Nach dem forcierten Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei gibt es in den Krippen und Kindergärten einen großen Bedarf  an qualitativer Weiterentwicklung. Welchen Beitrag kann hier nun die Forschung mit ihren neuen Erkenntnissen und Konzepten leisten und wie kommen diese tatsächlich in die Praxis? Diese Fragen standen im Fokus eines interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en Treffens von  rund 20 niedersächsischen ForscherInnen in der Ko-Stelle des nifbe.

Panorama
Niedersächsische ForscherInnen diskutieren ihre neuen Erkenntnisse und Ansätze zur Krippe: Prof. Dr. Renate Zimmer, Prof. Dr. Timm Albers, Prof. Dr. Hilmar Hoffmann, Prof. Dr. Bettina Lindmeier, Prof. Dr. Heidi Keller, Dr. Susanne Völker und Dr. Christina Schwer (v.l.n.r.)












Zum Auftakt wies nifbe-Direktorin Prof. Dr. Renate Zimmer auf die schon vorliegende Fülle von Forschungen und Forschungsergebnissen zu den Kleinen und Kleinsten hin. Jetzt komme es darauf an „die für die Praxis relevanten Forschungsergebnisse zu identifizieren und diese dann zeitnah in die Umsetzung zu bringen.“ Wie Prof. Dr. Hilmar Hoffmann ergänzte, spiele dabei neben der KiTa-Praxis selber auch die Praxis der Aus- und Weiterbildung mit ihrem Multiplikationseffekt eine entscheidende Rolle.

Die gegenseitige Kurzvorstellung von zentralen Forschungsprojekten und -erkenntnissen zeigte bereits in dieser Runde ein breites Spektrum von praxisrelevanten Methoden und Ansätzen für die Arbeit in der Krippe auf – von der Sprachförderung und Literacy-Entwicklung durch Bewegung über die Förderung von Selbstwirksamkeit und Selbstkompetenz als Grundlagen des Lernens bis hin zum großen Querschnittthema der Inklusion und des Umgangs mit Vielfalt.

Prof. Dr. Bettina Lindmeier von der Universität Hannover unterstrich im Hinblick auf die Inklusion die Herausforderung „Gleichheit und Verschiedenheit auszubalancieren“ und beispielsweise den Fokus nicht zu stark auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Beeinträchtigungen zu legen. „Grundsätzlich haben alle Kinder erst einmal die gleichen Bedürfnisse“ meinte die Sonderpädagogin. Viel ungenutztes Potenzial sah sie gerade auch im Hinblick auf Kinder mit Beeinträchtigungen im „Lernen durch Peer-Interaktionen“.

Video-Interaktionsanalysen mit spannenden Ergebnissen

Eine beunruhigende Erkenntnis konnte Prof. Dr. Timm Albers aus dem nifbe-Forschungsprojekt „Qualität in der Bildung und Entwicklung unter 3“ und den dort durchgeführten Beobachtungen von Sprach-Interaktionen beisteuern. So bekämen Kinder mit geringerer Sprachkompetenz am wenigsten Unterstützung durch frühpädagogische Fachkräfte, da diese ihr Sprachniveau intuitiv herunterschraubten. In diesem Sinne plädierte er auch für eine „verstärkte selbstreflexive und forschende Haltung der ErzieherInnen“. Auch die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Heidi Keller konnte aus ihrem Projekt zur Entwicklung  einer kultursensitiven und alltagsbasierten Sprachförderung in der KiTa von großen „Aha-Erlebnissen“ berichten: „Viele ErzieherInnen waren bei der Analyse und Reflexion von Videoaufzeichnungen erstaunt, dass sie überhaupt nicht so sprachen wie sie dachten“ und das Sprach-Potenzial des Alltags oder von offenen Fragen nicht ausnutzten. In den auf einer „Trias von Wissen, Können, Haltung“ aufbauenden Fortbildungen von Heidi Keller spielt daher auch die Selbsterfahrungskomponente durch Videoaufzeichnungen ein entscheidende Rolle.

