Grenzen setzen und Spielräume nutzen

Wie sich Kitas trotz Fachkräftemangel entlasten können



Viele Leitungen stehen akut vor dem Problem, gemeinsam mit dem Träger auf den Fachkräftemangel reagieren zu müssen, gleichzeitig aber die Belastung des Teams zu verringern und das Kindeswohl zu garantieren. Der Beitrag stellt unter anderem Ideen und Ansatzpunkte eines Kooperationsprojekts vor, um den Herausforderungen ressourcenorientiert zu begegnen.

Seit Jahren belastet der Fachkräftemangel die Kitas und durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation noch einmal deutlich verschärft. Ein Teufelskreis aus Überlastung durch Fachkräftemangel und Fachkräftemangel durch Überlastung hat sich entwickelt.

Der aktuelle Kita-Bericht des Paritätischen Gesamtverbands zeigt, dass es extrem schwer und aufwändig geworden ist, Fachkräfte zu gewinnen, und dass es kaum geeignete Bewerbungen auf offene Stellen gibt. Besonders Kita-Leitungen müssen deutlich mehr Zeit als früher aufwenden, um neue Fachkräfte zu gewinnen. Zeitressourcen, die an anderer Stelle fehlen. Von der Bundesagentur für Arbeit wird der Beruf Erzieher*in als sogenannter Engpassberuf eingestuft und so ähnelt die Suche nach Fachkräften dem Fischen in einem leeren Teich.

Auch im aktuellen Nationalen Bildungsbericht wird der Fachkräftemangel als zentrales Problem in der Frühen Bildung benannt. Demnach „ist vor allem in Westdeutschland der ungedeckte Personalbedarf kurzfristig sehr hoch: Es fehlen aktuell und in den allernächsten Jahren voraussichtlich bis 2025 – je nach Berechnungsszenario – rechnerisch zwischen 20.400 und 72.500 Personen allein in Westdeutschland, die nicht durch die zu erwartenden Neuzugänge aus einschlägigen Ausbildungen aufzufangen sind“ (Autorinnengruppe Bildungsberichterstattung 2022, S. 314).

In der bundesweiten ERiK-Leitungsbefragung äußerte bereits 2020 fast ein Viertel der Leitungskräfte, dass bei ihnen Stellen seit mindestens einem halben Jahr unbesetzt seien (Autorinnengruppe Bildungsberichterstattung 2022, S. 311). Grundsätzlich ist also davon auszugehen, dass ein Großteil der Einrichtungen immer wieder über längere Zeit mit Vakanzen umgehen muss. Verschärft wurde die Situation seit Beginn der Pandemie noch durch Personalausfälle von bis zu 20 Prozent der Beschäftigten pro Woche aufgrund von Corona-Infektionen und anderen Erkrankungen (vgl. Corona-Kita-Dashboard).

Die Studie „Soziale Arbeit macht Gesellschaft“ von 2020 zeigt auf erschreckende Weise, dass sich 62,1% der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit, zu der auch Kitas gehören, belastet oder extrem belastet fühlen. Viele Fachkräfte tragen sich mit dem Gedanken, ihre Stelle (29,9%) oder sogar das Berufsfeld (16,2%) zu wechseln. Umgekehrt wirkt ein be- oder überlastetes Arbeitsfeld wenig attraktiv auf Neu- oder Quereinsteiger*innen. Gefährdet ist also die Gesundheit der Erzieher*innen, aber auch das Kindeswohl. Im ver.di-Personalcheck gaben fast 44 Prozent der Befragten an, zeitweise für mehr als 17 Kinder am Tag gleichzeitig verantwortlich zu sein, fast ein Viertel davon sogar für mehr als 21 Kinder.

