Erste landesweite Tagung des nifbe mit Aufbruchstimmung

„Die Gründung des nifbe ist eine einmalige Chance, die wir ergreifen und konsequent nutzen müssen!“ Mit diesen Worten begrüßte der neue Geschäftsführer Reinhard Sliwka rund 80 Netzwerk-ManagerInnen, ForscherInnen und Beiratsmitglieder des nifbe zur ersten gemeinsamen landesweiten Tagung in Osnabrück.

Ziel war es, so die Vorsitzende Prof. Dr. Renate Zimmer, die vier Forschungsstellen und fünf Regional-Netzwerke des nifbe in den intensiven Austausch zu bringen und „eine gemeinsame Stoßrichtung“ zu finden. Als Kern der nifbe-Philosophie stellte sie dabei das wechselseitige Gegenstromprinzip heraus, mit dem Praxis und Forschung eng mit einander verbunden werden sollen.

 

Neben der Frage, wie die „Forschung in die Praxis und die Praxis in die Forschung kommt“, stand an diesem Tag zunächst einmal das gegenseitige Kennenlernen der Akteure im Vordergrund. Sowohl bei den regionalen Netzwerken wie bei den Forschungsstellen wurde dabei deutlich, dass der nifbe-Zug zwar schon kräftig Fahrt aufgenommen hat, dass man aber zugleich noch mitten in der Aufbauphase steckt.

 

 

Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse

 

Bei den regionalen Netzwerken lag so neben dem Aufbau der Infrastruktur von der Büroeinrichtung bis zum Personal ein zentraler Arbeitsschwerpunkt in der Bestandsaufnahme: Welche Akteure sind vor Ort jeweils im Bereich der frühkindlichen Bildung und Entwicklung tätig, wie ist das weite Feld strukturiert, welche vorbildlichen Projekte und Konzepte gibt es bereits, wo drückt der Schuh? Wie Bärbel Kuhlmey vom Regionalnetzwerk Mitte darstellte, ging es darum „das Feld zu sondieren, sich kennen zu lernen und gleichzeitig in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.“


Dies geschah in den Regionen unter anderem durch große Auftaktveranstaltungen, zu denen die Akteure von der Praxis über die Aus- und Weiterbildung bis zur Forschung eingeladen waren. Hier wurden gemeinsam zukünftige thematische Arbeitsschwerpunkte und Arbeitsstrukturen diskutiert. Die zentrale Frage lautete dabei, wie der gegenseitige Austausch der Akteure zielgerichtet organisiert und das oftmals „Nebeneinander her wirken“ verhindert werden könnten. Ein Beispiel stellte das Netzwerk SüdOst vor, das mit einer interdisziplinär organisierten und besetzten Ringvorlesung sowie einem „nifbe-Café“ schon erste Impulse in diese Richtung setzen konnte.

 


Im Flächenland Niedersachsen ist es eines der Hauptziele der Regionalnetzwerke, tatsächlich auch in die Fläche zu gehen und dezentrale Strukturen aufzubauen. Im Netzwerk SüdWest sind so beispielsweise gleich drei Regionalbüros in Osnabrück, Nordhorn und Diepholz eingerichtet worden. In NordOst sollen, wie Netzwerk-Managerin Babett Behren darstellte, Themenforen in den einzelnen Landkreisen dazu dienen, „wirklich allen Akteuren die Möglichkeit zur Mitarbeit zu geben“.


Weitgehend abgeschlossen ist in den Regional-Netzwerken die Besetzung der Beiräte. Diese sollen zum einen Projekte aus der Region zur Förderung durch das nifbe empfehlen und zum anderen inhaltliche Impulse setzen und Perspektiven aufzeigen. Als Zeichen für den Stellenwert des neu eingerichteten nifbe war im ganzen Land ein sehr großes Interesse der Institutionen und Gebietskörperschaften an einer Mitarbeit in den Beiräten zu verzeichnen. So konnte auch das erklärte Ziel einer thematisch und regional ausgewogenen Besetzung der Beiräte in den Regionalnetzwerken umgesetzt werden.

