IMG 1816Prof. Dr. Maria Katarzyna Lasatowicz Die alltagsintegrierte Sprachbildung und die Arbeit in bilingualen Kindergärten stand im Fokus der Abschlusstagung eines Kooperationsprojektes zwischen der nifbe-Forschungsstelle Elementarpädagogik und dem Germanistik-Institut der Universität Oppeln im polnischen Oberschlesien.

Zur Begrüßung unterstrich Gastgeberin Prof. Dr. Maria Katarzyna Lasatowicz den fruchtbaren Austausch und die beidseitigen wertvollen Ergebnisse in diesem grenzüberschreitenden Kooperationsprojekt zum Thema Sprache und Deutsch als Zweitsprache, deren Vermittlung in Schlesien insbesondere aufgrund der Geschichte und der hier lebenden deutschen Minderheit eine große Rolle spielt.

Im Auftaktvortrag führte Prof. Dr. Hilmar Hoffmann als Leiter der Forschungsstelle Elementarpädagogik die rund 100 TeilnehmerInnen zunächst in das deutsche Kindergartensystem ein, welches sich doch gravierend vom polnischen unterscheidet. Denn während in Polen die KiTas zentral durch ein IMG 1826Prof. Dr. Hilmar Hoffmannverbindliches Bildungsprogramm gesteuert werden, mit altershomogenen Gruppen arbeiten und in der Regel ganztags besucht werden, wird das deutsche KiTa-System durch den Föderalismus mit 16 verschiedenen, zumeist unverbindlichen Bildungs- bzw. Orientierungsplänen, durch die Trägervielfalt und eine große Altersmischung bestimmt. Und während in deutschen KiTas im Durschnitt schon mehr als 30% der Kinder einen Migrationsanteil haben und diese Quote in Ballungsgebieten auf über 90% steigt, ist diese Herausforderung in Polen noch weitgehend unbekannt. Dennoch werden in der Woiwodschaft Oppeln mit seinen 12 Landkreisen aber in rund 70 Kindergarten zum Teil bilinguale Angebote zur Vermittlung der deutschen Sprache gemacht, die zunehmend auch unter wirtschaftlichen Aspekten gefördert und anerkannt wird.

Als zentral für die Arbeit seiner Forschungsstelle hob Hilmar Hoffmann die weitgehend noch unbeantwortete Frage heraus: „Was tun ErzieherInnen im Alltag tatsächlich und wie und warum tun sie es?“ Zur Beantwortung dieser Frage setzt die Forschungsstelle auf Methoden wie „Teilnehmende Beobachtung“, „Interviews und Fragebögen“, „Videographie“ und „Audioaufnahmen“. Ziel sei es, ein tieferes Verständnis vom Arbeitsalltag in der KiTa zu bekommen, um erst dann passgenaue Zugänge für die Umsetzung von Programmen und Konzepten zu legen.

IMG 1836Dr. Susanne Müller-UsingEntsprechend dieser Philosophie wurde auch im Forschungsprojekt Alltag der gesprochenen Sprache im Elementarbereich vorgegangen, das die ProjektmitarbeiterInnen Dr. Susanne Müller-Using und Hannah Speidel auf der Tagung vorstellten. So wurde hier gefragt, „was, wie und mit welchem Ziel ErzieherInnen im KiTa-Alltag sprechen“. Dazu wurden in sechs verschiedenen Kindergärten insgesamt 61 Stunden Audioaufnahmen von der alltäglichen Kommunikation der ErzieherInnen gemacht und im Hinblick auf die Funktionsbereiche und Kontexte von Sprache untersucht.

Ziel war es, die Potentiale für eine durchgängige (Zweit-) Sprachbildung im Alltag herauszufiltern. Grundsätzlich stellten die beiden ForscherInnen klar, dass das „Erlernen der ersten Sprache zentral ist für das Erlernen einer zweiten“ und dass in diesem Sinne die Erstsprache von Kindern mit Migrationshintergrund auch mehr wertgeschätzt und gefördert werden sollten.

