imagesDie Interaktionsqualität in der KiTa gilt als ein entscheidender Faktor für eine gute und nachhaltige Bildung und Entwicklung der Kinder. Wie Interaktionen gelingen, wie sie gefördert und unterstützt werden können und welche Rahmenbedingungen dafür auch notwendig sind, beleuchtet nun näher ein aus dem Kontext des Bayrischen Instituts für Staatspädagogik (Monika Wertfein, Andreas Wildgruber, Claudia Wirts und Fabienne Becker-Stoll) herausgegebener Band.

Als Grundlage für spätere pädagogische Interaktionen stellt IFP-Leiterin Fabienne Becker-Stoll zunächst die Bedeutung der elterlichen Feinfühligkeit für die kindliche Entwicklung dar. Neben der Befriedigung physischer Bedürfnisse sei die „Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse die Voraussetzung für eine gute Entwicklung“ und unterschieden würden dabei die „Grundbedürfnisse Bindung, Kompetenz und Autonomie“. Entsprechend der Bindungstheorie sei eine sichere Bindung die Grundvoraussetzung für späteres Kompetenz- und Autonomieerleben. Entscheidend für eine vertrauensvolle emotionale Beziehung sei dabei die elterliche Feinfühligkeit, mit der Signale des Kindes wahrgenommen, richtig interpretiert und prompt und angemessen beantwortet würden. Becker-Stoll unterstreicht an dieser Stelle, dass pädagogische Fachkräfte Kindern, die kein sicheres Bindungsverhalten zu ihren Eltern entwickeln konnten, in der KiTa dabei helfen könnten, „zu einer guten Emotionsregulation zu kommen“. Auch hier wiederum sei eine vertrauensvolle Beziehung und das feinfühlige Verhalten der Erzieherin Voraussetzung. Als gute Möglichkeit ein feinfühliges Interaktionsverhalten von Pädagogischen Fachkräften zu überprüfen und zu schulen sieht sie dabei das Videofeedback.

Einen entsprechenden Coaching-Ansatz zur Weiterentwicklung der Fachkraft-Kind-Interaktion stellt Robert Pianta vor. Auf die USA bezogen konstatiert er zuvor, dass die „Interaktionsqualität in den meisten Settings niedrig, schwankend und inkonsistent über die Jahre“ sei. Das Konzept „MyTeachingPartner (MTP) wurde nun speziell für die Mikroanalyse von alltäglichen Interaktionsanalysen entwickelt und zeigte in der ersten Evaluation „große Effektstärken“ – insbesondere auch für Kindergruppen mit einem hohen Armutsanteil. „Es zeigte sich, dass die Fähigkeit der Fachkraft in der Beobachtung und Unterscheidung von effektiven und ineffektiven Interaktionen der Schlüssel für den Wissenstransfer von den Kursinhalten in die alltägliche Praxis war“. Pianta schlussfolgert, dass Beobachtungsmethoden, die sich zur Erfassung von Interaktionen in Forschung und Anwendung bewährt haben, „die Basis für die ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   von Fachkräften“ bilden. Eine besondere Rolle komme dabei dem Coaching zu.

Auf deutsche KiTas bezogen hat die BIKE-Studie des IFP Bedingungsfaktoren für gelingende Interaktionen zwischen ErzieherInnen und Kindern in bayrischen KiTas untersucht. Wie Claudia Wirts, Monika Wertfein und Andreas Wildgruber darstellen, kam die Studie „zu dem Ergebnis, dass insbesondere im Bereich der Lernunterstützung [...] noch deutlicher Optimierungsbedarf besteht, die emotionale Unterstützung und die Alltagsorganisation aber ein hohes Niveau zeigen.“ Gerade für Essensituationen stellte die Studie eine insgesamt niedrigere Interaktionsqualität fest und das Freispiel werde im Vergleich zu moderierten Situationen seltener für Lernunterstützung genutzt. Bei lernunterstützenden Aktivitäten gehe es „vor allem darum, dass die Kinder zum selbständigen Denken angeregt werden [...]. Weitere Möglichkeiten sind das gemeinsame Sammeln von Ideen [...] oder die Verbindung zum echten Leben“. Zentral sei es, die Kinder dazu anzuregen „sich aktiv mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen und alltägliche Beobachtungen, Erfahrungen und Materialien mit Unterstützung der Erwachsenen zu entdecken, zu verstehen und zu erforschen.“ Allerdings dürfe die Lernunterstützung nicht auf Kosten der emotionalen Unterstützung verbessert werden, „sondern auf Basis guter Beziehungen sollten zusätzlich qualitativ hochwertige Alltagsinteraktionen angestrebt werden.“