 

Einblicke und Ausblicke

 

Einen Einblick in den Stand ihrer Forschung und einen Ausblick auf neue Arbeitsschwerpunkte und Projekte im nifbe gaben auf der Tagung die vier ProfessorInnen Renate Zimmer, Heidi Keller, Claudia Solzbacher und Julius Kuhl.


„Entwicklung, Lernen und Kultur“


„Bewegung, Wahrnehmung und Psychomotorik“


„Begabungsförderung“


Mit großem Engagement diskutierten die Tagungsteilnehmer schließlich in einem „World-Café“ die für das nifbe entscheidende Frage, wie die Forschung in die Praxis und die Praxis in die Forschung kommen kann.

 

Impulse und Anregungen


Als zentrale Vorbedingung kristallisierte sich heraus, dass Forschung und Praxis sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und die gleiche Sprache sprechen müssten. Hier komme es darauf an, gegenseitige Vorurteile abzubauen, sich ernst zu nehmen und wert zu schätzen.


Erst auf dieser atmosphärischen Grundlage könne ein „strukturierter permanenter Austausch“ ansetzen. Konkrete Vorschläge hierfür waren beispielsweise „gemeinsame Projekt-Entwicklungen von Anfang an“, „themengebundene interdisziplinäre Foren“ oder auch „gemeinsame öffentliche Veranstaltungen von Forschung und Praxis“. Angeregt wurde auch, dass Forschung nicht nur neue Erkenntnisse und Modelle an die Praxis weiter gebe, sondern „auch einmal die Praxis bestätige, denn vieles läuft hier ja auch gut“.


Einigkeit herrschte in der Diskussion darüber, dass der Ko-Stelle und den regionalen Netzwerk-ManagerInnen in dem Austausch zwischen Forschung und Praxis als „Schnittstellen“ eine wichtige Rolle zukomme. Sie seien entscheidende „Türöffner“, „Übersetzer“ und „Makler“ in diesem Prozess. Hinzu kommen müsse ein „professionelles Informations-Management“, mit dem Informationen gut aufbereitet und allen Beteiligten auf einem virtuellen Marktplatz leicht zugänglich gemacht werden.

 

Über diese Einzelaspekte hinaus wurde im World-Café auch die Notwendigkeit einer „gemeinsamen Philosophie und Programmatik des nifbe“ deutlich, die nun in den nächsten Monaten konkretisiert werden sollen. Dazu gehöre dann auch, wie Zarah Deilami vom Beirat des Regionalnetzwerks Mitte anmahnte, „die gezielte Verwirklichung von Vielfalt und Heterogenität im nifbe“.

 

„Wir haben heute einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan“ resümierte Prof. Dr. Renate Zimmer die von einer spürbaren Aufbruchstimmung getragene erste landesweite Tagung des nifbe. „Doch eines dürfen wir auf dem noch anstehenden langen Weg nicht vergessen: Es geht im nifbe um die Verbesserung der Entwicklungsbedingungen und Bildungschancen der Kinder. Daran muss sich der Erfolg unserer Arbeit messen lassen."


Zum 1. Juli hat der Interims-Geschäftsführer des nifbe, Wolfgang Wöstmann, die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger Reinhard Sliwka übergeben. Von Anfang an war Wolfgang Wöstmann an der Initiierung und am Aufbau des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung beteiligt.

 

 

So hat der frühere Projektleiter der Lernenden Region Osnabrück sich zunächst ehrenamtlich bei der Entwicklung der Vereinssatzung und der innovativen Strukturen für das nifbe engagiert. Als Geschäftsführer der Adolf Reichwein-Gesellschaft war er darüber hinaus für ein durch das Land Niedersachsen gefördertes Vorprojekt zum Aufbau des nifbe verantwortlich. Zum 1. April übernahm er dann für drei Monate hauptamtlich die Geschäftsführung des nifbe und trieb den personellen und infrastrukturellen Aus- und Aufbau des Instituts mit seinen Forschungsstellen, den regionalen Netzwerken und der Ko-Stelle weiter voran.