Durch die Bank erwies sich die Video-Interaktionsanalyse in den Projekten der ForscherInnen als hervorragende Methode, um den Alltag in der KiTa zu beobachten und auch gemeinsam mit den ErzieherInnen zu reflektieren – und um diese im Idealfall selber zu der Erkenntnis gelangen zu lassen, wo Änderungsbedarf besteht und wo Bildungs-Potenziale ungenutzt bleiben.


Wie wird der Krippen-Alltag gestaltet?

So steht in einem ebenfalls auf Videoaufzeichnungen basierenden Forschungsprojekt von Prof. Dr. Hilmar Hoffmann die Frage im Vordergrund, was ErzieherInnen tatsächlich tagtäglich tun und wie sie dies selber einschätzen. Er konnte dabei in der Krippe zum Beispiel eine „hohe Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung der ErzieherInnen“ feststellen, so z.B. bei der Einschätzung des Anteils von Spiel- oder Versorgungssituationen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten ohne Beteiligung des Kindes über den Tagesverlauf hinweg. „Erst wenn wir wissen, wie der Alltag der ErzieherInnen tatsächlich aussieht“, so Hilmar Hoffmann, „können wir Spielräume sichtbar machen und anschlussfähige Programme oder Angebote konzipieren“. Wie Bettina Lindmeier ergänzte, sei es für ErzieherInnen im Alltag dabei eine entscheidende Herausforderung „den Switch hinzukriegen zwischen dem, was brennt und aktuell notwendig ist und dem, was ich eigentlich wollte“.


Haltung als entscheidender Schlüssel

Einig waren sich die ForscherInnen auch darin, dass die durch eine ganze Reihe von eher weichen Faktoren bestimmte professionelle Haltung der ErzieherIn ein entscheidender Schlüssel für die qualitative Weiterentwicklung von Krippen und Kindergärten ist. „Die Haltung ist der Knackpunkt“ unterstrich Fiona Martzy aus der nifbe-Forschungsstelle Bewegung und Psychomotorik aus ihrer Erfahrung  mit der Weiterbildung von ErzieherInnen. Weiterbildungen müssten daher auch eine „Mischung aus Wissen, Selbstreflexion, (Körper-) Erleben und Selbstwirksamkeitserfahrung“ bieten, um nachhaltig wirken und Verhalten ändern zu können. Die Haltung und die explizite Beschreibung dessen, was sie ausmacht, stehen derzeit auch im Fokus eines Projektes der nifbe-Forschungsstelle Begabungsförderung.


Angebote für die Praxis

Für die Zukunft verabredete die ForscherInnen-Runde neben der aktuellen ErzieherInnen-Qualifizierungsinitiative des nifbe auch ab dem Frühjahr 2014 ein kostenloses Fortbildungsangebot für Aus- und WeiterbildnerInnen unter dem Motto „Den Alltag von Krippe gestalten“. Flankiert werden diese Angebote durch Publikationen wie den nifbe-Themenheften oder dem Kongress „Die Chancen der ersten Jahre“ am 19. und 20. Februar in Osnabrück. Im Herbst nächsten Jahres wollen sich die niedersächsischen ForscherInnen erneut treffen, um die bisherigen Schritte zum Transfer von neuen Erkenntnissen und Ansätzen in die Krippen-Praxis zu reflektieren und die nächsten Schritte zu planen.


Ausgewählte nifbe-Projekte zum Thema Krippe:

Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen in Bewegung

Förderung sprachlicher Kompetenzen von Kindern durch bewegungsorientierte Maßnahmen

Psychomotorische Sprachentwicklungsförderung in der frühen Kindheit

nifbe-Film zur Alltagsbasierten Sprachförderung

„Selbstkompetenz“ in der frühen Kindheit als Voraussetzung für den Erfolg von Bildungsprozessen

Qualität in der Bildung und Entwicklung unter 3

Alles "Haltung" oder was?