Die im Oktober diesen Jahres in den Ruhestand verabschiedete nifbe-Forscherin Prof. Dr. Heidi Keller ist von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) für ihr Wissenschaftliches Lebenswerk geehrt worden. Heidi Keller leitete von 2008 - 2014 die nifbe-Forschungsstelle Entwicklung und Kultur und war zugleich Vorstandsmitglied des nifbe. In der Laudatio der DGPs wird die wissenschaftliche Leistung von Heidi Keller wie folgt gewürdigt:

 

keller 125"Mit Heidi Keller ehrt die Deutsche Gesellschaft für Psychologie eine Forscherin, deren wissenschaftliches Lebenswerk international große Sichtbarkeit erlangt hat. In ihren frühen Arbeiten widmete sie sich der Entwicklung des Neugierde- und Explorationsverhaltens, des Gedächtnisses und der Emotionsregulation bei Kindern sowie der frühen Eltern-Kind-Bindung, im Besonderen dem intuitiven Elternverhalten und der mütterlichen Sensitivität.

 

Heute verbindet sich mit dem Namen Heidi Keller vor allem die kulturvergleichende Perspektive, die sie ab Mitte der 80er Jahre konsequent verfolgt hat und mit der sie das viele Dekaden unangefochtene Denken in Frage gestellt hat, wonach die kindliche Entwicklung durch universell gültige Prinzipien hinreichend beschrieben werden kann. Das Zusammenspiel zwischen Biologie und Kultur thematisierend rekonstruierte Heidi Keller in ihrer Forschung die Kulturspezifik von Pfaden menschlicher Entwicklung, sichtbar in Unterschieden in der Abfolge und der Geschwindigkeit des Durchlaufens von - durch verschiedene Entwicklungsaufgaben geprägten - Phasen.

Heidi Keller studierte Psychologie in Mainz (Diplom 1970), wo sie 1975 auch promovierte. Die Habilitation folge im Jahre 1984, nachdem sie als Hochschulassistentin zunächst noch in Mainz und dann in Darmstadt tätig gewesen war. Seit 1984 ist sie Professorin für Psychologie (Fachgebiet Entwicklung und Kultur) an der Universität Osnabrück und seit 2008 Leiterin der Forschungsgruppe "Kultur, Lernen und Entwicklung" des Niedersächsischen Instituts für Frühkindliche Bildung und Entwicklung. Seit 1984 hat sie an unterschiedlichen Orten Gastprofessuren wahrgenommen: in Baroda (Indien), an der Universidad de Costa Rica in San José, wiederholt am National Institute of Health in Bethesda (Maryland), an der UCLA (California) und am Netherlands Institute for Advanced Study.

Mit der Untersuchung der kindlichen Entwicklung in ihrer Abhängigkeit vom Kontext und in ihrer Situiertheit befand sich Heidi Keller lange im Kontrast zum vorherrschenden Zeitgeist, der bis in die späten 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch Bestrebungen charakterisiert war, immer kleinere, isolierte Funktionsbereiche der menschlichen Entwicklung zu untersuchen. Während Heidi Keller die Anerkennung für die – mit ihrem Namen verbundene - Perspektive einer "kulturinformierten Entwicklungspsychologie" in Deutschland lange verwehrt blieb, verschaffte sie sich eben diese beim internationalen Fachpublikum mit ihrer Publikation Communication patterns in adult-infant interactions in Western and non-Western cultures im Jahre 1988 im Journal of Cross Cultural Psychology. Viele ihrer Arbeiten sind seither in international renommierten Fachzeitschriften mit hohen Impact-Faktoren erschienen, wie z.B. in Developmental Psychology, Monographs for Research in Child Development oder im International Journal of Behavioural Development. Heidi Kellers internationale Reputation wird auch durch ihre Präsidentschaft in der International Association for Cross-Cultural Psychology (IACCP) (2008 – 2010) verdeutlicht.

Heidi Keller hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Beschreibung kindlicher Entwicklung im "kulturfreien Raum" heute als "ethnozentrische Perspektive" kritisiert und durch kulturvergleichende sowie evolutionspsychologisch ausgerichtete Studien ergänzt wird. Möglich wurde Heidi Keller diese Art der Forschung durch ein internationales Netz von Forschungskooperationen, das weit mehr als die üblichen Länder, in Europa und den USA, umspannt, nämlich afrikanische, zentralamerikanische Länder und indische Bundesstaaten einschließt, die die Orte und Gegenstände ihrer entwicklungspsychologischen Untersuchungen sind. Mit ihrer Forschung hat Heidi Keller nicht nur Brücken zu anderen Entwicklungswissenschaften, wie z.B. der Verhaltensbiologie oder den Neurowissenschaften, geschlagen, sondern auch die Rezeption entwicklungspsychologischer Erkenntnisse in Öffentlichkeit und Gesellschaft gefördert. So kann sie evidenzbasierte Politikberatung zu Fragen und Herausforderungen bieten, denen sich multikulturelle Gesellschaften gegenübersehen; so z.B. zu der Frage, wie wir kulturspezifische Erfahrungen, die Kinder mit Migrationsgeschichte in die Kita oder Schule mitbringen, nutzen können, um ihre Entwicklung zu fördern.

Heidi Keller hat mit ihrer mutigen frühzeitigen Kombination von Entwicklungspsychologie und kulturvergleichender Psychologie die deutschsprachige und internationale Psychologie wesentlich beeinflusst und damit auch nachfolgende Generationen von Forscherinnen und Forschern - im Geiste einer "kulturinformierten Entwicklungspsychologie" - geprägt. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie ehrt Heidi Keller für diese Leistungen mit dem Preis für das Wissenschaftliche Lebenswerk."

 

Über die Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V. (DGPs):
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V. (DGPs) ist eine Vereinigung der in Forschung und Lehre tätigen Psychologinnen und Psychologen. Die über 3500 Mitglieder der DGPs erforschen das Erleben und Verhalten des Menschen. Sie publizieren, lehren und beziehen Stellung in der Welt der Universitäten, in der Forschung, der Politik und im Alltag. Die DGPs strebt die Förderung und Verbreitung der wissenschaftlichen Psychologie an.

 

Die Ehrung des Wissenschaftlichen Lebenswerks durch die DGPs:
Mit dieser Ehrung sollen angesehene Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gewürdigt werden, deren wissenschaftliches Werk und deren wissenschaftliche Aktivitäten Forschung und Lehre im Fach Psychologie über einen langen Zeitraum hinweg nachhaltig beeinflusst haben und weiterhin noch beeinflussen. Die Bedeutung des wissenschaftlichen Lebenswerkes sollte sich unter anderem an dem Einfluss zeigen, den es auf die Wissenschaftler/innen der nächsten Generation hat. Weiter sollte das Werk für die Belange der Öffentlichkeit und der Gesellschaft bedeutsam sein. Zugleich würdigt die Deutsche Gesellschaft für Psychologie damit die wissenschaftlichen Leistungen, die als Markierungspunkte in der Geschichte der Psychologie gelten können.