Wenn zwei sich streiten ...

Konflikte zwischen Kindern achtsam begleiten

Co-Autorin:Kathrin Hohmann


Konflikte bergen Chancen und dienen im besten Fall der Verdeutlichung unterschiedlicher Standpunkte und Meinungen. Die Erziehungswissenschaftlerinnen Kira Daldrop und Kathrin Hohmann beschreiben, wie Konfliktabbrüche oder Konfliktvermeidung reduziert werden können und eine soziale Gemeinschaft entsteht, wenn die Bedürfnisse der Gruppe und der Einzelnen Beachtung finden.

Wie Menschen in Konflikten reagieren, hängt wesentlich davon ab, welche Erfahrungen sie im frühen Alter mit beziehungsweise in Konflikten machten. Wenn es schwierig wird, sind wir alle dazu geneigt, auf diese Erfahrungen und daraus entstandenen Handlungsmuster zurückzugreifen. Das gilt selbstverständlich für pädagogische Fachkräfte, die Konflikte von Kindern begleiten oder in der Kita selbst Konflikte austragen ebenso wie für die Kinder und Eltern, die die Einrichtung besuchen. In einer Kita treffen viele Menschen aufeinander. Auch wenn viele sich ihre Einrichtung als einen Ort voll Harmonie und Freude und vor allem ohne Konflikte wünschen: Konflikte gehören zum Leben und der Umgang mit ihnen stellt nicht nur Kinder immer wieder vor große Herausforderungen. Dafür ein Beispiel aus unserer Einrichtung, wie Sie es ähnlich vermutlich auch kennen:

Sophia und Leon spielen gemeinsam im Flurbereich und bauen mit Decken eine Höhle. Lily, Henriette und Maria kommen hinzu und möchten ebenfalls dort spielen. Sie nehmen sich Decken und Kissen, das Baumaterial von Sophia und Leon, und beginnen sich damit zu verkleiden. Sophia empört sich
laut »Ey, das gehört uns, wir brauchen das alles« und Leon beginnt an einer Decke zu ziehen, die Maria in der Hand hält. Christine, die Erzieherin, beobachtet die Szene aus der Ferne.

Problematisch ist im Grunde nie der Konflikt an sich, sondern vielmehr unser Umgang mit ihm. Positiv betrachtet bergen Konflikte, wie der eben geschilderte, sogar ein hohes Lernpotenzial sowohl für die einzelnen Kinder als auch für die gesamte Gruppe. Durch Konfrontationen lernen Kinder andere Sichtweisen kennen, erfahren prosoziales Verhalten und lernen soziale Werte aufzubauen (vgl. Marx, S. 1). Regeln miteinander auszuhandeln, sie zu überprüfen und anzupassen, gehört zum Leben in einer Gemeinschaft genauso dazu, wie gemeinschaftsverträgliche Handlungsstrategien bei Konflikten zu entwickeln. Hierfür benötigen sie verlässliche Erwachsene, die die Kinder in ihren Auseinandersetzungen wertschätzend begleiten und den Aushandlungsprozess unterstützen (vgl. ebd.).

Was ist ein Konflikt?

Begegnen sich Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, Bedürfnissen oder Interessen, entstehen gelegentlich Reibungen und unter Umständen entwickelt sich ein Konflikt. Dieser ist erst einmal nicht mehr als ein Zusammenstoß, ein Zwiespalt oder ein Zusammentreffen, was letztlich Veränderung und Entwicklung unter Menschen ermöglichen kann (vgl. Focali 2011, S. 54). »Konflikte sind ein Motor, um soziales Verhalten zu lernen« (Marx, S. 1). Sie bieten Chancen, treiben Entwicklungen voran und helfen Kindern u.a. ihre Perspektivübernahme zu entwickeln (vgl. ebenda, S. 1).

Das Wissen um unterschiedliche Konfliktmotive, Konfliktarten und Konflikttypen ist für eine gelingende Abstimmung auf die jeweilige Situation und die beteiligten Kinder sehr hilfreich. Weil Motive und Auslöser nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen bzw. zu durchschauen sind, sollten wir – bei präventivem Eingreifen als auch bei notwendigen Interventionen – im Hinterkopf behalten, dass Konflikte für die Entwicklung von Kindern von Bedeutung sind.

