Handlungsschritte zum Offenen Arbeiten
Viele Bundesländer bzw. Träger sind dabei, das Konzept der Offenen Arbeit (OA) in ihren Kitas (weiter) zu entwickeln. Das gelingt aber nur, wenn eine konstruktive und kritische Auseinandersetzung im Team stattfindet und wenn alle Beteiligten einen reflexiven Prozess anstreben. Welche Vorüberlegungen bzw. Handlungsschritte notwendig sind, um erfolgreich dieses anspruchsvolle Konzept umzusetzen, wird im folgenden Interview mit Expertin Kerstin Volgmann skizziert.Ein Interview von klein&groß mit Kerstin Volgmann
- Frau Volgmann, Sie bieten Seminare zum Konzept der Offenen Arbeit an. Was ist für Sie das Kernziel dieser Fortbildung, das Sie mit den Teilnehmern erarbeiten?
Das Konzept der Offenen Arbeit (OA) boomt, wenn man den Veröffentlichungen glauben darf, m. E. nicht zuletzt, weil es den Herausforderungen der Bildungspläne entspricht. D. h. konkret, es entspricht der Forderung von individualisierten Bildungswegen, die u. a. durch innere Differenzierung im Alltag von Kitas gelebt werden kann.
Weiterhin müssen Rechte von Kindern gewahrt werden, die nicht erst durch das Bundeskinderschutzgesetz in Fokus von Kitaalltag gerückt sind, sondern bereits durch die UN Kinderrechtskonvention und das SGB VIII. Pädagogen in den Kitas sind Verantwortungsträger und verpflichtet, diese Rechte von Kindern in ihrem Alltag zu wahren und somit ausdrücklich auch Raum für Beteiligung und Beschwerde zu bieten. Das Konzept der OA ist ein Partizipationskonzept – Kinder und Erwachsene sind aktive Gestalter ihrer Umwelt.
Gleichzeitig hat uns in den letzten Jahren die Forschung viele neue Erkenntnisse gebracht, die m. E. einen eindeutigen Zusammenhang zwischen gelingendem Aufwachsen und OA hergestellt haben. Vor allem Remo Largo (vgl. Largo 2012) aus entwicklungspsychologischer Sicht, der mit seiner Idee, „jedes Kind ist ein Unikat“, für eine differenzierte Bildungsidee eintritt. Gerald Hüther aus der Hirnforschung versucht ebenfalls seit Jahren zu beschreiben – was Kinder für ein gesundes Aufwachsen bzw. zum Wohlfühlen brauchen, um sich gut entwickeln zu können. Hüther sagt u. a., dass Verbundenheit und Autonomie als Grundbedürfnisse von uns Menschen zum Gelingen guter Bildungsprozesse existenziell sind (vgl. Hüther 2013). D. h. Kinder müssen sich geborgen und dazugehörig fühlen, sie müssen spüren, dass sie, so wie sie sind, richtig sind.
Diese von mir etwas verkürzt dargestellten Punkte sind wesentlich:
- Wohlfühlen, Verbundenheit und Autonomie,
- Rechte von Kindern, individualisierte Bildungsprozesse,
- Vielfalt als Normalität – Inklusion und Offenheit sind der Kern der OA.
Voraussetzung ist der Respekt gegenüber jedem und die Wertschätzung von Vielfalt als Normalität.
Und mein erstes Anliegen in meinen Seminaren ist: diesen Kern mit den Teilnehmerinnen zu erkunden. D. h. eigenen Erfahrungen nachzuspüren, neue Erkenntnisse und Erfahrungen zu verknüpfen und damit einen wertebasierten Kern als Basis für die pädagogische Praxis zu entwickeln.
Diese gemeinsame Grundsatz- bzw. Kernarbeit, worauf dann immer wieder Bezug genommen werden muss, wenn es um die Handlungs- bzw. Gestaltungsebenen von Praxis geht, ist Voraussetzung.
- Wie kann sich ein Team mit der Offenen Arbeit auseinandersetzen?
Das Bild der OA wird durch die eigene Offenheit, die Erfahrungen und die daraus resultierende Haltung in Wechselwirkung mit fachlichen Erkenntnissen sowie der Reflexion im Team geprägt.
