Anregungen zum Umgang mit Abstandsempfehlungen

Nähe und Distanz in Bezug auf körperliche Annäherung und Berührung

Im Rahmen des Infektionsschutzes zu Covid 19 wird im Moment ein körperlicher Abstand von mindestens 1,5 Metern empfohlen. Das ist in der pädagogischen Praxis in vielen Situationen, wie z.B. der Pflegesituation, unmöglich und scheinbar kaum vereinbar mit dem Anspruch der entwicklungsangemessenen Begleitung der Kinder. Genauer betrachtet sind im pädagogischen Alltag häufig Situationen zu beobachten, in denen Körperberührung als Handlungsoption genutzt wird, jedoch andere Umgangsweisen möglich sind. Das ist insbesondere in Momenten zu beobachten, die von Zeitdruck und enger Taktung im Tagesablauf (z.B. Mikrotransitionen) geprägt sind. Diese Verhaltensweisen sowie auch Gewohnheiten haben sich oft schon in dem Repertoire der pädagogischen Alltagsbegleitung verselbstständigt und werden wenig hinterfragt. Deshalb ist es sinnvoll die bestehende Situation als Auslöser zur Reflexion mit den Themen der Nähe und Distanz wahrzunehmen sowie den Umgang mit Körperberührung zu überdenken. Das Ziel dabei ist für den jetzigen Moment den möglichst größten Gesundheitsschutz für alle Beteiligten zu gewährleisten und achtsam die pädagogische Qualität zu gestalten. Es gilt: „so viel wie nötig – so wenig wie möglich“.

Entwicklungsangemessene Reaktion als Prämisse

Es besteht das Recht der Kinder auf entwicklungsangemessene Reaktion auf ihre Bedürfnisse, geeignete Unterstützung in ihren Lernschritten sowie Sicherheit und Orientierung zu erhalten. Es stellt die Basis des pädagogischen Handelns dar. Das geschieht in der entwicklungsangemessenen Beachtung der Grundbedürfnisse nach Verbundenheit und Autonomie. Diese beiden Aspekte der Entwicklung beinhalten die scheinbar gegensätzlichen Pole von Nähe und Distanz. Für viele Menschen ist der Ausdruck von Nähe eng verknüpft mit Körperberührung sowie die Distanz mit körperlicher Entfernung. Körperberührung ist wesentlich für die und ist mit dem Gebot der körperlichen Distanz - „berühre niemanden ohne sein Einverständnis“ - zu vereinen, um genügend Raum für die Entwicklung der Autonomie zu gewährleisten. Es sind beides Aspekte der Selbstbestimmung. Darüber hinaus kann Körperberührung ein Ausdruck von Distanz sein und genauso kann körperliche Distanz Nähe signalisieren. Gerade deshalb ist die Auseinandersetzung für die Gestaltung des pädagogischen Handelns wichtig. Die Abstandsempfehlungen beziehen sich auf körperlichen Abstand und lassen sehr wohl Nähe zu.

Aufgrund Grundlage zahlreicher Nachfragen, Diskussionen und Beiträgen in den Medien sind die folgenden Impulsfragen entstanden. Sie sollen Sie dabei unterstützen Ihre Selbstreflexion und die gemeinsame Reflexion im Team zu gestalten. Dabei ist das Ziel die Verhältnismäßigkeit im Rahmen von erforderlichem Gesundheitsschutz und pädagogischem Handeln zu erkennen sowie angemessen weiterzuentwickeln.

Um andere Handlungsoptionen der entwicklungsangemessenen Begleitung der Kinder im Alltag zu erkennen, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Assoziationen zu Nähe und Distanz sowie Körperberührung notwendig.

Reflexionsfragen zu Nähe
  • „Was bedeutet für mich Nähe?“
  • „Was möchte ich durch Annäherung ausdrücken?“
  • „Wie drücke ich Nähe aus?“
  • „Welche Verhaltensweisen signalisieren mir die Empfindung von Nähe?“
  • „Welche Verhaltensweisen lösen bei mir den Impuls aus Nähe als Bedürfnis“ zu erkennen?
  • „In welchen Situationen habe ich das Bedürfnis nach Nähe?“, „Was möchte ich erfahren?“
  • „Wann ist mir Nähe angenehm?“
  • „Wann ist mir Nähe unangenehm?“

Reflexionsfragen zu Distanz
  • „Was bedeutet für mich Distanz?“
  • „Was möchte ich durch Distanzierung ausdrücken?“
  • „Wie drücke ich Distanz aus?“
  • „Welche Verhaltensweisen vermitteln mir die Empfindung von Distanz?“
  • „In welchen Situationen habe ich das Bedürfnis nach Distanz?“, „Was macht diese Situationen aus?“
  • „Wann ist mir Distanz angenehm?“
  • „Wann ist mir Distanz unangenehm?“

Vorgedanken zu Körperberührung

Schon vor den jetzt geltenden Abstandsempfehlungen galt: „keine Körperberührung ohne Einverständnis“. Es entsteht aus dem Respekt der Selbstbestimmung und dem Schutz der Intimsphäre. Die Ausübung von körperlicher Berührung ist unter verschiedenen Motiven zu betrachten. Dazu gehören unter anderem:
  • Körperberührung als Ausdruck von Nähe/Zuwendung
  • Körperberührung als Regulationshilfe
  • Körperberührung als Schutz
  • Körperberührung als Unterstützung/Hilfestellung
  • Körperberührung als Ausdruck von Kontrolle
  • Körperberührung als Machtausübung
  • Körperberührung aus eigenen Bedürfnissen

Im pädagogischen Handeln und im Sinne der entwicklungsangemessenen Begleitung von Kindern ist es notwendig diese Motive im Handeln zu erkennen, um anschließend angemessene Umgangsformen zu beschreiben.

Reflexionsfragen zu Körperberührung
  • „In welchen Situationen empfinde ich Nähe durch Körperberührung?“
  • „Welche Möglichkeiten erkenne ich Nähe ohne Körperberührung zu vermitteln?“
  • „In welchen Situationen empfinde ich Distanz durch Körperberührung?“
  • „Welches Bedürfnis nach Körperberührung signalisiert das Kind?“
  • „An welchen Verhaltensweisen erkenne ich das Bedürfnis eines Kindes nach Körperberührung?“
  • „Wie kann ich auf dieses Bedürfnis ohne Körperberührung entwicklungsangemessen reagieren?“
  • „In welchen Situationen ist Körperberührung notwendig (unvermeidbar)?“
  • „In welchen Situationen ist Körperberührung entwicklungsangemessen sinnvoll?“
  • „Wann ist körperliche Berührung entwicklungsförderlich?“
  • „Wie muss die Körperberührung gestaltet sein, dass sie entwicklungsförderlich wirkt?“
  • In welchen Situationen wird Lernerfahrung durch Körperberührung unterbunden?“
  • „Wie kann ich die Kinder angemessen ohne körperliche Berührung begleiten?“
  • „Welches pädagogische Ziel verfolge ich durch die Körperberührung in der Situation?“


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