Doch auch wenn die Motive eines Konfliktes offensichtlich sind, die eigentliche Bedeutung liegt meist tiefer und ist weniger leicht erkennbar. Es ist ähnlich wie beim Eisberg: Die Themen, Interessen und Forderungen an der Oberfläche sind sichtbar, die darunter liegenden individuellen Wünsche, Ängste und Emotionen sind weniger greifbar.

Für eine gute Begleitung der Kinder beim Erwerb von Handlungsstrategien zur Bewältigung konflikthafter Situationen ist es darüber hinaus sinnvoll, eine Vorstellung davon zu haben, welche unterschiedlichen Konflikttypen es gibt.

Konflikte sind komplexe Geschehnisse. In den wenigsten Fällen lassen sie sich rein objektiv erklären oder auf eine einzelne Ursache zurückführen. Weil wir immer auch mit unseren eigenen Empfindungen beteiligt sind, ist es gut, hin und wieder unsere eigenen Einstellungen zu Konflikten und unsere Konfliktmuster zu reflektieren (vgl. Focali 2011, S. 56 ff.). Folgende Fragen können dafür hilfreich sein:
  • Wie bewerte ich Konflikte grundsätzlich?
  • In welchen Situationen reagiere ich angespannt?
  • Wie reagiere ich meistens auf Konflikte?
  • Warum reagiere ich in dieser Situation so?
  • Wie sieht für mich eine gute Konfliktlösung aus?
  • Welcher Konflikttyp bin ich?


Insbesondere akute Streitsituationen mit aggressiver Auseinandersetzung sind stressbelastete Situationen. Weil Stress und Überforderung Ärger und Wut auslösen können, die möglicherweise unbedachte Reaktionen (Strafen, Gewalt) hervorrufen, die eine professionelle Konfliktbegleitung verhindern (vgl. Hohmann 2018), sollten wir, wenn wir spüren, dass unsere Impulskontrolle und Frustrationsgrenze sinkt und wir einen Konflikt nicht mit Ruhe lösen können, eine weitere pädagogische Fachkraft einbeziehen.



Konfliktmotive, Konfliktarten und Konflikttypen

Mögliche frühe Motive1 für Konflikte unter Kindern sind (vgl. Haug-Schnabel 2011, S. 53f.):
  • Unterbrochene Handlung: Kinder reagieren auf die Störung oder Unterbrechung ihres Tuns und erkämpfen ihr Spielobjekt, um die Handlung fortzuführen
  • Neugier/Exploration: Bespielte Objekte möchten erlangt werden, um mit ihnen zu explorieren. Sie wirken eventuell durch die Bewegung durch das Kind besonders interessant
  • Erweckte Bedürfnisse: Durch die Beobachtung beispielsweise eines trinkenden Kindes wird an den eigenen Durst erinnert. Das Kind möchte die Flasche entwenden und das Bedürfnis stillen
  • Besitz: Kinder möchten bestimmte Objekte erlangen, sie besitzen und mit »meins« benennen
  • Hierarchie: Hierbei kämpfen Kinder um einen Gegenstand, der Besitz lässt es stärker wirken und in der Rangordnung wachsen
  • Kontakt- und Erregungssuche: Kinder nehmen zum Teil unkontrollierte Kontakte auf, um der Einsamkeit und Langeweile zu entkommen und Aufmerksamkeit zu erhalten


Unabhängig davon, ob es sich um Konflikte zwischen Kindern oder Erwachsenen handelt, unterscheiden wir fünf Konfliktarten (vgl. Focali 2011, S. 64):
  • Interessenkonflikt: Besitzverhältnisse werden ausgehandelt, die Dauer einer Spielzeugnutzung etc.
  • Beziehungskonflikt: ähnlich wie bei der Hierarchie geht es bei diesem Konflikt um die Sicherung von Freundschaften
  • Sachverhaltskonflikte: es verstecken sich oft Missverständnisse, unklare Absprachen oder Ursachen, die es zu klären gilt
  • Strukturkonflikte: Strukturen können ein Auslöser für Konflikte darstellen, ebenso ungünstige Rahmenbedingungen und Räumlichkeiten2
  • Wertekonflikte: treten häufig auf, wenn es um die Einhaltung gemeinsamer Regeln geht und die Verständigung über verschiedene Standpunkte