Entlastung wird durch viele kleine Maßnahmen möglich

Klar ist, dass Fachkräfte nicht herbeigezaubert werden können und dass es nicht die eine Stellschraube schlechthin zur Verbesserung der aktuellen Situation gibt. Gedreht werden kann und muss aber an vielen kleinen Schrauben gleichzeitig. Und es muss offen und ohne Tabus darüber nachgedacht werden, was Kitas angesichts des Mangels noch leisten können und was unabdingbar zum pädagogischen Kerngeschäft gehört. Im Fachdiskurs und in der Praxis zeichnen sich hierfür zunehmend Lösungsansätze parallel zur Forderung nach besseren Rahmenbedingungen ab. Hier einige Beispiele:
  • Bewusste Abgrenzung und Konzentration auf das pädagogische Kerngeschäft: Was ist unabdingbar und was hat absolute Priorität? Welche Aufgaben sind weniger wichtig? Welche Projekte entlasten, welche Projekte belasten? Welche konzeptionellen Änderungen (z.B. hin zu „halb-offen“ oder „offen“) erlauben einen flexibleren Personaleinsatz?
  • Entlastung von Leitung und Team: Kita-Leitungen sollten mit Nachdruck auch gegenüber dem Träger prüfen, inwieweit sie sich von administrativen Arbeiten entlasten können - zum Beispiel durch Verwaltungskräfte in der Einrichtung oder beim Träger. Dasselbe gilt für die Teams, indem sie zusätzlich hauswirtschaftlich-technische Unterstützung erhalten. Oft bleiben hier Spielräume bei der Re-Finanzierung ungenutzt.
  • Konsequente Nutzung der Gefährdungsanzeige: Kann der Mindest-Personalschlüssel nicht mehr gewährleistet werden, müssen in Absprache mit dem Träger entweder die Öffnungszeiten an das vorhandene Personal angepasst oder Gruppen geschlossen werden (oder beides).
  • Gruppenzusammenlegungen in Randbetreuungszeiten: Zusätzlich sollten - soweit vom jeweils geltenden Kita-Gesetz erlaubt - Hilfs- und Assistenzkräfte zur Unterstützung herangezogen werden.
  • Sondierung zusätzlicher personeller Ressourcen: Hierzu zählen Assistenz- und Hilfskräfte, PIA-Auszubildende, FSJler, Bufdi’s, Quereinsteiger*innen, unterstützende Eltern und Großeltern.

Im Kooperationsprojekt wurden hilfreiche Strategien entwickelt

In dem Projekt „Ressourcenorientierte Organisationsentwicklung in Kindertagesstätten“ (1) , das unter Beteiligung des „Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung“ (nifbe) durchgeführt wurde, stand Personalmangel als größter Belastungsfaktor des Kita-Alltags im Fokus. Auf die Frage „Was müsste sich verändern, damit Ihre Stresssituationen reduziert werden?“ wurde in erster Linie zunächst die Verbesserung der personellen Ausstattung oder Reduzierung der Gruppengrößen gefordert. Doch nach eingehender Reflexion der Belastungsfaktoren ergaben sich wertvolle Hinweise auf kurz- und mittelfristige Strategien, die Reibungsverluste in der Einrichtung vermeiden helfen. Folgende Ansätze tragen dazu bei, ressourcenorientierter, weniger gesundheitsbelastend und insgesamt zufriedener zu arbeiten:

Kommunikation:
Viele Situationen im Kita-Alltag lassen sich durch klare Absprachen mit Kolleg*innen und Leitung erleichtern. Dies bestätigen Projektteilnehmer*innen aus den 21 Kitas. In mehreren Workshops entwickelten die Fach- und Leitungskräfte bedarfsorientierte Strategien für eine bessere Kommunikation im Team. Beispielsweise wurde ein „Daily Stand-up“ eingeführt - eine Gesprächsrunde von maximal 15 Minuten im Stehen. Hier informieren sich die Teilnehmenden gegenseitig kurz und knapp über Ereignisse des vergangenen Tages oder die aktuelle Tagesplanung.

Zuständigkeiten:
Eng verknüpft mit Absprachen ist die klare Rollenverteilung. Kennt das Kita-Team die Ressourcen, Talente und Interessen seiner Mitglieder, kann es dieses Wissen auch optimal nutzen. Erfahrungen aus der Organisationsentwicklung zeigen, dass selbst Fachkräfte, die schon langjährig in einer Gruppe zusammenarbeiten, nicht unbedingt um die Stärken der Kolleg*innen oder Möglichkeiten der Einrichtung wissen. Daher gilt es, beides konsequent in den Blick zu nehmen.

