Wie lernen Kinder heute und wie können Sie dabei optimal begleitet werden? Dieser Frage widmet sich der Braunschweiger Neurobiologe Martin Korte und greift dabei insbesondere auf neue Erkenntnisse der Hirnforschung, aber auch der (Motivations-) Psychologie und Pädagogik zurück. Ziel des Buches ist es, insbesondere Eltern, aber auch Pädagogischen Fachkräften Rüstzeug für die emotionale, soziale und geistige Bildung der Kinder zu bieten.

 Ohne Zweifel: Kinder sind geborene Lerner und der Schmierstoff des Lernens ist ihre Lust auf Neues, ihre unstillbare Neugierde: „Das kindliche Gehirn lernt immer – nur nicht immer das, von dem andere möchten, dass Kinder es lernen.“ Daher, so Martin Korte, komme es darauf an spielerisch der Neugierde des Kindes zu folgen und dabei die richtige Balance zwischen Anregung, Herausforderung und Erfolgserlebnis zu finden.

 

Die Säulen des Lernens

 

Neben der Neugierde bringen aber natürlich noch weitere wichtige Faktoren den Motor des Lernens auf Touren: Neben der Motivation zu lernen und der Fähigkeit, sich zu konzentrieren, sind dies beispielsweise ein gutes Gedächtnis, Stress-Resistenz und die Intelligenz des Kindes. Intelligenz umreißt Korte dabei als „eine vielschichtige Fähigkeit“, die es uns ebenso erlaubt, Informationen schnell zu verarbeiten, neue Gesetzmäßigkeiten in bestehenden Abläufen zu erkennen wie auch kreativ zu sein und zu Problemlösungen zu kommen. Er vertritt hier einen Intelligenz-Begriff, der weit über das hinausgeht, was durch einen IQ-Test quantifizierbar ist und lehnt sich an den multiplen Intelligenzbegriff von Howard Gardner an. Intelligenz, so Korte, wird auch nur zur Hälfte von den Eltern über die Gene vererbt. Die andere Hälfte bilde sich durch (früh-) kindliche Erfahrungen und Lernstrategien sowie durch die richtige Förderung zum richtigen Zeitpunkt.

 

Kinder dort abholen, wo sie stehen

 

Aus neurobiologischer Perspektive zeigt Martin Korte, dass sich neues Wissen am einfachsten integrieren lasse, wenn es im Hirn mit bestehenden Bestandteilen eines Netzes von Nervenzellen in Kontakt tritt. Übersetzt heißt dies für ihn: „Wer Kindern etwas erklären will, muss sie dort abholen, wo ihre Welt endet. Das neu zu Lernende muss bei ihren Erfahrungen, Erlebnissen, Beobachtungen und Wahrnehmungen ansetzen.“ Lernprozesse, in denen Unerwartetes und Überraschendes auftreten, würden dabei besonders gut abgespeichert und erinnert. Grundsätzlich sei ein Lernen aus intrinsischer Motivation, bei dem der Botenstoff Dopamin körpereigene Opiate ausschüttet, der Königsweg - und wesentlich nachhaltiger als ein Lernen unter Zwang mit Aussicht auf Bestrafung oder auch Belohnung.
Eine ganz zentrale Rolle, die er mit den Spiegelneuronen in Verbindung bringt, spricht Martin Korte in der frühkindlichen Bildung auch der Vorbildfunktion von Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen zu,: „Kinder lernen mehr aus dem, was man ihnen vorlebt und was sie selbst erleben, als aus Sachverhalten, die man ihnen explizit erklärt.“

 

Ohne Bindung keine Bildung

 

Breiten Raum gibt Martin Korte in seinem Buch einer Seite des Lernens, die man als die oftmals verborgene und zu wenig berücksichtigte bezeichnen könnte. Der Nährboden einer erfolgreichen Lern- und Bildungsbiographie ist demnach eine sichere Bindung und Beziehung sowie – gerade in Drucksituationen – eine liebevolle Zuwendung: „Fürsorglichkeit, gepaart mit Körperkontakt, vor allem im Säuglingsalter, gibt den Kindern einen Startvorteil, den ihnen niemand mehr nehmen kann.“ Kinder, denen dieser Nährboden fehlt, die misshandelt werden oder sozial depriviert sind, zeigen in der Konsequenz ein bis zu 30 Prozent kleineres Gehirn und wachsen „in einer Welt aus Angst und Schmerz auf. Die so wichtige Bindung zu einer Bezugsperson wird ihnen vorenthalten und die dabei entstehenden Narben in ihrer Psyche entfalten ihre Wirkung ein Leben lang.“
 

Martin Korte öffnet mit seinem Buch spannende und auch überraschende Einblicke in die Funktionsweisen des kindlichen Hirns mit seinen Nervenzellen-Netzwerken, Synapsen und Botenstoffen. Auf dieser Grundlage bietet er Eltern und Pädagogischen Fachkräften eine differenzierte Darstellung des von vielen physischen und psychischen Faktoren abhängigen Lernfeldes. Ihm gelingt es, die wissenschaftlich fundierte Darstellung mit einem hohen Praxisbezug und für jeden nachvollziehbaren Empfehlungen wie beispielsweis auch zu Ernährung, Bewegung oder Schlaf zu verbinden. Zentrale Botschaft seines Buches ist dabei, dass Lernen nie unabhängig von Gefühl und Beziehung stattfindet und dass die entscheidenden Grundlagen für eine erfolgreiche Lern- und Bildungsbiographie schon sehr früh gelegt werden.

 

Karsten Herrmann

 

  • Martin Korte: Wie Kinder heute lernen. Was die Wissenschaft über das kindliche Gehirn weiß. Das Handbuch für den Schulerfolg. DVA, 368 S., € 19,95