Individuelle Förderung in der Grundschule

Eine empirische Untersuchung zu Positionen von GrundschullehrerInnen

Projektbeschreibung:


Projektleitung:

 

Projektteam:

 

Hintergrund

Ausgehend von der Feststellung, dass individuelle Förderung als bildungspolitische Anforderung an Lehrkräfte gestellt wird, führte die pädagogische Abteilung der Forschungsstelle Begabungsförderung von 2008 bis 2011 eine empirische Untersuchung zu den Positionen von Lehrkräften gegenüber individueller Förderung durch. Die Studie setzte sich aus zwei eng miteinander verbundenen empirischen Teilstudien zusammen. In 2009 wurde eine niedersachsenweite vorwiegend quantitative Online-Befragung durchgeführt, an der sich 700 GrundschullehrerInnen beteiligt haben. In 2010 und 2011 wurden daran anknüpfend ausführliche qualitative Interviews mit Grundschullehrkräften als ExpertInnen individueller Förderung in der Schulpraxis durchgeführt.
 
 

Ergebnisse der Studie "Individuelle Förderung in der Grundschule"

 

Definition der Forschungsstelle Begabungsförderung:

Unter individueller Förderung verstehen wir alle Handlungen von Lehrerinnen und Lehrern und von Schülerinnen und Schülern, die mit der Intention erfolgen, das Lernen unter Berücksichtigung ihrer/seiner spezifischen Lernvoraussetzungen, -bedürfnisse, -wege, -ziele und -möglichkeiten zu unterstützen. Unter individueller Förderung werden also alle Aktivitäten verstanden, die mit der Intention erfolgen, die Persönlichkeitsentwicklung und die Entfaltung der Fähigkeiten und Begabungen eines jeden Kindes zu unterstützen.

 

Ein idealtypischer Prozess individueller Förderung
 

 

Methodenrepertoire individueller Förderung an niedersächsischen Grundschulen
 

Die quantitative Befragung zeigt eine breite Streuung von Methoden. Eine kurze Erläuterung zu den jeweiligen Methoden Individueller Förderung finden Sie hier.

 
 

Individuelle Förderung in der Grundschule: Einschätzungen von Lehrkräften zu Gelingens- und Misslingensbedingungen

Nach Ansicht von 90% der Lehrkräfte findet individuelle Förderung an ihren Schulen statt. Das weitverbreitetste Ziel individueller Förderung ist nach Aussagen der befragten Lehrkräfte die Unterstützung schwacher Schüler und Schülerinnen. Etwas weniger, aber immer noch weit verbreitet ist die Förderung der Schüler und Schülerinnen entsprechend ihrer Lernausgangslage so wie die Unterstützung starker Schüler und Schülerinnen. Dagegen werden die Ziele, individuelle Förderung für eine Verbesserung der Lern- und Leistungsmotivation sowie als Beitrag zur Persönlichkeitsbildung zu nutzen, nur von etwa zwei Dritteln der Lehrkräfte als oberste Zielsetzung gesehen.


60% der Lehrkräfte äußerten in der Befragung individuelle Förderung stelle für sie unrealistische Ansprüche an Schule. Im qualitativen Teil unserer Studie wird deutlich, dass Lehrkräfte, die ihren Unterricht auf Prinzipien der individuellen Förderung aufbauen, zwar genauer und differenzierter planen müssen, aber im Ergebnis oftmals schneller sind, da sie gezielt nach passenden Materialien und Inhalten für die Kinder suchen können. Gelingt es ferner, dass die Kinder selbstorganisiert arbeiten, bleiben die für die individuelle Förderung notwendigen Ressourcen für Feedback und Vertiefungen mit einzelnen Kindern.

 

Als weiteres Ergebnis unserer Studie konnten wir feststellen, dass Grundschullehrkräfte sich stark darin unterscheiden wie viele Methoden zu ihrem Repertoire gehören und wie sie diese einsetzen. In der Tendenz geht es bei der Mehrheit zunächst darum, Wege zu finden, die Kinder in ihrer Lernentwicklung zu unterstützen. Nur bei einem Teil der Lehrkräfte scheint es gleichermaßen wichtig zu sein, Kinder vor anspruchsvolle Herausforderungen zu stellen und damit ihren jeweiligen Begabungen Rechnung zu tragen. Individuelle Förderung im Sinne einer Ausdifferenzierung von Heterogenität wird bisher nur von einem kleinen Teil der Lehrkräfte verfolgt. Besondere Begabungen von Schülern und Schülerinnen bzw. lernschnelle Schüler und Schülerinnen werden dabei oft allein zur Unterstützung langsamerer oder lernschwächerer Schüler und Schülerinnen herangezogen.

