Selbstverständnis und Habitusformen von Fachberatung (Review)

Die „Rolle von Fachberatung im System der Entwicklung von Qualität in der frühen Bildung“ stand im Fokus eines vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung von 2011 – 2014 geförderten Projektes der „AWiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern.“-Linie. Durchgeführt wurde es von einem Projektteam der Hochschule RheinMain und der University Applied Science Wiesbaden Rüsselsheim, dem unter anderem Prof. Dr. Michael May und Prof. Dr. Regina Remsperger angehörten. Es ist eines der wenigen Forschungsprojekte zur Fachberatung in den vergangenen Jahren und gibt wichtige Einblicke in das Selbst- und Beratungsverständnis von Fachberatung und idealtypische berufliche Habitusformen sowie zu den Erwartungen der KiTa-Praxis. Im Rahmen des Projektes wurde auch eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Forschung und Literatur zum Bereich der KiTa-Fachberatung sowie der professionalisierungstheoretischen Diskussion im Kontext der Sozialen Arbeit vorgenommen. Neben den theoretischen Ergebnissen wurden darüber hinaus auch Qualifizierungsmodule sowie ein Selbstreflexionsinstrument für Fachberatung entwickelt, dass im unten zum Download angebotenen Abschlussbericht als Anhang mit enthalten ist.

In Hinblick auf die Ausgangslage konstatieren die ForscherInnen, „dass Fachberatung in der Bundesrepublik gegenwärtig höchst unterschiedlich institutionalisiert und organisiert ist (Abschlussbericht, S. 5) – abhängig von der Frage der konkreten Situation vor Ort, des anstellenden Trägers und insbesondere auch der Frage, ob sie mit Aufgaben von Dienst- und / oder Fachaufsicht beauftragt ist.

Für das Forschungsvorhaben wurden 33 FachberaterInnen mit „unterschiedlichen Vorbildungen aus dem gesamten Spektrum von Trägern quer über das Bundesgebiet untersucht“ (ebd.) Durchgeführt wurden mit ihnen zum einen „problemzentrierte Interviews“ zu ihrem professionellen Selbstverständnis und ihrem jeweils favorisierten Beratungsansatz. Zum anderen wurden reale Beratungsgespräche dieser FachberaterInnen aufgezeichnet und im Anschluss Interviews mit ihnen selber und den Beratenen durchgeführt. Zusätzlich zu diesen Interviews griff das Forscherteam auch noch auf empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.e Daten aus einer vorhergehenden WiFF-Analyse zum Status Quo der Fachberatung zurück.

Vor der – aufgrund von sehr unterschiedlichen Aussagen und in den Beratungsgesprächen wechselnder modus operandi – offenbar nicht ganz leichten Detailauswertung kommen die ForscherInnen zu dem übergreifenden positiven Ergebnis, dass „nahezu alle von uns interviewten Fachberatungen unabhängig von unterschiedlichen Erbringungskontexten [ihrer sozialen Dienstleistung K.H.] im Prinzip mit deren Institutionalisierung und Organisation zufrieden sind – abgesehen davon, dass die meisten sich eine geringere Anzahl von ihnen zu beratender Kitas wünschen“ (ebd. S. 8).

Stand der Wissenschaft


Aufgrund der Vielfältigkeit der Fachberatung in Geschichte und Gegenwart kann man, so das Forscherteam, nur schwer von einem Forschungsstand bezüglich der Fachberatung sprechen (vgl. ebd. S. 9). Dezidierte Forschungsprojekte fanden in jüngerer Vergangenheit nur in Sachsen (Evaluationsprojekt 2007/2008) sowie im Rahmen eines Dissertationsprojektes von Margarita Hense „Zur Wirksamkeit der Fachberatung“ (2008) statt.

Maria Theresia Münch schätzt die Fachberatung so 2010 auch noch als „‘eine Blackbox in empirischer wie fachwissenschaftlicher Hinsicht‘“ ein. Es fehlten systematisch ausgewertete Belege und Fallstudien über die Wirksamkeit von Fachberatung auf den verschiedenen Aufgabenfeldern.

Bezüglich der konkreten Entwicklung in der Praxis konstatiert Margarita Hense (2008/2010) im Rahmen einer systematischen Literaturanalyse jedoch starke Tendenzen in Richtung Dienstleistungsorientierung. Das Projektteam resümiert: „Fachberatung wird so in der konzeptionellen Diskussion vorwiegend als integraler Bestandteil im System der Qualifizierung und Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen akzentuiert. Als Kooperationspartner werden neben den Kindertageseinrichtungen auch die Trägervertreter, die Verwaltungsbehörden und andere Interessenvertreter, wie zum Beispiel Eltern, gesehen, mit dem klaren Ziel der Verbesserung von Qualität in der frühen Bildung.“ (Ebd. S. 12) So scheine sich der klassische Ansatz einer pädagogischen Fach-Beratung in Richtung einer Organisations-Beratung und auch eines Controllings zu verschieben.