Wir unterscheiden – ebenfalls unabhängig davon ob es sich um Konflikte zwischen Kindern oder Erwachsenen handelt – vier Konflikttypen (vgl. Focali 2011, S. 59):
  • Menschen, die eher kämpfen
  • Menschen, die eher die Flucht antreten
  • Menschen, die an Aushandlungen/Lösungen interessiert sind
  • Menschen, die vermeidend reagieren und sich dem Schiedsspruch unterwerfen


Konfliktbegleitung

Konflikte sollten wir nicht vorzeitig bewerten oder beenden. Um die richtige Entscheidung zu treffen, hilft es, sich Zeit für einen schnellen Überblick der Situation zu nehmen: Wer ist beteiligt? An welcher Stelle des Konfliktes befinden sich die Kinder? Besteht Gefahr, dass jemand zu Schaden kommt?

Wenn ein Konflikt tatsächlich zu eskalieren droht und wir uns entscheiden, aktiv einzuschreiten, entscheidet maßgeblich unser Interaktionsverhalten darüber, wie der Konflikt weiter verläuft, gelöst wird und welche Möglichkeiten wir den Kindern zugestehen. Je nach Zeitpunkt des Eingreifens der pädagogischen Fachkraft kennen wir unterschiedliche Strategien, die als eine Handlungsorientierung hilfreich sein können.

Denken wir noch einmal an das Beispiel, in dem sich Sophia, Leon und die drei Mädchen demselben Spielplatz und Material zuwenden: Bereits wenn deutlich wird, dass sich zwei Bedürfnisse nicht vereinbaren lassen, kann es für Kinder hilfreich sein, von der pädagogischen Fachkraft eine Rückmeldung zu bekommen. Wir können den Kindern verbalisieren, was wir wahrnehmen und
ihnen durch offene Fragen eine andere Perspektive ermöglichen: Was können wir tun? Welche Ideen haben wir jetzt in dieser Situation? Impulse im Sinne der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten
der Kinder können durchaus hilfreich sein, das Vorgeben einer Lösung hingegen nicht.

Befinden sich Kinder mitten in einer direkten Konfrontation, wird eine solche klare sprachliche Aussage oder ein Rückzug aus der Situation nicht unmittelbar möglich sein. Wenn Kinder schreien, kreischen oder beginnen zu weinen, ohne den Kampfplatz zu verlassen und das eigene Bedürfnis aufzugeben (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 12), brauchen sie an erster Stelle unseren Schutz und einen Streitschlichter.

Besonders destruktive Konflikte sollten wir unterbrechen. Dafür kann die Anwendung eines Notfallprogramms mit der 3-Stufen-Regel hilfreich sein: Im ersten Schritt stoppen wir die Auseinandersetzung, im zweiten trennen wir die Kinder, indem wir uns z.B. zwischen sie begeben und erst im dritten Schritt sprechen wir sie an, um die aufgewühlte Situation zu regulieren. Bei diesem Vorgehen sollten wir Ruhe bewahren – tiefes Ein- und Ausatmen kann dafür unterstützend wirken –, Sicherheit ausstrahlen (vgl. Haug-Schnabel 2011, S. 118) und in kurzen Sätzen sprechen. Sanftes Berühren oder Halten kann Sicherheit signalisieren, bevor wir beginnen, die Situation verbal zu beschreiben und die Gefühle und Bedürfnisse der Kinder zu übersetzen: »Leon, du hältst die Decke noch fest. Du willst nicht, dass Maria sie nimmt und bist wütend, weil sie nicht loslässt. Ich habe gehört, wie du ganz laut ›lass los‹ gerufen und noch fester gezogen hast.«

Kindern, die auch dann in einer scheinbar ausweglosen Situation verharren, aus der eines als Verlierer hervorgehen würde, können wir durch die Auswahl von zwei Möglichkeiten einen überschaubaren Handlungsrahmen bieten. Von einer offenen Frage, wie z.B. »Was können wir jetzt tun?« können sie in aufgeladenen Situationen überfordert sein, eine Auswahl hingegen kann sie wieder handlungsfähig machen. Ob wir die geeignete Variante gewählt haben, können wir an der Reaktion der Kinder ablesen und ggf. nachsteuern.

