coverWie steht es mit der Qualitätsentwicklung, mit Chancengerechtigkeit und dem Umgang mit Vielfalt in den deutschen KiTas nach dem forcierten Platzausbau? Dieser Frage geht das Heft 3/2016 des vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. herausgegebenen „Archivs für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit“ mit einer Reihe von aufeinander abgestimmten Fachbeiträgen nach.


Zum Auftakt beleuchtet Detlef Diskowski „Stand, Erfolge und Defizite in der Qualitätsentwicklung“ und warnt davor, den Qualitätsbegriff zu einem „Joker“ verkommen zu lassen, der beliebig eingesetzt wird. Je nach Interesse und Perspektive werde Qualität mit etwas anderem verbunden und „daher braucht es notwendig die Klärung von Erwartungen und die Verständigung darüber“ (S. 5), was gemeint sei. Diskowski folgt in seinem Beitrag dem Qualitätsmodell von Tietze u.a., das sich aus Struktur-, Orientierungs- und Prozessqualität zusammensetzt. Zur Strukturqualität gehört dabei insbesondere auch der Personalschlüssel und hier kann Diskowski konstatieren, dass „entgegen der allgemeinen Befürchtung der massive Platzausbau zu keiner Verschlechterung der Personalstandards geführt hat“ (S. 6). Grundsätzlich problematisch seien allerdings die großen Unterschiede bei der Strukturqualität in den Bundesländern. Statt auf ein Bundesqualitätsgesetz, dass alles über einen Kamm schere, setzt Diskowski hier allerdings eher auf Zielvereinbarungen der einzelnen Länder mit dem Bund im Hinblick auf zentrale Qualitätsentwicklungsbereiche.

Im Hinblick auf die Chancengerechtigkeit unterstreicht Diskoswki, dass eine „kompensatorische Wirkung [...] nur eine gut, besser noch sehr gute Kindertagesbetreuung entfalten kann“ (S. 7). Daher fordert er auch „eine deutlich positive Diskriminierung von Einrichtungen in schwierigen sozialen Gebieten durch mehr Sachmittelzuweisungen und bessere Personalschlüssel“ (S. 8).

Als Hindernisse auf dem Weg zur Qualität führt Diskowski unter anderem die „Zersplitterung der Verantwortung und Gewirr von Akteuren“ (S. 10), das „Kooperationsverbot“ zwischen Bund und Ländern oder das „Konnexitätsprinzip“ zwischen Ländern und Trägern an. Hinzu komme, dass „Kosten und Nutzen in der Kindertagesbetreuung eklatant auseinanderfallen“ (S. 11) – denn während die Mittel fast ausschließlich von Ländern und Kommunen aufgebracht werden müssten, stelle sich die Rendite hauptsächlich beim Bund und den Sozialversicherungssystemen ein.

Extrem unterschiedliche Strukturvoraussetzungen in den Bundesländern

Einen kritischen Blick wirft Martin R. Textor auf die Umsetzung des Rechtes auf frühkindliche Bildung und damit auf die Chancengerechtigkeit. Grundsätzlich stünden hinter dem Rechtsanspruch auf einen KiTa-Platz ganz unterschiedliche Interessen und so spiele neben dem Recht auf Bildung auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gleichstellung oder der Fachkräftemangel eine zentrale Rolle. Anhand aktueller Zahlen des Bundesfamilienministerium zeigt Textor auf, wie unterschiedlich das System KiTa in den Ländern aufgestellt ist – von den Betreuungs- und Ganztagsquoten bei Kindern unter drei über die Qualifikation bis hin zum Personalschlüssel: „Überspitzt ausgedrückt, hat eine Fachkraft in Bundesländern mit schlechtem Personalschlüssel nur halb so viel Zeit für ein Kleinkind, weil sie für doppelt so viele Kinder zuständig ist wie eine Fachkraft in Bundesländern mit gutem Personalschlüssel“ (S. 27).

Extreme Unterschiede, so die Zahlen, gibt es auch bei Kindern mit Migrationshintergrund, der bei Kindern unter drei Jahren zwischen 4,2 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 31,6 in Hamburg und bei Kindern von drei bis sechs Jahren zwischen 5,8 in Mecklenburg-Vorpommern und bei 47 Prozent in Bremen liegt – mit gravierenden Folgen zum Beispiel für die alltagsintegrierte Sprachförderung. Last but not least differieren auch die Ausgaben der öffentlichen Hand für die Kindertagesbetreuung zwischen unter 5.000 Euro in vier Bundesländern und bis zu 9.390 Euro beim Spitzenreiter Berlin. In diesem Sinne konstatiert Textor: „Die Vergleiche verdeutlichen, dass das System der Kindertagesbetreuung in Deutschland durch viele Ungerechtigkeiten bzw. die Ungleichbehandlung von Kleinkindern gekennzeichnet ist. Dies dürfte große Auswirkungen auf deren Entwicklung und Bildungschancen haben.“ (S. 35)

Kann KiTa soziale Benachteiligungen ausgleichen?