Reinhard Sliwka dankte Wolfgang Wöstmann „für das große Engagement und die innovative Pionierarbeit beim Aufbau des nifbe“ und wünschte ihm alles Gute für den „abzusehenden Unruhestand“. Und so will sich Wolfgang Wöstmann auch in Zukunft weiter im regionalen Netzwerk SüdWest des nifbe ehrenamtlich engagieren.

 

 

Workshop des nifbe zeigt Perspektiven und Visionen auf

Osnabrück Eine einzige Sekunde – auf die kann es es beim sicheren Beziehungsaufbau des Säuglings mit seiner Mutter ankommen. Denn in diesem schmalen Zeitfenster erwartet er eine Reaktion auf seine Aktion. Erfolgt diese nicht, kommt es zu einer Verunsicherung, die sich nachhaltig auswirken kann.
Diese experimentell heraus gefundene Erkenntnis stellte die Entwicklungspsychologin Liselotte Ahnert jetzt in einem Workshop des „Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung“ in Osnabrück vor. Rund 60 Wissenschaftler und Studenten waren in der gerade bezogenen nifbe-Forschungsstelle „Entwicklung, Lernen und Kultur“ in einem ehemaligen britischen Offizierscasino zusammen gekommen, um „Perspektiven und Visionen für die frühkindliche Bildung und Entwicklung“ aufzuzeigen und gemeinsam zu diskutieren.

 

Wie Liselotte Ahnert darlegte, bildet eine funktionierende Beziehungsstruktur die Basis für eine optimale frühkindliche Bildung und Entwicklung. Der Prototyp einer solchen Beziehung in den westlichen Kulturen sei dabei die Mutter-Kind-Beziehung, mit der in der Regel Aufmerksamkeit, Sicherheit und Stress-Reduzierung als zentrale Faktoren gewährleistet seien. Die frühen Beziehungserfahrungen werden internalisiert und zu grundlegenden „inner working models“ entwickelt, mit denen die Kinder den Herausforderungen des Alltags begegnen.


Ahnert warnte allerdings davor, diesen Prototyp der mütterlichen Betreuung einfach auf die Kindertagesbetreuung zu übertragen. Alters- und geschlechtsabhängig hätten hier durchaus andere Faktoren wie die Assistenz und Unterstützung bei der Welt- und Selbsterkundung Vorrang. Mit zunehmendem Alter etablierten sich die Kinder – und hier insbesondere die Jungen - auch in den eigenen peer-groups und entwickelten eigene Unsicherheits- und Stressreduktions-Mechanismen.


Doch für die Praxis der Kleinkindbetreuung in Kindertagesstätten forderte Ahnert angesichts ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse Konsequenzen: Hier sollte auf maximal drei Kleinkinder eine Erzieherin kommen. Denn bei einem schlechteren Schlüssel bleibe all zu oft die Reaktion der Erzieherin auf die Aktion des Kleinkindes innerhalb der magischen Sekunde aus - und gefährde somit eine sichere Beziehungsstruktur.

 

Qualität definieren und messbar machen

 

Doch ein solcher Schlüssel ist, wie Wolfgang Tietze in seinem Referat „Qualität in der Kindertagesbetreuung“ darstellte, leider noch weit von der derzeitigen Praxis der Kleinkindbetreuung entfernt. Offiziell liegt er hier bei rund 1: 5-6. Doch tatsächlich lägen die tatsächlichen Erzieher-Kind-Schlüssel aufgrund von Krankheit, Weiterbil-dung oder Schwangerschaft noch bei bis zu 30% darunter. Der Kleinkindpädagoge von der Freien Universität Berlin sah zudem beim geplanten massiven quantitativen Ausbau der Betreuungsplätze die Gefahr, dass Standards eher gesenkt, denn angehoben würden. In diesem Sinne sei es unabdingbar, Qualität zu definieren und messbar zu machen.


