Die Kindertagesbetreuung hat auch die Aufgabe, Kinder von Anfang an auf das Zusammenleben in einer demokratischen Gemeinschaft vorzubereiten und ihnen Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Respekt zu vermitteln. Doch wie kann das von Anfang an und schon mit den Kleinsten in der Krippe gelingen? Diese Frage beleuchtete eine Fachtagung des von den Wohlfahrtsverbänden, der AGJ und dem Bundesfamilienministerium getragenen Kooperationsprojektes „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ in Berlin.
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giffey kopie„Wir wollen, dass Kinder sich zu starken Persönlichkeiten entwickeln und für sich und ihre Mitmenschen einstehen“ – mit diesen Worten warb Bundesfamilienministerin Franziska Giffey für eine Demokratieerziehung von Anfang an. Sie zollte den pädagogischen Fachkräften ein dickes Lob, da sie unter „oftmals schwierigen Rahmenbedingungen einen tollen Job“ machen. Sie unterstrich, dass KiTa und Kindertagespflege „pädagogische Bildungseinrichtungen“ sind und dass die Frühkindliche Bildung eine „nationale Bildungsaufgabe ist“. Entsprechend werde mit dem Gute-KiTa-Gesetz unter dem Motto „Mehr Qualität und weniger Gebühren“ auch in die Zukunft investiert. Sie sprach sich dagegen aus, diese beiden Aspekte des Gesetzes gegeneinander auszuspielen, denn: „Wenn wir über Qualität reden, müssen wir auch über Zugänge reden“ und die seien in der jetzigen Situation nicht für alle Familien gegeben. Deswegen sollen mit dem Gesetz auch soziale gestaffelte Beiträge bzw. die Beitragsfreiheit für die finanziell Schwächsten mitfinanziert werden. In zehn Handlungsfeldern solle aber insbesondere auch die Qualität verbessert werden und hier, so Giffey, „muss eine bessere Fachkraft-Kind-Relation Priorität haben“. Aufgrund der sehr verschiedenen Ausgangslagen werde der Bund zu diesem Punkt individuelle Vereinbarungen mit jedem Bundesland treffen und perspektivisch sollten aber auch „bundesweite Standards“ ins Auge gefasst werden.

Neue Fachkräfte-Offensive des Bundes

Als zentrale Herausforderung benannte Franziska Giffey den Fachkräftemangel und kündigte eine mit 40 Millionen Euro hinterlegte Fachkräfte-Offensive des Bundes an. Im Fokus stünden hierbei die vergütete praxisintegrierte Ausbildung, die Praxisanleitung und eine entsprechende Entlastung der Fachkräfte sowie die Durchlässigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten im KiTa-Feld.

In „Zeiten von Hetze, Hass und Populismus“ wertete die Familienministerin es auch als wichtiges Signal, dass das Projekt “Demokratie leben“ entfristet wurde und entsprechende Projekte auch im frühkindlichen Bereich weiter gefördert werden könnten. Sie wolle sich darüber hinaus aber für ein „Demokratiefördergesetz“ einsetzen und versprach mit ihrem Berliner Charme: „Penetranz schafft Akzeptanz.“

Präventiv gegen Diskriminierung und Ausgrenzung wirken

021 Fachtagung AGJ Causalux FotogtafieWarum Demokratie schon in der Kindertagesbetreuung gefördert werden muss und wie das gelingen kann, umriss in ihrer thematischen Einführung Prof. Dr. Karin Böllert, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ). Sie unterstrich, dass KiTas und Kindertagespflege den Auftrag haben, „Kinder auf das vielfältige Zusammenleben in einer Demokratie vorzubereiten“ und „präventiv gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu wirken“. Es gehe um das „bewusste leben und erleben von Demokratie und eine zielgerichtete Auseinandersetzung damit“ sagte sie. Allerdings sei, so Böllert, Demokratie kein Kinderspiel und die Entwicklung einer demokratischen Einrichtungskultur kein Selbstläufer. Es komme hier sowohl auf eine „strukturelle Verankerung“ wie auch auf die Entwicklung einer entsprechenden Haltung und Beziehungsgestaltung an. Wichtig sei es dabei auch, die Eltern und ihre möglicherweise ganz anderen Vorstellungen von Partizipation und Mitbestimmung der Kinder einzubeziehen. Abschließend plädierte Karin Böllert für die Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung.

KiTa als "Mikrogesellschaft"

knauerIm Hauptvortrag konstatierte Prof. Dr. Raingard Knauer von der Fachhochschule Kiel, dass das „Thema Partizipation in der Theorie zwar in den KiTas angekommen ist“, dass es in der Praxis aber noch „Luft nach oben“ gibt. Sie hob heraus: „Partizipation ist keine zusätzliche Aufgabe in der KiTa, sondern macht den pädagogischen Kern aus und ist von Anfang an möglich.“ Dabei müsse es in der KiTa als „Mikrogesellschaft“ immer um alle Kinder in ihrer ganzen Vielfalt und um ihre gleichberechtigte und gleichrangige Teilhabe entsprechend ihres Entwicklungsstandes gehen. „Demokratie ist gefordert, Gleichheit und Verschiedenheit miteinander zu vereinbaren“, sagte sie.

Grundsätzlich, so Raingard Knauer, seien Kinder auf mächtige Erwachsenen angewiesen und es gehe nicht darum, diese Macht komplett abzugeben. Es gehe primäre um „Entscheidungen über eigene Belange“ wie zum Beispiel Kleidung, Essen, Schlafen oder Wickeln und um Mitentscheidungen über gemeinsame Belange wie Raumgestaltung, Tagesabläufe, Regeln oder Konzepte. Dafür brauche es „Gremien und Verfahren“ und die pädagogischen Fachkräfte müssten genau überlegen, was Kinder brauchen, um sich eine eigene Meinung zu bilden und diese zu äußern. Bei der Beteiligung der Kinder komme es auf eine dialogische Grundhaltung und darauf an, die Signale des Kindes aufmerksam wahrzunehmen und feinfühlig darauf zu reagieren. So könnten „demokratische Bildungs- und Erfahrungsprozesse“ für alle möglich werden.

Die Frage der Macht

Näher beleuchtete Raingard Knauer die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Kindern und Pädagogischen Fachkräften und betonte, dass „pädagogische Beziehungen auch immer Machverhältnisse“ sind. Fachkräfte hätten so „Gestaltungsmacht“, „Verfügungsmacht“, „Definitionsmacht“ und „Mobilisierungsmacht“ und hier liege immer die Gefahr des bewussten oder unbewussten Missbrauchs. Daher seien klar definierte Beschwerdeverfahren und eine entsprechende offene Beschwerdekultur in der KiTa wichtig.

podium
In einer anschließenden Podiumsdiskussion stellte sich die einzelnen Vorhaben der Verbände in dem Projekt „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ näher vor. Deutlich wurde hier, dass es eine große Bandbreite von Aktivitäten zu diesem Themenbereich gibt – von Befragungen und Informationsmaterialien über Qualifizierungsangebote für pädagogische Fachkräfte und Curriculumsentwicklung bis zu MultiplikatorInnenschulungen. Als ein in der Praxis immer drängenderes Thema stellte sich in der Podiumsdiskussion auch der Umgang mit Rechtspopulismus und Rassismus bei Kindern, Eltern und Team-Mitgliedern dar.

Nähere Informationen zu den einzelnen Projekten sowie eine Vielzahl von Informationen und Materialien rund um den Themenbereich Demokratie und Vielfalt sind auf dem Projektportal zu finden:

https://www.duvk.de/

Text: Karsten Herrmann
Fotos: AGJ/Casalux