„Punkt, Punkt, Komma, Strich.“ – Kinderzeichnungen im Kulturvergleich

Projektbeschreibung:


Drittmittel-finanziertes (nifbe) Forschungsprojekt an der Universität Osnabrück, Abteilung Entwicklung und Kultur

 

Projektleitung:

  • Prof. Dr. Heidi Keller
  • Apl. Prof. Dr. Hartmut Rübeling, Universität Osnabrück;
  • Prof. Dr. Elfriede Billmann-Mahecha, Leibniz Universität Hannover


Projektmitarbeiter:

 

 

Hintergrund

Die 2jährige Hannah sitzt konzentriert am Tisch, hält ihren Bleistift in der Hand und bewundert ihr Werk: „Das ist Mama – und das der Papa!“ Drei spiralförmige Kreise hat sie auf das Papier gezeichnet, dicht nebeneinander liegend berühren sich die Figuren. Der Kreis rechts ist Hannah selbst. Nun möchte sie gerne Hände nachzeichnen.

  Weltweit haben die meisten Kinder im Vorschulalter Freude am Malen und Zeichnen. Was aber „sagen“ uns Kinder mit ihren Zeichnungen? Spiegelt sich darin auch ihre kulturelle Herkunft wider?

Die Studie wird im Verbund von WissenschaftlerInnen der Universität Osnabrück und der Leibniz Universität Hannover durchgeführt und orientiert sich an einer kultursensitiven Entwicklungspsychologie, verfügt somit über einen gemeinsamen theoretischen Rahmen. „Wir gehen davon aus, dass Entwicklung ein aktiver konstruktiver Prozess ist, der in einem kulturellen Kontext stattfindet und in dem Erwerb adaptiver kultureller Konzepte und kultureller Techniken besteht. Von Anfang an konstruieren Kinder auf diese Art und Weise ein Konzept von sich selbst.“

Eine der ersten selbständigen Ausdrucksformen des Kindes sind Zeichnungen, von sich selbst und ihrer Umwelt. Kinder freuen sich daran, bildnerische Zeichen zu setzen und damit Spuren zu hinterlassen. Das ist zunächst nicht an Papier und Bleistift/Farben gebunden, sondern kann in unterschiedlichen Medien und mit unterschiedlichen Materialien ausgedrückt werden. Dieses universelle menschliche Bedürfnis kann als eine kulturelle Universalie verstanden werden, die vermutlich in der Menschheitsgeschichte begründet ist.


Das ungerichtete Markieren wird durch das Kritzelstadium als erste Phase der bildnerischen Gestaltung des Menschen abgelöst. Etwa im Alter zwischen 1 1/2 und drei Jahren sind bei Kindern verschiedene Ausdrucksformen des Kritzelns zu beobachten, die neben der Lust des kleinen Kindes, Markierungen zu setzen, auch schon graphische Differenzierungen beinhalten. Mit etwa 2 Jahren verfügen Kinder über ein graphisches Repertoire von etwa 20 Zeichen. Auch diese sind in den unterschiedlichsten Kulturen sehr ähnlich. Sie sind Ausdruck des motorischen Antriebes zum Handeln und damit des Selbstgefühls des kleinen Kindes. Sie repräsentieren ein visuelles Ergebnis dieses frühen Selbstgefühls. Gleichzeitig demonstrieren sie eindringlich, dass das Handeln sichtbare Konsequenzen hat, ein erstes Szenario, Wirksamkeit und Selbstwirksamkeit zu demonstrieren. Daher werden diese Setzungen früher Spuren auch zumeist nicht mit der bildnerischen Absicht in Verbindung gebracht, sondern mit der Demonstration von Individualität und Autonomie.


Nach diesen ersten Formen des Hinterlassens von Spuren versehen Kinder ihre Produktionen sehr schnell mit sinnhaften Deutungen. Auf Aufforderung „malen“ Kinder sich selbst und alles andere, oder um was man sie sonst bittet. Sie können Detaildeutungen ihrer Produkte geben, wenn diese für den Betrachter auch nicht nachvollziehbar sind. Dass diese Deutungen nicht beliebig sind, kann man daran erkennen, dass schon 2- bis 3jährige die Deutungen über eine Zeitspanne erinnern können. Allerdings können sie die Bedeutungen auch schnell ändern.


Anschließend wird das Kritzeln schematischer, und einzelne Formen werden miteinander verbunden. Dabei geht es nicht um die Reproduktion der Wahrnehmung oder gar der Realität, sondern um die Materialisierung der kindlichen Vorstellungen und Phantasien. Danach werden Schemata hergestellt, die aus der Zusammensetzung verschiedener geschlossener Formen bestehen, wie z. B. Kreis, Viereck, Dreieck, Oval.

 

Unter diesen Schemabildungen spielt die Kategorie „menschliche Figur“ eine besondere Rolle. Zwischen 3 und 5 Jahren vollziehen die meisten Kinder den Übergang von nicht figurativen Kritzelzeichnen zum gegenstandsanalogen, figurativen repräsentationalen Zeichnen. In diesem Entwicklungskontext beschäftigen sich die beiden Teilprojekte mit bildnerischem Erlebnisausdruck von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Dabei sollen Familiendarstellungen (Osnabrück) und freie Zeichnungen (Hannover) erhoben werden. Die kulturelle Folie wird in beiden Projekten durch den Vergleich türkisch stämmiger und deutscher Kinder analysiert.

 

Die Kooperation soll in verschiedenen Formen stattfinden, wodurch sich zum einen Synergieeffekte bei der Planung und Durchführung der Projekte ergeben und zum anderen Ergebnisse gewonnen werden können, die über die in den beiden Einzelprojekten erwarteten Ergebnisse hinausreichen und einen Zugewinn bedeuten.

 

 

Zentrale Fragestellungen:

  • Wie vollzieht sich die zeichnerische Entwicklung von Kindern aus verschiedenen soziökonomischen und soziokulturellen Kontexten? (interpretative Längsschnittstudie, Teilprojekt 1, Leibniz Universität Hannover)
  • Wie manifestieren sich globale, kulturell vermittelte Konzeptionen des Selbst in den Familienzeichnungen Drei- bis Sechsjähriger? (Querschnittstudie, Teilprojekt 2, Universität Osnabrück)

 

Implikationen für die Praxis:

Die Ergebnisse sollen Vorschläge zur Qualifizierung von ErzieherInnen und PraktikerInnen im Bereich der frühkindlichen Bildung ermöglichen.

 

Bisherige Veröffentlichungen:

  • Rübeling, H., Keller, H., Yovsi, R.D., Lenk, M., Schwarzer, S. & Kühne, N. (in press). Children´s drawings of the self as an expression of cultural identity. Journal of Cross-Cultural Psychology.
  • Rübeling, H., Lenk, M. & Keller, H. (2008). Children´s self and family drawings in cameroonian nso and german preschoolers. Vortrag, International workshop: Cultural aspects of human figure drawings. Lower Saxonian Institute for early childhood education and development, Osnabrück, november 17-18.
  • Lenk, M., Rübeling, H. & Keller, H. (2008). Family relationships as expressed in children´s drawings: A cross-cultural analysis. Invited Symposium, James Georgas, Athens, Greece. XXIX International Congress of Psychology, Berlin.

 

 


 

Projektdetails

Projektart:Forschungsprojekt
Laufzeit:01.06.2009 - 31.05.2011
Hochschule:Universität Osnabrück
Straße:Artileriestrasse 34
Ort:49069 Osnabrück

Ansprechpartner

Name: Prof. Dr. Heidi Keller
Email: hkeller@uos.de
Telefon: 0541-969 3557