Demokratiebildung in der Kinder-Tagesbetreuung

16. Kinder- und Jugendbericht mit Fokus-Thema

Der 16. Kinder- und Jugendbericht des BMFSFJ nimmt die Förderung demokratischer Bildung im Kinder- und Jugendalter in den Blick und widmet dabei auch der Kindertagesbetreuung ein eigenes Kapitel. Prägnant und wissenschaftlich fundiert werden hier der aktuelle DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  und der Praxis-Stand rund um die Demokratiebildung und Partizipation in KiTas dargestellt sowie Handlungsempfehlungen gegeben.

Wie die Autor*innen ausführen, lassen sich in der aktuellen frühpädagogischen Fachdiskussion drei verschiedene Diskurslinien erkennen:
  • Bildung als partizipativer Aneignungsprozess
  • Partizipation als Kinderrecht (UN-Kinderrechtskonvention / SGB VIII)
  • und Entwicklung demokratierelevanter Kompetenzen als Bildungsaufgabe in KiTas
Grundsätzlich unterstreichen die Autor*innen, dass sich mit dem Bild des Kindes als kompetenter Akteur und Konstrukteur, das sein Selbst- und Weltverständnis im sozialen Austausch entwickelt, „der ko-konstruktive und partizipative Charakter der Bildungsprozesse selber [zeigt]“ (S. 158). Aktuelle Studien würden in diesem Sinne eindrucksvoll belegen, „dass insbesondere alltagsintegrierte und partizipative Interaktionsformate einen positiven Einfluss auf die kognitive, sprachliche und soziale Entwicklung von Kindern haben (S. 159).

Neben der Partizipation als essentiellem Bildungsprinzip ist die Beteiligung und Anhörung von Kindern durch die UN-Kinderrechtskonvention und durch das SGB VIII als unhintergehbares Recht verankert. Eine normativnormativ|||||Normativ  bedeutet normgebend, somit wird etwas vorgeschrieben, dass Normen, Regeln oder ein „Sollen“ beinhaltet.e bildungspolitische Setzung ist wiederum der dritte Aspekt, mit dem die Entwicklung demokratierelevanter Kompetenzen als Aufgabe von KiTas verstanden wird. Die Bereitschaft und Kompetenz zur Mitbestimmung und Verantwortungsübernahme von Kindern ist dabei „unmittelbar verknüpft mit dem Grad an Selbstbestimmung und Teilhabe, den sie in Einrichtungen erfahren“ (ebd.) Einschränkend weisen die Autor*innen darauf hin, dass Partizipation nicht automatisch inklusiv ist, „sondern erst dann, wenn dieses Recht von allen Kindern ohne Ausnahme wahrgenommen wird“ (S. 160). Um gesellschaftliche Ungleichverhältnisse nicht in der KiTa zu reproduzieren ist daher ein besonderer Fokus auf die Kinder zu richten, die gesellschaftlich eher am Rande stehen und die es nicht gewohnt sind gehört und beteiligt zu werden.

Gleichheit als substanzieller Kern der Demokratie

Im Hinblick auf die Demokratiebildung in der KiTa unterscheiden die Autor*innen zwischen einer formalen Dimension der Demokratie (z.B. Regeln, wie Entscheidungen getroffen werden), einer substanziellen Dimension der Demokratie (der unhintergehbare Kern) sowie einer prozesshaften Dimension der Demokratie (das immer neue Aushandeln der Demokratie an sich).

Die substanzielle Dimension bedeutet für die Kindertagesbetreuung demnach, „dass Kinder zunächst Akzeptanz gegenüber einem unhintergehbaren Kern gesellschaftlichen Zusammenlebens entwickeln und die Geltung fundamentaler Prinzipien wie Gleichheit, Pluralismus, Menschenrechte und Minderheitenschutz verinnerlichen“ (ebd.). In Bezug auf Gleichheit sei die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und damit die Fähigkeit andere Menschen als gleichwertige autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.e Personen mit eigenen Überzeugungen, Interessen und Wünschen zu verstehen, entscheidend. Eng verbunden sei damit zu „verstehen, wo eigene Diskriminierung und wo Diskriminierung anderer beginnt“ (ebd.) und dieser auch entgegenzutreten.

In der formellen Dimension von Demokratie geht es in der KiTa vor allen Dingen darum, „Kinder dabei zu unterstützen, die Fähigkeit zu entwickeln, allgemein verbindliche Regeln aus dem Konflikt verschiedener Interessen, durch Partizipation, den Wettbewerb verschiedener Konzepte und Diskursivität herzustellen, durchzusetzen und infrage zu stellen.“ (S. 161). Aus diesem Anspruch leiten die Autor*innen insbesondere die Notwendigkeit ab, im Alltag der KiTas „pädagogische Anregungen zu konzipieren, die geeignet sind, aktiv Selbstwirksamkeitserfahrungen von Kindern zu erzeugen, Selbst- und Mitbestimmung zu organisieren, Aneignung, Aushandlung und Veränderbarkeit von Regeln erfahrbar zu machen, Rationalität zuzuschreiben und Diskursivität erlebbar zu machen“ (ebd).

Demokratiebildung als Lebensform und Alltagskultur

Zusammenfassend unterstreichen die Autor*innen, dass es in der frühkindlichen Bildung „um das professionelle Herstellen und Gestalten einer selbstverständlichen, kinderrechtsbasierten und alltäglichen Demokratieerfahrung für alle Kinder ohne Ausnahme [geht]“ (ebd.) Im Sinne von Dewey sei die Demokratiebildung in der KiTa insbesondere als Lebensform und Alltagskultur relevant und Demokratie müsse entsprechend lebendig erfahrbar sein. Demokratierelevante Kompetenzen könnten im Wesentlichen nicht vermittelt, sondern nur handelnd erworben werden. Wie das in den verschiedenen substanziellen und formellen Dimensionen der Demokratiebildung in der Praxis konkret geschehen kann, wird in der Folge von den Autor*innen ausgeführt und mit Praxisbeispielen illustriert.

Im Hinblick auf den aktuellen Umsetzungsstand in den KiTas müssen die Autor*innen allerdings konstatieren, dass trotz ihrer besonderen Bedeutung „sensitive und partizipative Interaktionsformate kaum eine Rolle spielen. Stattdessen sind direkte Anweisungen (Aufforderungen) und Informationsvemittlung die Regelmodelle der Interaktion mit Kindern (S. 167). Folgerichtig werden auch grundsätzlich „für den Bereich der diskursiven, kognitiven Anregung […] starke Entwicklungsbedarfe“ und beispielsweise für ein hoch wirksames Interaktionsformat wie das Sustained Shared Thinking eine „erschreckend niedrige Qualität und Quantität“ festgestellt (S. 173).

Handlungsempfehlungen

In ihren Handlungsempfehlungen empfehlen die Autor*innen erstens eine „Fokussierung auf den substanziellen Kern von Demokratie […] Kinder sollten verlässlich erfahren, dass es ein nicht verhandelbaren Kern demokratischen Zusammenlebens gibt.“ (S. 175). Zweiten müsse der Fokus auf eine „Verminderung von Widerspruchserfahrungen zwischen postulierter und tatsächlich erlebter Demokratie gerichtet sein (ebd.). Und drittens sollten politische Maßnahmen insbesondere die pädagogisch Handelnden im Team adressieren und die Interaktionsqualität einer KiTa „durch fortlaufende dialogische Werterklärungs- und Reflexionsprozesse im Team“ (ebd.) unterstützen.

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