Projekt-Ergebnisse


Selbst- und Beratungsverständnis

Im vorliegenden AWiFF-Projekt hat das Forscherteam nun folgende Idealtypen eines beruflichen Selbst- und Beratungsverständnisses von Fachberatung rekonstruiert und jeweils weiter ausgeführt (vgl. ebd. S. 43 – 46):

  • Ermöglichen
  • Expertise
  • Umsorgen
  • Dienstleistung
  • Vermitteln
  • Monitoring
  • Krisenintervention


Idealtypen beruflicher Habitusformationen

Die Rekonstruktion idealtypischer Habitusformen aus der Kodierung und Kategorisierung der Beratungsgespräche erwies sich für das Forscherteam zunächst als schwierig, da der modus operandi „selbst in einer einzelnen Beratungssituation häufig mehrfach wechselte“ und weil „Korrespondenzverhältnisse z[w]ischen bestimmten Organisations- und Institutionalisierungsformen von Fachberatung sowie den Modi der interaktiven Ausgestaltung ihres Erbringungsverhältnisses, sowie Zusammenhänge zu den thematischen Feldern von Fachberatung“ (ebd. S. 48) sich nicht sofort erschlossen. Daher wurden auf der Basis des Datensatzes der bundesweiten WiFF-Befragung bestimmte Zusammenhänge noch einmal „interferenzstatistisch“ überprüft.

Im Ergebnis rekonstruierte das Forscherteam schließlich drei unterschiedliche Habitusformen der Fachberatung:

Strukturbezogener Habitus
„Vereinzelt ließen sich in den von uns analysierten Beratungssequenzen Arbeitsbündnisse rekonstruieren, wo eine solche Organisation von Fachberatung in Form von Dienst‐ und Fachaufsicht gerade bei jüngeren Fachberater/innen und jenen, die studiert haben, mit einem sachlichen, eher interventionistischen und eher distanzierten Modus auf der Interaktionsebene einherging. Solche Arbeitsbündnisse korrelieren mit einem Selbstverständnis von Fachberatung, das sich unter den von uns mit dem Begriff „Monitoring“ charakterisierten Idealtypus subsumieren lässt, so dass sich hier eine entsprechende berufliche Habitusformation andeutet. „ (ebd. S. 49)

Praxisberatender und kontrollvermeidender Habitus
„In unserem Versuch, in komparatistischer Weise Idealtypen beruflicher Habitusformationen von Fachberatung zu rekonstruieren, lässt sich demgegenüber in Beratungssequenzen, die sowohl von Beratenen und Beratenden in den anschließend von uns geführten Telefoninterviews als gelungen bezeichnet wurden, ein modus operandi identifizieren, der trotz entsprechenden Variationen sich deutlich zwischenmenschlich, dialogisch und emotional zugewandt profiliert. Bei der Relationierung axialer Kodierungen wurden auf der gesellschaftlichen Ebene Bezüge zu den neuen Bundesländern deutlich. In den Beratungsgesprächen der Fachberater/innen aus den östlichen Bundesländern fanden sich die Kooperationsformen ‚Fragen‘ und ‚Strukturieren/Moderieren‘ sowie ein ‚eher abwartender/ gewährender‘ modus operandi deutlich häufiger als in Beratungen westlicher Fachberater/ innen. Zwar brachten sie die Forderung nach einer guten Kindertagesbetreuung gegenüber den Beratenen zum Ausdruck, gleichzeitig trafen sie jedoch deutlich weniger Entscheidungen als ihre westlichen Kolleg/innen. Die Auswertung von Beratungsgesprächen und Telefoninterviews erweckte den Eindruck, dass sich Fachberatung im Osten Deutschlands gegenüber den Beratenen zurückhält und die Beziehungsgestaltung in den Vordergrund stellt. Hierbei gerät sie in das Dilemma, auf eine gute Kindertagesbetreuung hinwirken, historisch bedingt jedoch Intervention und einen direktiven Umgang vermeiden zu wollen. Fachberater/innen in den östlichen Bundesländern geht es darum, ein ‚Vertrauensverhältnis‘ mit den Beratenen aufzubauen, einen ressourcenorientierten und wertschätzenden Umgang zu pflegen und dafür zu sorgen, dass die Beratenen sie ‚nicht mehr so als Kontrolle sehen oder als Belehrung‘. ‚Angst‘ und ‚Druck‘ auf Seiten der Beratenen sollen vermieden werden. Sie möchten von den Beratenen als ‚Chance‘ erlebt werden, die sie ‚dabei unterstützt, ihre Arbeit zu reflektieren und zu verändern‘. Dass sich ein solcher Modus von Fachberatung quer über die verschiedenen Institutionalisierungs- und Organisationsformen von Fachberatung in den neuen Bundesländern zeigt, bekräftigt die These eines historisch bedingten, regionalen Habitus von Fachberatung.“ (ebd. S. 49f)

