Elternkompetenz gezielt unterstützen

Pilotprojekt untersucht Interventionen in familiären Risikokonstellationen

Trotz einer zunehmenden institutionellen Betreuung in den ersten Jahren ist und bleibt die Familie ein zentraler Erziehungs- und Bildungsort von Kindern. Neben der Qualitätsdiskussion um die frühkindliche institutionelle Betreuung ist daher auch verstärkt zu betrachten, wie im Familiensetting gute Bedingungen für die Entwicklung und Bildung der Kinder von Anfang an geschaffen werden können – z.B. auch durch Interventionsprogramme bei familiären Risikokonstellationen. Aus den angelsächsischen Ländern vorliegende Evaluationen (z.B. NICHD) zeigen bereits, dass insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen von frühpräventiven Maßnahmen profitieren. In Anbetracht der gerade auch in Deutschland engen Verknüpfung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft liegt hier daher auch ein erfolgversprechender Ansatz zu mehr Chancengleichheit

Die als Längsschnittuntersuchung angelegte Interventionsstudie „ZEPPELIN 0-3“ untersucht nun in der Schweiz die Frage, „ob Maßnahmen der selektiven Prävention ab Geburt die Bildungschancen von Kindern aus Familien in psychosozialen Risikokonstellationen erhöhen“ (Lanfranchi / Neuhauser 2013, S. 3). Vorgesehen sind vier Messzeitpunkte im 3., 12., 24. und 36. Monat der teilnehmenden Kinder sowie zwei Folge-Messungen bei Schuleintritt und Übergang in die Sekundarstufe 1.

Drei zentrale Fragen stehen im Fokus dieser Studie:

a) Wie können Familien in psychosozialen Risikokonstellationen rund um die Geburt erkannt und zur Partizipation an früher Förderung gewonnen werden?

b) Welche Formen der Intervention eignen sich für psychosozial belastete Familien bzw. was sind Kriterien für wirksame Programme?

c) Mit welchen Methoden kann die Wirksamkeit überprüft werden?
 

Komplexes Familiensystem

Als theoretische Grundlage beziehen die ForscherInnen sich auf die ökologische Systemtheorie von Urie Bronfenbrenner. Diese betrachtet das Kind als ein Wesen, das sich in einem System von jeweils durch die Umgebung beeinflussten Beziehungen und Interaktionen entwickelt. Familie stellt sich so als ein äußerst komplexes System da, das zum einen durch ein inneres Beziehungsgeflecht und zum anderen durch den (sozialen) Kontext wechselseitig beeinflusst wird. So gehen die ForscherInnen auch davon aus, dass alle psychosozialen Belastungen, denen die Eltern ausgesetzt sind, sich auf die Bereitschaft und ihre Fähigkeit auswirken, sich feinfühlig auf die Interaktion mit dem Kind einzulassen. Dies kann wiederum dazu führen, dass Kinder ihrerseits schwierige oder missverständliche Interaktionssignale geben – ein „dysfunktionaler Teufelskreis“ (Lanfranchi / Neuhauser 2013, S. 4).

Ziel der Schweizer Interventionsstudie ist es, in diesem komplexen System der Familie die Erziehungs- und Beziehungs-Kompetenzen der Eltern in Risikokonstellationen zu verbessern, so „dass sie die spezifischen Bedürfnisse ihres Kindes erkennen, damit adäquat umgehen können und entwicklungsorientiert für möglichst optimale Ausgangsbedingungen […] sorgen“ (Lanfranchi / Neuhauser 2013, S. 4).


Interventionsprogramm PAT

Als Interventionsprogramm wurde in dem Projekt das in den USA langjährig erfolgreich erprobte und für den deutschsprachigen Raum adaptierte „PAT – Mit Eltern lernen“ ausgewählt. Wie Lanfranchi und Neuhäuser ausführen, hat PAT vier übergeordnete Wirkungs- bzw. Zielbereiche:

1) Die Eltern steigern ihr Wissen über die frühkindliche Entwicklung und verbessern ihre Erziehungsaktivitäten

2) Das Kind wird in seiner motorischen, kognitiven, sprachlichen und sozio-emotionalen Entwicklung gefördert, wodurch sich seine Bildungschancen erhöhen

3) Mögliche Entwicklungsverzögerungen werden frühzeitig erkannt

4) Kindesmisshandlung und Vernachlässigung werden so weit wie möglich verhindert

In enger Kooperation mit Einrichtungen aus dem psychosozialen und medizinischen Versorgungsumfeld wurde in dem Projekt ein „Risiko-Screening“ bei Familien in Risikokonstellationen durchgeführt. Insbesondere über die in der Schweiz verbreiteten und mit deutschen Familienhebammen vergleichbaren „Mütterberaterinnen“ erfolgten der nähere Zugang und die Rekrutierung. Die ausgewählten Familien wurden dann per Zufall in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe aufgeteilt.

Evaluiert werden die Projekt-Ergebnisse im Hinblick auf die Erziehungseinstellungen und (Versorgungs-) Kompetenzen der Eltern und die Entwicklung des Kindes sowie auf die Interaktionsqualität zwischen Kind und Eltern mit verschiedenen Instrumenten (Fragebögen, Tests, Beobachtungs- und Interviewverfahren). So wird beispielsweise der Anregungsgehalt in der Umwelt des Kindes, die „Elterliche Responsivität“, die „Akzeptanz des Kindes“ oder vorhandenes „Lernmaterial“ erfasst und eingeschätzt.


Erste positive Ergebnisse

In einer vorgeschalteten Machbarkeitsstudie konnten die Verfahren und Instrumente zur Zielgruppen-Erkennung und –Erreichung sowie die Eignung des „PAT“-Programms und der Evaluationsmethoden bereits positiv bewertet werden. Ein Problem stellte jedoch die auch in Deutschland herrschende „Kluft zwischen den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystemen rund um die Geburt“ ((Lanfranchi / Neuhauser 2013, S. 8) dar, die aufwändige interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.e Vernetzungsaktivtäten notwendig machte.

Nach den ersten Messzeitpunkten ist für die ForscherInnen im Ergebnis besonderes „bemerkenswert, dass die Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppe nach mehrmonatiger Intervention in jenen Bereichen besonders gross sind, die durch ‚PAT – Mit Eltern lernen‘ spezifisch gefördert wurden, wie die Versorgung mit altersangemessenem Spielmaterial, die Vermittlung von entwicklungspsychologischem Wissen oder die Stärkung vorhandener Erziehungskompetenzen.“ Sie erwarten, dass ein förderndes oder hemmendes Familiensetting mit fortschreitender Entwicklung der Kinder eine noch größere Rolle einnimmt und die Unterschiede zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe noch an Signifikanz zu legen werden.


Literatur:

  • Andrea Lanfranchi / Alex Neuhauser: ZEPPELIN 0-3: Theoretische Grundlagen, Konzept und Implementation des frühkindlichen Förderprogramms „PAT – Mit Eltern Lernen“. In: Frühe Bildung, 2013/1, Göttingen: Hogrefe, S. 3-11