Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit den Positionen von Grundschullehrkräften zum Thema „individuelle Förderung“ und den damit verbundenen Herausforderungen. Es basiert auf quantitativen und qualitativen Daten aus einer Studie der Forschungsstelle Begabungsförderung im Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe), die hier übersichtlich präsentiert und praxisgerecht aufgearbeitet werden. Das Ergebnis ist eine gut strukturierte Darstellung des gegenwärtigen Umgangs mit Heterogenität, den sich daraus ergebenden Anforderungen in niedersächsischen Grundschulen und den hieraus zu folgernden Entwicklungs- und Professionalisierungs-Möglichkeiten.

 

Einleitung
 

Zunächst wird ein Überblick über die aktuelle Debatte um individuelle Förderung in der (Grund-)Schule geboten, der sowohl die Anforderungen an einen professionellen Umgang mit unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen, Interessen und Ansprüchen, als auch das darin innewohnende Spannungsfeld von Individualisierung und Standardisierung beleuchtet. Diese thematische Einführung ermöglicht, gemeinsam mit einem kurzen einleitenden Kapitel über das methodische Vorgehen der Autorinnen, eine sehr gute Verständlichkeit der im zweiten Teil des Buches dargestellten empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.en Befunde.

 

Empirische Befunde
 

Eine umfangreiche quantitative Onlinebefragung von niedersächsischen Grundschullehrkräften und ein daran angeschlossenes mehrstufiges Interviewverfahren ausgewählter Lehrkräfte aus der Stichprobe, stellen die Grundlage der Untersuchung dar.


Die Präsentation der Befunde ist in vier Themenfelder gegliedert, in denen die Ergebnisse - auf die jeweiligen Aspekte bezogen - vorgestellt und interpretiert werden. Die Darstellung ist sehr übersichtlich angelegt und endet jeweils mit einer kurzen Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse.

 

• Zum Prozess individueller Förderung aus Sicht von LehrerInnen
 

Hier gehen die Autorinnen der Frage nach, wie verbreitet individuelle Fördermaßnahmen in Niedersachsen sind und mit welchem Fokus sie stattfinden. Außerdem können durch die Verbindung quantitativer und qualitativer Daten Aussagen zu Verlaufsformen, Dokumentation, Ergebnissicherung und Annahmen über individuelle Förderung getroffen werden.

 

• Zur Bedeutung organisatorischer Strukturen für individuelle Förderung
 

Ein weiterer Untersuchungsgegenstand ist die Rolle der Organisation von Schule und Unterricht für erfolgreiches Lernen im Allgemeinen und individuelle Förderung im Besonderen. Hier werden Anforderungen und auch notwendige Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen des Schulsystems deutlich.

 

• Orientierungen und Dilemmata im beruflichen Handeln von Lehrkräften
 

Aufgrund der Erkenntnisse über handlungsleitende Orientierungen der befragten LehrerInnen kann im Rahmen der Studie auch die Qualität in der Umsetzung individueller Förderung betrachtet werden.

 

• Individuelle Förderung braucht Partner: Kooperationen, Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften
 

In Niedersachsen steigt die Zahl der Bildungsnetzwerke an. Arten und Ziele solcher Kooperationen sowie deren Effekte stehen hier im Fokus der Betrachtung.

 

Mit individueller Förderung jedem Kind gerecht werden?
 

Im Fazit werden abschließend noch einmal die vielfältigen Gelingensfaktoren verdeutlicht, die neben der Fachkompetenz der Lehrkräfte eine bedeutende Rolle spielen und die Umsetzbarkeit individueller Fördermaßnahmen beeinflussen.


Ziel der Autorinnen ist es unter anderem, einen Orientierungsrahmen für die Bildungspolitik und die Entwicklung der Einzelschulen zu bieten. In jedem Fall zeigt der vorliegende Band den Entwicklungs- und Unterstützungsbedarf im Umgang mit Heterogenität auf und gibt wertvolle Impulse für Maßnahmen, die eine nachhaltige und umfassende Implementierung individueller Förderung an der Einzelschule positiv beeinflussen können.


Diese Befunde und Anregungen sind nicht nur für die Grundschule, sondern durchaus auch für die weiterführende Schule interessant. Das Dilemma, sich der individuellen Förderung jedes Kindes auf der einen und den vorgegebenen Standards auf der anderen Seite verpflichtet zu fühlen, endet schließlich nicht nach der vierten Klasse.


Ergänzend ist der Band von Claudia Solzbacher, Susanne Müller-Using und Inga Doll „Ressourcen stärken! Individuelle Förderung als Herausforderung für die Grundschule“ (ebenfalls 2012 im Carl Link Verlag erschienen) zu empfehlen. Dort werden ausgehend von den vorliegenden Ergebnissen, handlungspraktische Fragen zum Umgang mit Heterogenität und den sich daraus ergebenen Anforderungen bearbeitet.


Dipl.-Päd. Britt Nina Edelbruck
(Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Erziehungswissenschaft
)
 

 

  • Claudia Solzbacher, Birgit Behrensen, Meike Sauerhering, Christina Schwer: Jedem Kind gerecht werden? Sichtweisen und Erfahrungen von Grundschullehrkräften. Köln: Carl Link Verlag 2012, 241 Seiten, EUR 29,00, ISBN 978-3-556-06154-1.