Transparenz
Um Partizipation im Team und eine gelingende Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zu ermöglichen, muss die pädagogische Arbeit transparent sein. Teams profitieren von nachvollziehbaren Strukturen. Damit alle Kolleg*innen, vor allem neue, jederzeit gut informiert sind, wurden in manchen Kitas Kanban-Boards zur Visualisierung laufender Aufgaben eingeführt. Diese agile Aufgabenwand kann physisch mithilfe von Haftnotizen/Moderationskarten oder auch digital eingerichtet werden.

Balance
Häufen sich herausfordernde Situationen im Berufsalltag, sollte den pädagogisch Tätigen Gelegenheit zum „Dampfablassen“ geboten werden. Neben Methoden des Beschwerdemanagements kann beispielsweise vor oder nach einem Arbeitstag spontanes Aufschreiben bedrückender Gedanken und anschließendes Zerreißen der Psyche guttun.

Außer solchen kurzfristigen Ansätzen brachten auch mittelfristige Veränderungen Entlastung für die Fach- und Leitungskräfte aus den Projekt-Kitas:

System und Netzwerk
Dass ein klar geregeltes Vertretungssystem angesichts der Personal- und Coronasituation unabdingbar ist, versteht sich von selbst. Von den Projektteilnehmenden wurden einrichtungsübergreifende Vertretungsregelungen als besonders hilfreich empfunden. Tragfähige Netzwerke entlasten bei pädagogischen Aufgaben wie etwa den Umgang mit Vielfalt und Inklusion oder auch die Zusammenarbeit mit Eltern. Eine der Kitas stellte dazu einen „Stakeholder-Rat“ bestehend aus Elternbeirat und Akteur*innen des Sozialraums auf.

Resilienz
In vielen Projekt-Kitas kam angesichts eines hohen Krankheitsstandes das Thema Gesundheit und Selbstfürsorge zur Sprache. Vielfach wurden vor allem die Arbeit mit den Familien und deren Kritik als Belastung empfunden. Daraufhin wurde in Workshops der Umgang mit Kritik (von außen und innen) sowie die Entgegennahme von Feedback durchgespielt. Einige Fachkräfte schlossen sich zu einer AG zusammen, um bedürfnisorientiert und in Abstimmung mit Leitung und Träger gesundheitsfördernde Maßnahmen umzusetzen (beispielsweise: Atempausen im Alltag schaffen).

Es gibt kein Patentrezept

Wie eingangs erwähnt, gibt es kein schnell wirkendes Patentrezept gegen den Fachkräftemangel und für die Entlastung von Leitung und Team. Jede Kita muss entscheiden, welche der kleineren Stellschrauben für sie infrage kommen, und verbliebene Spielräume konsequent nutzen. Eine Schärfung und transparentere Gestaltung interner Abläufe - auch mit Unterstützung der Fachberatung - sowie die Nutzung noch unerkannter Ressourcen sind immer eine Option. Parallel dazu sollte gemeinsam mit dem Träger überprüft werden, inwieweit Entlastung durch kürzere Öffnungszeiten oder zusätzliche (alternative) Personalressourcen möglich ist. Allerdings muss der Mehraufwand durch Anleitung, Einarbeitung und Begleitung ebenso mitbedacht werden wie eine drohende De-Professionalisierung durch den Einsatz von Nicht-Fachkräften. Es kann sich also nur um Not- oder Übergangslösungen handeln. Und sie ändern nichts an der seit langem bestehenden Forderung, die Finanzierung des Systems Kita und die Rahmenbedingungen zu verbessern. Nur so wird das Arbeitsfeld attraktiver und nur so können Kitas das Versprechen von Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Kinder auf Dauer einlösen.


Fußnote
(1) Unter Leitung der Historisch-Ökologischen Bildungsstätte Emsland in Papenburg werden gemeinsam mit dem Bildungs- und Tagungszentrum Ostheide in Barendorf und dem nifbe in 21 Kitas in Lüneburg und im Emsland Organisationsentwicklungsprozesse angestoßen. Das Projekt wird über die Förderlinie „Soziale Innovation“ im Niedersächsischen ESF-Programm finanziert.

Literatur


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus:
kindergarten heute - Das Leitungsheft, 4-2022, S. 17-19


Verwandte Themen und Schlagworte