Tietze hat dafür vor rund zehn Jahren ein Instrumentarium zur Qualitäts-Messung (Kindergarten-Skala) entwickelt, in dem bewusst die Sichtweise und die stellvertretend wahrgenommenen Interessen eines Kindes als Maßstab im Fokus stehen – ganz unabhängig davon, welche pädagogische (Reform-) Konzepte jeweils vertreten werden. Die definierten Qualitätsbereiche reichen von der Raum-Konzeption und –Ausstattung über die Anregungen zur Kompetenzentwicklung und der Gesundheitsförderung bis zum Management und Controlling. Im Rahmen eines von seinem Institut „PädQUIS“ angebotenen Qualitätsentwicklungs-Prozesses können Kitas auf bislang freiwilliger Basis auch das „Deutsche Kindergarten-Gütesiegel“ verliehen bekommen.


Tietze verdeutlichte, dass – abhängig davon, ob ein Kind eine qualitativ sehr gute bzw. weniger gute Kita besuche - Entwicklungsunterschiede von bis zu einem Jahr bei kognitiver, sprachlicher und sozialer Kompetenz festzustellen seien. Er forderte daher die verpflichtende Anerkennung eines „Nationalen Qualitätskriterienkatalogs“ und die Koppelung von öffentlichen Zuschüssen an einen Qualitätsnachweis. Dies sei auch Grundvoraussetzung dafür, dass die sich andeutende Privatisierung und Kommerzialisierung der Kinderbetreuung funktionieren könne.

 

Bildung als primäres Erziehungsziel

 

Kinder mit Migrations-Hintergrund standen im Fokus von Birgit Leyendecker. Die Erziehungswissenschaftlerin von der Ruhr-Universität Bochum zog dabei zunächst den sozio-kulturellen Rahmen auf, in dem sich die kindliche Entwicklung abspiele. Neben individuellen Perspektiven seien hier die familiären, institutionellen und kulturellen Perspektiven in den Blick zu nehmen. Als „primäres Erziehungs- und Sozialisationsziel“ in diesem Rahmen definierte Leyendecker die Bildung.
Während in deutschen Familien der Bildungsstand der Mutter einer der größten Einflussfaktoren für die Bildung der Kinder ist, ergibt sich aus Leyendeckers Untersuchungen in Familien mit türkischem Migrations-Hintergrund ein sehr viel komplexeres Bild. Obwohl die türkischen Väter häufig ein geringeres Bildungsniveau als ihre Frauen aufweisen, bilden sie für die Kompetenz-entwicklung ihrer Kinder eine wichtige Ressource. So sei es wichtig – was bisher kaum geschehe – türkische Väter durch attraktive und adäquate Angebote anzusprechen, „um sie in der Interaktion mit ihren Kindern zu unterstützen.“ Ähnliches finde bei türkischen Müttern beispielsweise schon durch das „Rucksack-Modell“ oder „Mama lernt Deutsch“ erfolgversprechend statt.

 

Kultursensitive Zugänge

 

Keine eindeutige Antwort hatte Leyendecker auf die Tatsache, dass Kinder mit türki-schem Migrationshintergrund im Vergleich zu deutschen Kindern nur wesentlich kürzer eine KiTa besuchen. Hier könnten neben sozialen Ursachen, wie Work-shop-Gastgeberin Heidi Keller vermutete, auch die unterschiedlichen kulturellen Prämissen ausschlaggebend sein. Denn während in westlichen Kulturen die Autonomie und feste Ich-Grenzen des Kindes Ziel des Sozialisationsprozesses seien, wären es in vielen afrikanischen, asiatischen und auch arabischen Kulturen die Bezogenheit auf die Familie und das „Wir-Bewußtsein“. So würden sich Kinder aus westlichen Kulturen auf einem Blatt Papier selber groß und mit vollständigem Gesicht malen, während solche aus afrikanischen Kulturen sich klein und häufig ohne Details darstellten.
Als Spezialistin für kulturspezifische Entwicklungspfade von Kindern forderte Heidi Keller daher eindringlich „kultursensitive Module und Modelle“ in der Kindertagesbetreuung. Das westliche kulturelle System der Autonomie könnte nicht von vornherein als verbindlicher Rahmen gesetzt werden. Stattdessen müsse jedes kulturelles Modell aus sich heraus verstanden und dürfe nicht wertend verglichen werden.