Häufig haben Kinder nach einem Konflikt das Bedürfnis, uns zu berichten, was ihnen geschehen ist. Oft ist es gar nicht einfach herauszufinden, was, warum, in welcher Art und Weise passiert ist. Maßnahmen. wie das zur Redestellen von Kindern oder das Einfordern einer Entschuldigung für etwas, was in ihren Augen nicht der Wahrheit entspricht, können zu einem Ungerechtigkeitserleben führen. Dies sollten wir unbedingt vermeiden und stattdessen das aktuelle Bedürfnis des kontaktsuchenden Kindes ergründen und beantworten – z.B. durch Nähe und Trost oder Ideen, was es das nächste Mal in der konkreten Situation machen kann – und es nach einem positiven, freudvollen Abschluss und Übergang in das Gruppengeschehen begleiten (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 13).

Was Kinder brauchen

Kinder brauchen Handlungsmöglichkeiten, wie sie empathisch und gewaltfrei miteinander agieren können. Deshalb müssen wir ihre Ideen und Vorschläge ernst nehmen und uns mit ihnen in einen ehrlichen Aushandlungsprozess begeben. Die Entwicklung der Perspektivübernahme, der Emotionsregulation und die voranschreitende sprachliche Entwicklung helfen Kindern, Konflikte
jetzt und in Zukunft besser bewältigen zu können. Wir sollten Kindern alltäglich signalisieren: Bei einer Auseinandersetzung finden wir eine Lösung!

Das Übersetzen ihrer Bedürfnisse und Anliegen ist dafür ein wunderbares Mittel: »Ben, du schaust Mari und Jacob beim Bauen zu. Möchtest du auch mit den Steinen etwas bauen? Du kannst fragen: Kann ich mit euch zusammen spielen?«

Besonders Kinder, die häufig in Konflikte geraten, brauchen eine gute Konfliktbegleitung, um ihre Handlungsspielräume zu erweitern, denn sie müssen noch lernen, wie sie mit Situationen umgehen, in denen sie ein Bedürfnis haben, das Einfluss auf andere haben kann und ggf. in Konflikt zu einem anderen Bedürfnis steht. Um sie zu stärken, können wir sozial anerkannte Strategien bzw. Alternativen zu einer Auseinandersetzung in ihren Fokus rücken oder mögliche Handlungsalternativen mit ihnen gemeinsam entwickeln.

Literatur

  • Dollase R. (2015): Gruppen im Elementarbereich. Stuttgart
  • Focali E. (2011): Aggressionen und Gewalt begegnen. Konfliktbewältigung in der Kita. Köln (1. Auflage)
  • Gutknecht D., Kramer M., Daldrop K. (2017): Praxis kompakt: Kinder bis drei Jahre in: Krippe und Kita. Kindergarten heute spezial. Freiburg i. Br.
  • Gutknecht D. (2015-1): Bildung in der Kinderkrippe. Stuttgart
  • Haug-Schnabel G. (2011): Aggressionen bei Kindern. Praxiskompetenz für Erzieherinnen. Freiburg i. Br. (2. Auflage)
  • Haug-Schnabel G. (2012). Professionelle Beantwortung von Konfliktanlässen. Neue Facetten der Konfliktbegleitung in Kitas. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS). 6, S. 10–13
  • Hohmann K. (2018): Strafen im Kindergarten. Online unter: http://www.fruehebildung.online/artikel.php?id=2340; (letzter Zugriff 31.01.2018)
  • Marx A. (2012): Anregung zum Aufbau einer positiven Konfliktkultur im Kindergarten. In: KiTa aktuell recht 4/2012, Online unter: http://www.ikoinfo.de/downloads (letzter Zugriff 15.02.2017)

Anmerkungen:

(1) Nach einer Untersuchung von Schweizer Entwicklungsforschern, Simoni et al.
(2) Forschungen haben bewiesen, dass es bei größeren Kindergruppen eine erhöhte Konflikthäufigkeit gibt (vgl. Haug-Schnabel 2011, S. 93)


Übernahme des Beitrags miit freundlicher Genehmigung aus Betrifft KInder 3-4/2018, S. 17-20




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