 

Darüber hinaus lässt sich sagen, dass sich sowohl hinsichtlich des Einsatzes diagnostischer Verfahren als auch hinsichtlich des Einsatzes von Instrumenten der individuellen Förderung zeigt, dass die Chancen und Möglichkeiten einer individuellen Begabungsförderung im Sinne einer differenzierten Diagnostik und einer Formulierung individueller Leistungsziele und Lernwege noch nicht ausgeschöpft sind. 



Die Lehrkräfte teilten uns in der Befragung mit, dass sie die kollegiale Zusammenarbeit für das Gelingen individueller Förderung als wichtig erachten. Die Umsetzung der kollegialen Zusammenarbeit im schulischen Alltag bedarf flankierender Rahmenbedingungen. Viele der bildungspolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre weisen bereits in diese Richtung, so etwa die Aufforderungen zur Schulprogrammentwicklung. Damit diese bildungspolitischen Vorgaben in der Praxis der Einzelschule wirken, bedarf es aber einer stärkeren Einbeziehung der Lehrkräfte als gleichberechtigte Akteure. Das Nadelöhr für die Überführung der Ergebnisse externer Evaluationen in eine Verbesserung der individuellen Förderung ist die Schulentwicklung. In der einzelnen Schule müssen die Ergebnisse diskutiert, darauf aufbauende Maßnahmenkataloge ausgearbeitet und eine Gremienkultur zur systematischen Förderung von Kindern etabliert werden. Eine solch umfassende Schulentwicklung scheint aber in vielen Schulen noch ausbaufähig zu sein.

 

Letztlich bleibt die Personalausstattung eine wichtige Stellschraube für Qualität und Quantität individueller Förderung. Dabei geht es nicht um ein profanes „Mehr an Personal“, sondern um eine differenzierte Sicht auf die Vorteile von Doppelbesetzungen und den Einsatz von anders qualifiziertem Personal, wie Sozial- und Heilpädagogen. Bei der Umsetzung von individueller Förderung können Grundschullehrkräfte von der Expertise von Förderschullehrkräften und Heilpädagogen und Heilpädagoginnen profitieren, weil diese geübt darin sind, den Blick konsequent auf das einzelne Kind und seine Bedürfnisse zu richten. Eine Zusammenarbeit, bei der der Blick auf das Kind und dessen Entwicklung gerichtet ist – was wiederum Reflexion und Übung braucht –, erleichtert die Zusammenarbeit und verbessert die gegenseitige Anerkennung der Fachkräfte. 
Gleichwohl gilt, dass auch bei individueller Förderung die besonderen individuellen Bedürfnisse einzelner Kinder mit dem Gruppenkontext zu vereinbaren sind. Ein Lehrer, eine Lehrerin muss daher immer wieder entscheiden, wie viel Aufmerksamkeit sie einzelnen Kindern entgegen bringen kann. Unser Material lässt erkennen, dass die Entscheidungen der einzelnen Lehrkräfte nicht nur äußerst unterschiedlich ausfallen, sondern dass hinter den Entscheidungen unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen, nämlich eine Orientierung an Bedarf, Verteilung oder an Leistung als Kriterium für verstärkte Aufmerksam stehen. Dies steht wiederum in Wechselwirkung mit einer jeweils anderen Unterrichtsorganisation.

 

Insgesamt wird in unserer Studie deutlich, dass viele Instrumente auf der Ebene der Einzelschule und des Einzelunterrichts initiiert sind, dass eine Verstetigung und Vertiefung aber weiterer Unterstützung und hier insbesondere eine Beteiligung der Lehrkräfte selbst bedarf.
 

 
Ansprechpartnerinnen für weitere Informationen zu den Studienergebnissen:
 
 


Die Studie ist in voller Länge im Carl Link-Verlag publiziert:



  • Solzbacher, C., Behrensen, B., Sauerhering, M., & Schwer, C. (2012). Jedem Kind gerecht werden?: Sichtweisen und Erfahrungen von Grundschullehrkräften. Praxiswissen Unterricht. Köln: Carl Link.


Hier geht es zur Rezension und hier geht es direkt zum Verlag.

 

Darüber hinaus ist aus dem empirischen Projekt eine zweite Veröffentlichung entstanden, in der auf die in der Studie genannten Wissensbedürfnisse von Lehrkräften eingegangen wird:

 

  • Solzbacher, C., Müller-Using, S., & Doll, I. (Eds.) (2012). Ressourcen stärken!: Individuelle Förderung als Herausforderung für die Grundschule. Praxiswissen Unterricht. Köln: Carl Link.

Hier geht es zur Rezension und hier geht es direkt zum Verlag.

Weitere Publikationen aus dem Projekt finden Sie auf unserer Publikationsliste.






Projektdetails

Projektart:Forschungsprojekt
Laufzeit:01.01.2008 - 31.12.2015
Träger:nifbe-Forschungsstelle Begabungsförderung
Straße:Heger-Tor-Wall 19
Ort:49078 Osnabrück