 

Plädoyer für Methodenvielfalt und Interdisziplinarität

 

Dass Universallösungen und einfache Rezepte gerade im Kontext der Migration und sozialen Benachteiligung nicht funktionieren, unterstrich auch Tom Weisner von der University of Los Angeles. Der Anthropologe berichtete von den Ergeb-nissen des „New Hope Experiments“. In diesem in Wisconsin durchgeführten Langzeitprogramm konnten „working poor parents“ aus einem tableau verschiedener Unterstützungsmaßnahmen auswählen. Basis bildete ein Sozial-Kontrakt, mit dem die Eltern bei einer Beschäftigung von mindestens 30 Stunden pro Woche 200% über der Armutsgrenze verdienten. Die Verbesserung der sozialen Situation führte dazu, dass diese Familien deutlich mehr Leistungen der öffentlichen Kinderbetreuung und Kinderfürsorge in Anspruch nahmen und dass die schulischen Leistungen der Jungen sich verbesserten.


Aufgrund dieser Erfahrungen plädierte Tom Weisner für die Methodenvielfalt und Interdisziplinarität der Forschung. Nur so könne der gesamte Kontext eines Kindes oder einer Familie in den Blick genommen und spezifisch abgestimmte Maßnahmen entwickelt werden. In diesem Sinne begrüßte er ausdrücklich die innovative Konzeption des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung. „Das Institut“, so Weisner, „hat die Chance, all die an der frühkindlichen Bildung und Entwicklung beteiligten Fachrichtungen und Kulturen zusammen und in den Austausch zu bringen“.

 

Das Gleiche für alle führt in die Sackgasse

 

Trotz aller positiven Effekte einer optimalen Kinderbetreuung warnte Wolfgang Tietze in einer abschließenden Podiumsdiskussion vor zu hohen Erwartungen an Erzieherinnen und Lehrer. Nach wie vor sei der elterliche Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder zwei bis dreimal so hoch wie der von Kitas. Daher gelte es „Erziehungspartnerschaften“ aufzubauen und Hand in Hand die Kinder individuell zu begleiten und zu fördern.


Gerade im Hinblick auf Kinder mit Migrations-Hintergrund forderte Heidi Keller, die Intensivierung der Erforschung von unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Lernstrategien. Nur so könnten in der frühkindlichen Bildung und Entwicklung auch passgenaue Modelle für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt werden. „Für alle das gleiche zu fordern und umzusetzen“, so Keller, „führt in die Sackgasse. Gleichbehandlung vergrößert in diesem Kontext die Ungleichheit.“

Prof. Dr. Renate Zimmer im Interview

Osnabrück Für die Leiterin des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung, Prof. Dr. Renate Zimmer, ist "Bewegung der Motor des Lernens". Bewegung sei entscheidend für eine "Weltaneignung mit allen Sinnen" und die Voraussetzung für die Entwicklung der Sprache, des Schreibens, Lesens und Rechnens. In diesem Sinne mache Toben schlau und müsse wieder stärker gefördert werden - denn die Verführung durch die unterschiedlichsten Unterhaltungsmedien drohe viele Kinder zu "Stubenhockern" werden zu lassen.

