungsstätte in Papenburg wies im Workshop einleitend auf die aktuellen vielfältigen Herausforderungen für KiTas hin und warnte davor, diese mit ständig neuen Themen zu überfordern. Neues Wissen und neue Konzepte müssten immer auf dem Vorhandenen aufbauen und die Alltagspraxis würdigen. Entsprechend sollten auch Forschungsfragen verstärkt aus der Praxis entwickelt und idealerweise die Praxis von Anfang an in Forschungsprojekte eingebunden werden. Aufgrund der „unterschiedlichen Kulturen und Logiken von Wissenschaft und Praxis“ plädierte er für „kompetent moderierte Theorie-Praxis-Diskurse“ und für ein „Bündeln, Übersetzen und Herunterbrechen von Forschungsergebnissen“. Kritisch zu hinterfragen sei dabei auch, wie viel „Neues“ denn tatsächlich im neuen Wissen stecke und inwiefern Forschung gängige Best Practice auch fachlich begründen und untermauern könne. Als Herausforderung für die Weiterbildung selber hob Dr. Thomas Südbeck heraus, dass hier „für den Einzelnen wie für die Organisation die Anschlussfähigkeit des neuen Wissen“ hergestellt werden müsse. Dies sei ein komplexer Lernprozess, in dem insbesondere auch „intensive Austausch- und Reflexionsphasen“ notwendig seien. „Die Haltung der WeiterbildnerInnen ist in diesem Prozess mindestens so wichtig wie ihr Wissen“ unterstrich er. Es gehe hier auch immer darum, die Persönlichkeit der ErzieherInnen weiter zu entwickeln und eine „innere Klarheit“ zu fördern. Weiterbildung sollte in KiTa-Teams auch nicht nur nach persönlichen Interessen erfolgen, sondern im Sinne einer Organisationsentwicklung strategisch geplant und umgesetzt werden. Dabei spiele auch das Wissensmanagement im Team eine wichtige Rolle.
Foto-Galerie zum Kongress
Dokumentation
Prolog
Workshop_Weiterbildung_Suedbeck.pdf
Workshop_Ausbildung-Schnepper-Leuck.pdf
Hauptvorträge
Workshops
Workshop_Inklusion_Albers.pdf
Workshop_Borke-Gernhardt-Kulturelle_Vielfalt.pdf
Workshop_Voelker_Schwer_Selbstkompetenz.pdf
Auswertung_Workshop_Föhring_Eltern.pdf
Hinweis: Die Dokumentation wird in den nächsten Tagen weiter vervollständigt. Aufgrund rechtlicher Einschränkungen können einige Powerpoint-Präsentationen jedoch nicht im Internet veröffentlicht werden. Bei Bedarf können diese z.T. für den persönlichen Gebrauch bei der Ko-Stelle angefordert werden.