Inwieweit kann die institutionelle Kindertagesbetreuung nun wirklich soziale Benachteiligungen ausgleichen? Dieser Frage geht Birgit Riedel nach und nimmt dafür die überschaubare Datenlage mit den großen Interventionsstudien wie „Headstart“ (ab 1965) oder das „Perry Preschool Project (1962 – 1967) sowie Längsschnittstudien wie NICHD, EPPE oder das Nationale Bildungspanel in den Blick. Bei aller Problematik der Vergleichbarkeit erscheint es dabei „völlig [...] unstrittig, dass sich der Besuch frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote positiv auf die Entwicklung von Kindern auswirkt und sie in vielfältiger Weise in ihrer Entwicklung stimuliert und fördert“ (S. 48). Wie nachhaltig die Wirkungen sind, scheint dabei besonders von der Qualität des jeweiligen Angebots abzuhängen. Nicht bestätigen lässt sich auf Basis der vorliegenden Datenlage allerdings die „kompensatorische These, dass ein Kita-Besuch darüber hinaus zu einem Ausgleich herkunftsbedingter Ungleichheit beiträgt und die Kluft zwischen privilegierten und benachteiligten Kindern verringert“. Die deutsche „BiKs“-Studie komme im Gegenteil sogar zum Ergebnis, dass von einer hohen Qualität besonders Kinder aus privilegierten Verhältnissen profitieren. Mögliche Gründe dafür seien, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien häufiger erst später und dann in sozial segregierte KiTas gehen. Riedel stellt auch die beachtenswerte Frage, „ob die hierzulande verbreitete Pädagogik der KiTas, die einen hohen Wert auf Autonomieförderung legt und den selbst initiierten Bildungsprozessen von Kindern breiten Raum lässt, zu einseitig an den Werten und Orientierungen der Mittelschicht anknüpft und damit nicht allen Kindern gerecht wird“ (S. 50).

Aktuelle Herausforderung: Kinder und Familien mit Fluchterfahrung

Auf die aktuelle Herausforderung der KiTas im Umgang mit Kindern und Familien mit Fluchterfahrung gehen Monika Wertfein und Sigrid Lorenz ein. Sie sehen die KiTa mit ihrem sozialräumlichen Ansatz dabei als einen Schlüssel zum Vertrautwerden mit dem neuen Lebensumfeld und damit auch als Schlüssel zur Integration von Anfang an. Kernkompetenzen der Pädagogischen Fachkräfte seien für diese Herausforderung die biographische Selbstreflexionsfähigkeit, die Ressourcenorientierung, eine (kultur-) sensitive Responsivität und die grundsätzliche Wertschätzung von DiversitätDiversität|||||siehe Diversity. Für die Arbeit mit Kindern und Familien mit Fluchterfahrung sei es aber auch wichtig, möglichst schon im Vorfeld Informationen über individuelle Aspekte wie Sprachkenntnisse und Bildungserfahrungen, über fluchtspezifische Aspekte sowie die kulturellen Hintergründe einzuholen. Für letztere stellen die AutorInnen auch kurz die prototypischen Erziehungsmodelle nach Heidi Keller und das Konzept der „Low-„ und der „High Context Kommunikation“ vor. Eltern sollten als Experten ihrer Herkunftskultur und Familiensprache angesprochen werden und eine „Kultur des Miteinander-Wachsens“ (S. 60) etabliert werden.

Stärkung der Fachberatung in Schleswig Holstein

Im Anschluss an diese grundsätzlichen Beiträge werden in dem Heft auch noch kommunale oder landesweite Beispiele guter Praxis für die Qualitätsentwicklung im KiTa-Bereich vorgestellt. So zeigt Jörg Asmussen beispielsweise, wie in Schleswig-Holstein die pädagogische Fachberatung durch regelmäßige Netzwerktreffen und Fachtage, eine berufsbegleitende Zusatzqualifikation und landesweite Standards gefördert wird. Sehr klar positioniert sich das Land dabei im Hinblick auf die Entkoppelung von Beratung auf der einen und Dienst- und Fachaufsicht auf der anderen Seite.

Fazit

Das Archiv-Heft gibt einen ebenso kompakten wie fundierten Einblick in den Stand der Qualitätsentwicklung in KiTas und zeigt dabei sehr deutlich die bestehenden strukturellen Ungleichheiten in den Bundesländern auf. Bedenkenswert scheint mir der Vorschlag von Detlef Diskowski zur Angleichung nicht auf ein Bundesqualitätsgesetz zu setzen (dass sich im Zweifel immer an den niedrigsten Standards orientiert), sondern auf individuelle Zielvereinbarungen zwischen Bund und Ländern. Für eine Pädagogik der Vielfalt werden wir uns darüber hinaus in Zukunft verstärkt mit der von Birgit Riedel aufgeworfenen Frage auseinandersetzen müssen, ob unsere auf Autonomie und selbstinitiierte Lernprozesse von Kindern ausgerichtete Pädagogik tatsächlich alle Kinder gleichermaßen erreichen und fördern kann.



Karsten Herrmann