 

In der Titel-Geschichte des Spiegels vom 25.02.2008 bezieht nifbe-Forscherin Heidi Keller in der Diskussion um „Krippe oder Kinderzimmer: Wie viel Mutter braucht das Kind“ aus entwicklungspsychologischer Sicht Stellung. Unter Hinweis auf ihre interkulturellen Forschungen mit Müttern z.B. aus Afrika, Indien oder Südamerika warnt sie davor ein einziges universelles, natürliches Modell des Elternverhaltens zu unterstellen. Sie stellt klar: „Es gibt nicht das eine natürliche Muster. Es gibt Anpassungsstrategien“ und diese wiederum seien eindeutig kulturell geprägt.

Zum Spiegel-Artikel PDF (1,7 MB)

Innovative Elternkurse sollen frühzeitig Unterstützung bieten

Kein Lebensabschnitt ist für die gesunde Entwicklung des Menschen von so großer Bedeutung wie das erste Lebensjahr. Frauenärzte und Hebammen stellen fest, dass es eine zunehmende Verunsicherung im Umgang mit dem neugeborenen Kind gibt. Hier setzt die Katholische Erwachsenenbildung in Kooperation mit der Katholischen Familien-Bildungsstätte und der Universität Osnabrück mit dem vom nifbe geförderten Projekt „Fit für den Start“ an. Entwickelt wird ein innovatives Konzept für ein flächendeckendes Präventionsangebot für Mütter bzw. Eltern und Kinder, welches bereits in der Schwangerschaft beginnt und bis in das erste Lebensjahr reicht.

 

Schon seit mehr als einem Jahr setzen sich die beiden Initiatorinnen Dr. Ursula Hoffmann und Karin Twietmeyer für ein zusätzliches Angebot zur frauenärztlichen Schwangerenbetreuung und der Geburtsvorbereitung durch die Hebamme ein. Wie auch die Kinderärzte sehen sie in Ihrer Praxis einen deutlich gestiegenen Bedarf nach Hilfestellung für das Eltern-Sein und das Leben mit dem Kind.


Die Universität Osnabrück mit ihrem Fachgebiet „Entwicklung und Kultur“ bietet mit neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Forschung der frühkindlichen Entwicklung die fachliche Grundlage für dieses Modellvorhaben. Ebenfalls können aus der dort angegliederten Babysprechstunde langjährige Erfahrungswerte der Beratungsarbeit mit jungen Familien für das Projektvorhaben genutzt werden.

Überforderung präventiv begegnen

„Die Tatsache, dass circa 15 Prozent der Elternhäuser mit den Erziehungsaufgaben überfordert sind und besonders Erstmütter/Ersteltern immer mehr Unkenntnis und Hilflosigkeit bei der Kindsversorgung zeigen, kann uns als Schwangerschaftsbetreuer nicht unberührt lassen“, so Dr. Ursula Hoffmann. Im Rahmen von „Fit für den Start“ wird ein zehn Doppelstunden umfassender Informations- und Erfahrungskurs konzipiert, der bereits in der ersten Hälfte der Schwangerschaft beginnt. Durch praktisches Lernen und Erfahrungsaustausch soll hier Elternkompetenz vermittelt werden, um die Mütter vor Überforderung und die Kinder in der Folge vor Vernachlässigung zu schützen.

 

Die großen Themen sind:

 

  • Freilegung bisher nicht genutzter emotionaler Fähigkeiten
  • Beziehung zwischen Eltern und Kind
  • das Baby verstehen
  • Familienalltag
  • Vernetzung der jungen Mütter untereinander
  • Schutz vor Überforderung
  • Grundzüge der Gesundheitsvorsorge.

