- Der Umgang mit Vielfalt ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen und mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich auch die Bundesrepublik Deutschland zur Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems verpflichtet. Wie weit sind wir dabei aus Ihrer Sicht schon gekommen?
- Liegt KiTas ein inklusives Verständnis grundsätzlich näher als beispielsweise Schulen?
Die Kita ist gleichsam der Ort der „Vielfalt von Anfang an!“ Natürlich ist auch das System Kita gefordert, sich immer wieder neu auf die Kinder und ihre Familien in aller ihrer Vielfalt einzustellen und das mit dem großen Ziel der Bildungsgerechtigkeit!
- In der öffentlichen Diskussion wird Inklusion häufig nur auf Kinder mit körperlichen oder geistigen Handicaps bezogen. Welche Position vertreten Sie im Caritas-Verband?
Der Fachbereich Tageseinrichtungen für Kinder beim Diözesancaritasverband vertritt ein weites Verständnis von Inklusion. Inklusion meint „Zugehörigkeit von Anfang an!“ Das Erleben von Zugehörigkeit ist für alle Kinder und Ihre Familien das „A und O“!
Das bedeutet, jedes Kind wird mit all seinen Identitätsaspekten (Alter, Geschlecht, Familienkultur, Familiensprache/n, Fähigkeiten, Interessen, besondere Lernbedürfnisse, ethnische Zugehörigkeit, ökonomische Bedingungen, Religion) als mehrfachzugehörig und damit in seiner konkreten Lebenslage wahrgenommen.
- Wie ist Ihre Träger-Strategie zur Umsetzung der Inklusion und wie unterstützen Sie die Pädagogischen Fachkräfte konkret?
Im April dieses Jahres hat die Caritas Niedersachsen das Positionspapier „Eine Kita für alle!“ abgestimmt, das vor allem auch im politischen Bereich die Notwendigkeit von deutlich verbesserten Standards aufzeigen soll, um das Ziel von wohnortnahen inklusiven Kitas zu erreichen, zu denen jedes Kind Zugang hat und eine qualitativ hochwertige individuelle Entwicklungsbegleitung und Unterstützung erhält.
Neben der fachpolitischen Arbeit des Diözesancaritasverbandes auf Bundes-, Landes- und Ortsebene unterstützt der Fachbereich Tageseinrichtungen für Kinder die Fachkräfte in den Kitas konkret durch differenzierte Veranstaltungen im Jahresfortbildungsprogramm. Dazu zählt u.a. die Fortbildungsreihe „Vielfalt in der Kita – Eine inklusive Kitapraxis gestalten“ die am „Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung“ ausgerichtet ist und mittlerweile zum 5. Mal vom Fachbereich durchgeführt wird.
Für die inklusive Weiterentwicklung der Kita hat die Leitung eine wichtige Rolle. Deshalb findet sich das Thema auch im Leitungskurs „Vielfalt erfolgreich managen“, der seit einigen Jahren erfolgreich gemeinsam mit der katholischen Landvolkhochschule Oesede durchgeführt wird.
Träger und Leitungen können die zuständige Fachberaterin anfragen, wenn es um die Weiterentwicklung zur inklusiven Kita geht.
Ich vertrete im Fachbereich den Schwerpunkt Integration/Inklusion und bin hier u.a. Ansprechpartnerin für diesbezügliche Fragestellungen aus den Kitas.
- Was sind für Sie auf der pädagogischen Ebene die zentralen Stellschrauben für eine inklusive frühkindliche Bildung?
Der pädagogische Alltag muss so gestaltet werden, dass ausgehend von Gemeinsamkeiten die Wertschätzung der Vielfalt und der Respekt davor thematisiert werden. So wird den Kindern ermöglicht, Empathie zu entwickeln sowie faires von unfairem Verhalten zu unterscheiden.
Es gilt ferner, durch eine dialogische Haltung und geeignete Methoden dafür Sorge zu tragen, dass wirklich jedes Kind Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten erfährt.
- Welche Argumente fallen Ihnen spontan dazu ein, Vielfalt nicht als Belastung, sondern als Chance und Bereicherung zu sehen?
- Wie müssen die Rahmenbedingungen für eine inklusive KiTa aussehen? Wie können Standards gesichert werden, wenn jede KiTa zukünftig jedes Kind mit seinen ganz individuellen Ausgangslagen und Bedürfnissen aufnehmen soll?
Es muss sichergestellt werden, dass die individuellen Bedarfe eines jeden Kindes berücksichtigt werden. Deshalb muss den jahrelangen Forderungen der Wohlfahrtsverbände nach einer verbesserten Strukturqualität endlich durch ein entsprechendes inklusives Kitagesetz Rechnung getragen werden. Die diesbezüglichen Forderungen werden seit Jahren an die Politik gerichtet.
Politiker*innen müssen verstehen, dass inklusive Kitas eben kein Sparmodell sind, sondern natürlich eine personelle, sächliche und finanzielle Ausstattung brauchen, die es tatsächlich ermöglichen, jedem Kind gute Bildungsmöglichkeiten zu bieten. Dazu zählt zum Beispiel auch, dass bei Kindern mit Handicaps bei gleichen Hilfebedarfen auch gleiche Leistungen erbracht werden, unabhängig vom Ort des Leistungserbringers.
In jeder Kita ist personell heilpädagogische Expertise notwendig. Zu nennen ist außerdem die Vernetzung im Sozialraum. Hier brauchen Kitas starke Kooperationspartner, um Kindern und Ihren Familien eine bedarfsgerechte Unterstützung zu ermöglichen, auch über die Kita hinaus.
- Wann wird unser Bildungssystem inklusiv sein?
- Vielen Dank für das Gespräch!