Die lange vernachlässigte Rolle von Peer-Interaktionen in den ersten Lebensjahren beleuchten Monika Wertfein und Eva Reichert-Garschhammer und konstatieren, dass diese „ein erstaunlich hohes Bildungspotenzial“ bergen. Symmetrische Peer-Beziehungen ergänzten die asymmetrischen Erwachsenen-Kind-Beziehungen und „sind grundlegend für das wechselseitige Lernen von- und miteinander“. Wie die Autorinnen ausführen, zeichnen sich Peer Interaktionen durch „eine hohe Spielfreude, Beziehungsdichte und Gefühlsintensität aus“ und bildeten in der Kita eine Art „Schutzraum“. Entstehen würden sie in den ersten Jahren insbesondere in gemeinsamen Alltags- und Spielsituationen. Offenbar entwickelten Kinder schon früh gemeinsame Routinen und schafften sich eine eigen „Kultur“: „Kinder regen sich gegenseitig emotional, körperlich, sozial und kognitiv zu neuen Erfahrungen an, entwickeln und verwirklichen gemeinsam neue Idee und spornen sich gegenseitig an, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten auszubauen.“ Schon ab einem Alter von 15 Monaten würden „Als-Ob-Spiele“ möglich und die Kinder schafften sich „zunehmend Raum für das gemeinsame Erfinden und Entwickeln von neuen Realitäten und Fantasiewelten“. Insbesondere aus der Perspektive einer inklusiven Pädagogik würden „Peer-Beziehungen und –Interaktionen eine zentrale Rolle für alle dar[stellen]“ und die Heterogenität von Gruppen könnten durch ErzieherInnen gezielt für das Lernen in Peer-Beziehungen genutzt werden. Grundsätzlich seien Peer-Beziehungen möglich, wenn Kinder sich wohl- und ernstgenommen und als Teil der Gruppe fühlen. Für pädagogische Fachkräfte sei eine aufmerksame Beobachtung der Peer-Interaktionen wichtig, um die Balance zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig an Interaktionsbegleitung wahren zu können.

Neben diesen die (Peer-) Interaktionen direkt fokussierenden Beiträge nehmen in dem Buch auch (teilweise schon länger bekannte) Studienergebnisse zum Gesamtgefüge der KiTa einen breiten Raum ein - vom Outcome der KiTa über die Rahmenbedingungen bzw. das Bedingungsgefüge zwischen Prozess-, Struktur und Orientierungsqualität über den aktuellen Professionalisierungsprozess bis hin zur Zusammenarbeit mit Eltern oder den Interaktionen im Team. Im Sinne eines systemischen Professionalisierungsansatzes sind das ohne Zweifel wichtige Aspekte, allerdings droht das Kern-Thema und die Praxisorientierung damit zuweilen etwas in den Hintergrund zu treten. Insgesamt bietet der Sammelband als eine der erstaunlich wenigen deutschsprachigen Buchpublikationen zum Thema der Interaktion in Kindertagesstätten aber wichtige theoretische wie praxisbezogene Grundlagen und zeigt zentrale Professionalisierungsperspektiven auf.

  • Monika Wertfein, Andreas Wildgruber, Claudia Wirts, Fabienne Becker-Stoll (Hg.): Interaktionen in Kindertageseinrichtungen. Theorie und Praxis im interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en Dialog. Vandenhoeck & Ruprecht, 172 S., 27,99 Euro


Karsten Herrmann