 

Enge Kooperation mit verschiedenen Akteuren

In der Durchführung des Projekts ist eine enge Kooperation mit Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Erwachsenenbildung sowie der Kinder- und Jugendhilfe vorgesehen. Christiane van Melis, Leiterin der Katholischen Familien-Bildungsstätte, wies in diesem Sinne explizit darauf hin, dass die Zusammenarbeit bereits in der Entwicklungsphase des Modellkurses gewünscht ist. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung dieser Kurse wird in Form von Tagungen und Workshops mit den Netzwerkpartnern begleitet, um verschiedenste Anliegen und Sichtweisen in diese Kurse zu integrieren. Im weiteren Projektverlauf ist es geplant, Mitarbeiter aus verschiedensten Einrichtungen als Kursleiter zu schulen, so dass die entwickelten Kursmodelle im weiteren Verlauf in Einrichtungen der Kooperationspartner angeboten werden können. Im September und Oktober 2008 sollen zunächst die Aus- und Weiterbildung der TrainerInnen durchgeführt werden, um dann im Anschluss rund 40 Kurse nach diesem Modell in Osnabrück und Wallenhorst für Eltern wohnortnah anbieten zu können. Ziel ist es in der Zukunft, Erstmütter in Osnabrück flächendeckend mit diesem Kurs zu erreichen.

Als Einrichtung der Erwachsenenbildung übernimmt die Katholische Erwachsenenbildung Osnabrück (KEB) die Trägerschaft des Projektes. "Menschen fit zu machen zur Bewältigung von Lebenssituationen ist Kernaufgabe der KEB und kann in diesem Projekt hervorragend umgesetzt werden", so Herbert Rosemann, Geschäftsführer der KEB. Ziel ist die Umsetzung des Projekts auch über die Grenzen von Osnabrück hinaus.

 

Weitere Informationen und Kontakt:


Katholische Erwachsenenbildung
Projekt „Fit für den Start“
Birgit Elixmann
Große Rosenstraße 18
49074 Osnabrück
Telefon 0541/ 35868-22
Fax 0541/35868-20
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Viele Hände sind im Spiel, wenn es um das Wohl eines Kindes in den ersten Jahren geht: Von den Eltern über Hebammen, Kinderärzte, Erzieherinnen und Lehrer bis zur Kinder- und Jugendhilfe, von der Politik über die Forschung bis zur Aus- und Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte reicht die breite Palette. Die Aktivitäten all dieser Beteiligten sind bisher allerdings oftmals mehr durch ein Nebeneinander als durch ein konsequentes und aufeinander abgestimmtes Miteinander geprägt.

Das nifbe setzt daher auf eine landesweite Vernetzung und Verzahnung: „Um die ersten Jahre eines Kindes möglichst optimal zu gestalten, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen und der Transfer aus der Forschung in die Praxis wie auch umgekehrt sicher gestellt werden“, so Prof. Dr. Renate Zimmer, Institutsleiterin des nifbe.

 

Einladung zur Beteiligung

Dafür nehmen jetzt in Emden, Hannover, Hildesheim, Lüneburg und Osnabrück fünf regionale nifbe-Zentren mit den dort angestellten Netzwerk-ManagerInnen ihre Arbeit auf. Zeitgleich wird am 26. Februar 2008 der offizielle Startschuss für die Vernetzung vor Ort gegeben. Alle relevanten Akteure aus der frühkindlichen Bildung und Entwicklung sind eingeladen, in den interdisziplinären Austausch zu kommen sowie gemeinsame Strategien und Arbeitsschwerpunkte für die Zukunft festzulegen.

Querschnittsaufgaben in den regionalen Netzwerken sollen die Aus- und Weiterbildung des pädagogischen Fachpersonals, die modellhafte Entwicklung frühpädagogischer Konzepte und vor allen Dingen auch die Elternbildung sein. „Wir brauchen eine enge Bildungspartnerschaft zwischen den Eltern und den Erzieherinnen in Kindergärten und auch den Lehrern in Grundschulen“, hebt Zimmer hervor.

Aus den regionalen Netzwerken sollen darüber hinaus Transfer- und Kooperationsprojekte entwickelt werden, für die im Rahmen des nifbe 1,2 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Im Fokus steht hier die modellhafte Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und innovativen Verfahren in die Aus- und Weiterbildung sowie in den Alltag von Kindergärten.