Ab dem Jahr 2013 soll in Deutschland jedes Kind bis zu drei Jahren eine Garantie auf einen Platz in KiTa, Krippe oder Tagespflege bekommen. Der quantitative Ausbau ist entsprechend in vollem Gange und die Kleinen und Kleinsten strömen auch schon in die Tagesbetreuung – doch stehen in der Praxis wie in der Aus- und Fortbildung derzeit überhaupt schon qualitativ tragfähige Erkenntnisse und Konzepte für deren bestmögliche Förderung und Begleitung zur Verfügung?

Dieser Frage geht vorliegendes Buch nun nach und beleuchtet dabei wissenschaftliche, bildungspolitische und praktische Perspektiven. So werden zentrale Forschungsergebnisse und Studien zur Betreuungsqualität und deren Effekte, die Herausforderungen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Umsetzung der wissenschaftlichen Grundlagen in die Praxis exemplarisch vorgestellt.

 

Die zugrunde liegende Frage des Buches, so die Mit-Herausgeberin Fabienne Becker-Stoll in ihrer Einführung, lautet dabei, wie Kinder in den ersten drei Jahren lernen. Sie zeigt auf, dass Bildungsqualität in dieser Zeit in erster Linie eine Frage der Bindungsqualität ist. Denn erst wenn das Bindungsverhaltenssystem beruhigt ist, kann das Explorationsverhalten als verhaltensbiologische Grundlage von Lernen überhaupt erst greifen. Dies bedeutet, dass das Kleinkind in der Krippe oder KiTa zunächst einmal „eine sichere emotionale Basis, eine feste Bezugsperson [braucht]. Voraussetzung dafür ist eine behutsame Eingewöhnung.“ Zentrale Schlüsselkompetenzen der ErzieherInnen seien daher Empathie und Feinfühligkeit und dies beinhalte, „die Signale des Kindes wahrzunehmen, richtig zu interpretieren sowie prompt und angemessen darauf zu reagieren.“ Doch neben den Kompetenzen der ErzieherInnen und der pädagogischen Prozesse sind für die Bildungsqualität auch die strukturellen Rahmenbedingungen - vom ErzieherInnen-Kind-Schlüssel bis zur Verfügungszeit -mitentscheidend. Becker-Stoll pointiert entsprechend: „Bildung braucht Zeit.“

Keine Bildung ohne Bindung
Aus neurowissenschaftlicher und entwicklungspsychologischer Sicht vertieft Liselotte Ahnert die Grundlagen von Lernen und Bildung in den ersten Jahren und kritisiert dabei auch den aktuellen, häufig auf kognitive Aspekte verengten „Wahn um die Frühförderung“. Doch „Kinder lernen vor allem von Menschen, in sozialen Interaktionen und durch emotional Beziehungen zu ihnen. Deshalb hängt der Ertrag früher Bildungsprozesse von Beziehungs- und Bildungsprozessen ab.“ Kinder sollten nicht überfordert, aber so gefordert werden, dass sie jeweils in die „Zone ihrer nächsten Entwicklung“ kommen könnten und dabei das Gefühl bekommen „eine aktiv handelnde und selbstwirksame Person zu sein“.

Das Buch präsentiert so ein Bild vom Kind, das schon in den ersten Jahren aktiver Gestalter seines Bildungsprozesses ist und seine Persönlichkeit entwickelt. Erkenntnis ist dabei, so Susanne Viernickel, eng an aktives Handeln, an Wahrnehmung und Motorik gebunden. „Das Kind muss selbst aktiv sein können, durch sein Handeln, den Einsatz aller Sinne und körperlicher Empfindungen in Interaktion mit der Umwelt treten.“ Sie zeigt die Schlussfolgerungen für die pädagogische Haltung, Raumgestaltung, Spielmaterialien oder gestalterischen Aktivitäten auf.

Da Kinder sich von Geburt an bilden, müssen, wie Viernickel unterstreicht, Krippe und Tagespflege als „Bildungsorte“ ernst genommen und entsprechende, auf die Besonderheiten früher Bildungsprozesse zugeschnittene Konzepte entwickelt und umgesetzt werden.

Doch dies geschieht, wie, wie Klaus Fröhlich Gildhoff und Susanne Viernickel mit einer kritischen Bestandsaufnahme aufzeigen, in den Curricula von Fachschulen und Hochschulen bisher nur unzureichend. Es erscheint den AutorInnen daher notwendig, „bei der (Weiter-) Entwicklung von Curricula und der Beschreibung von Kompetenzen […] die Zielgruppe der Kinder von null bis drei Jahren und ihre Familien systematisch einzubeziehen.“ Eine noch weiter zu konkretisierende Grundlage biete dafür der „Qualifikationsrahmen für frühpädagogische Fachkräfte“, der in dem von der Bosch-Stiftung geförderten Projekt „Profis in Kitas“ entwickelt worden ist.


Fundierter Überblick

Das Buch „Bildungsqualität für Kinder in den ersten drei Jahren“ gibt einen fundierten Überblick über die wissenschaftlichen Grundlagen sowie pädagogischen Herausforderungen der Bildung und Betreuung der Kleinen und Kleinsten in KiTa, Krippe und Tagespflege. Aber auch die bildungspolitischen Erfordernisse werden nicht außer Acht gelassen und es wird auf eine deutliche Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen gedrungen sowie eine „Qualitätsoffensive“ für diesen Bereich eingefordert. Hierzu gehöre, wie Bernhard Kalicki und Julia Berkic in ihrem Ausblick heraus stellen, eine kontinuierliche Bildungsberichterstattung, die sich nicht auf statistische Erfassung beschränkt, sondern tatsächlich „den Bildungserfolg des Kindes und damit die Effektivität von Bildungsinstitutionen“ abbilden müsste. Desweiteren sei eine einheitliche Regelung des Ausbildungsniveaus sowie eine verbindliche Definition der notwendigen Kompetenzen von frühpädagogischen Fachkräften unabdingbar. Last but not least fordern sie, die Erforschung kindlicher Lernprozesse in den ersten drei Lebensjahren und „die Gestaltung entwicklungsanregender Bildungsangebote und Sozialisationsbedingungen“ zu intensivieren.

So zeigt sich mit diesem Buch auch, dass es noch ein langer Weg dahin ist Krippe und Tagespflege tatsächlich zu „Bildungsorten“ zu machen und die Kleinen und Kleinsten hier auf bestmögliche Weise begleiten, anregen und fördern zu können – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verpflichtung!


Karsten Herrmann


  • Fabienne Becker-Stoll, Julia Berkic, Bernhard Kalicki (Hrsg.): Bildungsqualität für Kinder in den ersten drei Jahren. Cornelsen Scriptor, 272 S., 21,95 Euro.