Es geht vordergründig nicht um die Struktur oder Raumgestaltung im Kitaalltag – diese ergibt sich dann aus der theoretischen Auseinandersetzung, den Kontextbedingungen und der Handlungsforschung. Das Sichtbare: Räume, Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Tagesstruktur usw., wird durch das Unsichtbare – die Haltung und Reflexion im Team – gekennzeichnet.
Die Qualität der OA zeigt sich in der Praxis u. a. an den Partizipationsmöglichkeiten, an der Offenheit, die Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten wahrzunehmen und darauf einzugehen, und an einem respektvollen wertschätzenden Miteinander.
Das „Einrichten“ geschieht im zweiten Schritt – der natürlich ebenso wichtig ist, denn hier geht es um die gelebte Praxis und die Umsetzung der Kernidee.
- Was ist wichtig bezüglich dieser Gestaltungsebenen in der Offenen Arbeit, die Sie in Ihren Seminaren benennen?
Es muss für den Alltag von Kitas geklärt werden, welche Gestaltungsebenen explizit konzeptionell erarbeitet werden müssen. Was sollten Kinder und Erwachsene konkret im Kitaalltag erleben? Welche fachliche Begründung verstärkt unsere konzeptionelle Arbeit?
Abhängig von den Bedingungen, den länderspezifischen Vorgaben, den besonderen Herausforderungen im Sozialraum, den Lebensbedingungen und -entwürfen der Familien und die Besonderheiten im Team muss eine eigene konzeptionelle Idee der OA erarbeiten werden. Mit einem starken reflexiven Bezug zum Kern der OA. Eine wirkliche Herausforderung!
Das gibt Orientierung und stärkt den Zusammenhalt im Team bzw. die Identifikation mit der eigenen Arbeit.
Gestaltungsebenen mit den dazugehörigen Fragen
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... und parallel muss alles in einen entsprechenden Organisationsrahmen eingefügt werden – der auch abhängig von den vorgegebenen landesspezifischen Voraussetzungen ist. Wie wir wissen, gibt es da große Unterschiede und trotzdem erlebe ich unter diesen so unterschiedlich geprägten Voraussetzungen in allen von mir begleiteten Kitas „ALLES“ – Gelingendes, aber auch sich schwierig gestaltende Prozesse – unabhängig vom Personalschlüssel.
- Haben Sie einen Tipp für die Kita-Praxis, wie Offenes Arbeiten gelingen kann?
Man könnte ganz vereinfacht sagen: erst gemeinsam Denken, dann gemeinsam Handeln. Ja, ich bin der Meinung, dass es im Team und auch mit dem Träger eine gemeinsame Verständigung zum Kern der OA geben muss. Respektvolle und konstruktive Auseinandersetzungen sowie eine gemeinsam wertebasierte Orientierung schützen vor Überforderung und sind Voraussetzungen, um wirklich gemeinsam OFFEN zu sein. Offenheit kann nicht verordnet werden, sie kann u. a. durch Erfahrungen, aus (selbst)gewonnenen Erkenntnissen und erlebter Zugehörigkeit wachsen. Die Offenheit jedes Einzelnen zeigt sich dann im Gelingen der OA in der Praxis.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch! (Gesprächsführung: Sibylle Münnich, Redakteurin klein&groß)
(Übernahme mit freundlicher Genehmigung aus klein&groß 10-2016, S. 18-20)
Literatur
- Hüther, Gerald: Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher. Fischer Verlage, 2013
- Largo, Remo H.: Lernen geht anders: Bildung und Erziehung vom Kind her denken. Piper Verlag, 2012
- Kerstin Volgmann, Dipl. Sozialpädagogin/Supervisorin und Coach (DGsV), Erzieherin/Kita-Leiterin / Fachberaterin. Sie bietet Fort- und Weiterbildung, Konzept- und Prozessbegleitung in Kita und Schule u. a. zur „Offenen Arbeit“ an.
Tipps zum Weiterlesen:
Interview zur Arbeit mit dem Offenen Konzept in der Praxis (Download)
Über Offenes Arbeiten und Arbeiten in Regelgruppen
Offene Arbeit - ein inklusives und partizipatives Konzept
Offener Kindergarten als kindzentrierter Pädagogischer Ansatz
- Zuletzt bearbeitet am: Montag, 28. November 2016 13:58 by Karsten Herrmann