Erratischer Habitus
„Ein weiterer Habitus deutete sich auch in der Analyse von Beratungssituationen an, die zwar durch einen häufigen Wechsel des modus operandi (zwischen einem eher abwartenden und partizipativen Umgang mit den Beratenen und einem eher interventionistischen und direktiven Umgang) gekennzeichnet sind, mit denen aber Beratende und Beratene in den anschließenden Telefoninterviews gleichermaßen hoch zufrieden zeigten. [... Es] zeigten sich subtile Kalibrierungen bezüglich Themen, Anlässen und Stimmungen. Über die axiale Kodierung ließen sich solche Kompetenzen vor allem bei Fachberater/innen aufweisen, die zuvor selbst in Kitas beschäftigt waren. [...] Denn schon dort mussten die betreffenden Personen lernen, höchst unterschiedliche Ansprüche miteinander zu vermitteln und sich immer wieder neu auf die verschiedensten Lebensäußerungen von Kindern oder Eltern einzustellen [...]. Für einen entsprechenden Habitus spricht zudem, dass ein solcher Modus von Fachberatung bei den ehemaligen Kitaleitungen bzw. – mitarbeiter/innen mit einem Selbst‐ und Beratungsverständnis als Fachberatung korrespondiert, die zwischen den von uns rekonstruierten Idealtypen von umsorgen, vermitteln, Expertise und Krisenintervention oszilliert. Ein weitaus gewichtigeres Argument, dass es sich tatsächlich um einen Habitus handelt, ist jedoch, dass dieser – ähnlich wie der praxisberatende und kontrollvermeidende Habitus – offensichtlich ganz unabhängig von unterschiedlichen Institutionalisierungs‐ und Organisationsformen von Fachberatung praktiziert wird.“ (ebd. S. 50f)


Qualitätsansprüche

In einer weiteren Auswertung verglich das Forscherteam die Qualitätsansprüche der FachberaterInnen selber mit denen der zu Beratenen. Gleichermaßen hoch ausgeprägt zeigte sich hier der Anspruch an die Kompetenz der Fachberatung. Während die FachberaterInnen die Haltung als zweitwichtigsten Qualitätsanspruch ansahen, stand auf der Seite der Beratenen die fachliche Begleitung an zweiter Stelle. Deutlich wichtiger erschien den Beratenen auch die Stärkung nach innen und außen als den FachberaterInnen selber.

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Instrumente


Auf der Grundlage ihrer Forschungsergebnisse haben die ForscherInnen in diesem AWiFF-Projekt auch Qualifizierungsmodule sowie ein Selbstreflexionsinstrument für FachberaterInnen entwickelt. Für das Selbstreflexionsinstrument bildeten die „professionellen Paradoxien“ den Ausgangspunkt: „Diese Paradoxien stellen Dilemmata dar, denen die Fachberatung in ihrer Tätigkeit begegnet. In der Regel können sie nicht aufgelöst werden, nichtsdestotrotz muss Fachberatung mit den Dilemmata umgehen.“ (ebd. S. 56) In diesem Sinne böten sie wertvolle Ansatzpunkte zur Reflexion der Beratungspraxis. Folgende Paradoxien werden für Selbstreflexionsinstrument aufgelistet und ausgeführt:

  1. Typisierung vs. Fallentfaltung
  2. Prognosen auf schwankender empirischer Basis
  3. Geduldiges Abwarten vs. Sofortige Intervention
  4. Entscheidungslagen offen halten (und Risiken eingehen)
  5. Berücksichtigung biografischer Hintergründe
  6. Exemplarisches Demonstrieren vs. Erzeugung von Unselbstständigkeit
  7. Umgang mit schwierigen Bedingungen von Kitas
  8. Umgang mit schwierigen Bedingungen von Fachberatung
  9. Problementfaltung und aktive Klärung des Bildungsauftrags
  10. Sicherheit durch Routine vs. Einschränkung der Handlungsaufmerksamkeit
  11. Die Forderung nach einer guten Kindertagesbetreuung vs. Interessen und Vorstellungen der Beratenen
  12. Machtentfaltung vs. Fallentfaltung
  13. Notwendigkeit von Befangenheit und Reflexion

Das Projektteam hat diese Paradoxien in einen (sich noch in weiteren Entwicklung befindlichen) Bogen eingearbeitet, der als Anlage auch im unten zum Download angebotenen Projektbericht enthalten ist.



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