IMG 1838Hannah SpeidelAus den Untersuchungen ging hervor, dass im Sprachalltag viele Ansagen, Ankündigungen und Aufforderungen vorherrschten, die wenig dialogisch, sondern eher auf „zielgerichtete Abläufe und Pläne“ ausgerichtet seien. Rund 50 Prozent der Gespräche seien Kurzgespräche, die durch rhetorische bzw. Ja-Nein-Fragen und wenig durch sprachanregende offene Fragen bestimmt seien.

Als „Horte der Sprachbildung“ identifizierten die ForscherInnen im Gegensatz dazu „gemeinsame Aktivitäten“ und „gemeinsam geteilte Aufmerksamkeit“ von ErzieherInnen und Kindern. Entscheidend seien hier die „Offenheit für Prozesse“, das „Hineingehen in Situationen ohne die professionelle Distanz aufzugeben“ sowie ein hoher Grad von „Aufmerksamkeit und Zuwendung“. Wie anhand einer Mittagstisch-Videoszene eindrücklich dargestellt wurde, kann sich so ein gemeinsamer und auch von Peer-Interaktionen bestimmter „Sprach- und Denkfluss“ mit viel Sprachbildungspotenzial entwickeln.

IMG 1844Klaudia GabryelWie die Sprachbildung und – förderung in bilingualen Kindergärten funktioniert, stellte Klaudia Gabryel von der Universität Oppeln dar. Grundprinzipien sollten hier „das tägliche Sprachbad“, „das ganzheitliche, multisensorische Lernen mit Handlungsorientierung“ sowie das „Individualisieren und Differenzieren“ sein. Die ErzieherInnen nähmen dabei die „Rolle als Sprachliches Vorbild, Sprachvermittlerin und Gesprächspartnerin“ ein. Am Beispiel des Kindergarten Nr. 8 in Oppeln zeigte sie auf, wie das Immersionsprinzip methodisch-didaktisch und hier insbesondere durch das von Medien unterstützte gemeinsame Singen und Tanzen umgesetzt wird. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse des nifbe-Projektes wurde allerdings auch deutlich, dass die Potenziale der bilingualen Sprachbildung im Alltag noch nicht hinreichend ausgeschöpft werden und oftmals noch das Programmangebot  im Vordergrund steht.

IMG 1848Dr. Anita SzczepanWie Dr. Anita Szczepan von der Universität Oppeln anhand ihrer Untersuchungen in acht ausgewählten Kindergärten Schlesiens mit 414 Kindern und 12 deutschsprachigen ErzieherInnen aufzeigte,  bietet die bilinguale Erziehung „viele Vorteile, trägt zur Profilbildung bei und ist bei den Eltern hoch angesehen“. In 75% der Kindergärten werde dabei nach dem Prinzip „Eine Person – eine Sprache“ und in den restlichen 25% nach dem Prinzip „Eine Person – zwei Sprachen“ verfahren. Sie zeigte aber auch auf, dass die bilinguale Erziehung in Schlesien noch mit schlechten Rahmenbedingungen zu kämpfen habe. So seien häufig zu viele Kinder in den Gruppen und zu wenig didaktische Materialien vorhanden. Zudem müssten verstärkt Hospitationen und Weiterbildungen angeboten bzw. wahrgenommen werden.

IMG 1850Katarzyna CzechAbgerundet wurde die Tagung durch Katarzyna Czech vom Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit, die anhand des Wittgenstein-Zitats „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ noch einmal die grundsätzliche Bedeutung von Mehrsprachigkeit betonte. Diese sei der „Zugang zu einer multikulturellen und globalisierten Welt“. Daher gelte es die in jedem Kind vorhandenen Anlagen frühzeitig zu nutzen.

Zum Abschluss bekräftigten Prof. Dr. Maria Katarzyna Lasatowicz und Prof. Dr. Hilmar Hoffmann noch einmal den Willen, auch nach Projektende weiter in den Bereichen Forschung, Lehre und Praxis zusammenzuarbeiten. Konkret wurde ein Gegenbesuch der polnischen WissenschaftlerInnen zusammen mit ErzieherInnen in Osnabrück anvisiert, um ihnen hier beispielsweise aktuelle Sprachbildungs- und förderansätze näher vorzustellen, gemeinsam zu diskutieren und ggf. auch entsprechende Weiterbildungen zu vereinbaren.

 
Weiterführende Fachbeiträge zum Thema:

Mehrsprachigkeit - Eine Einführung
Mehrsprachigkeit und ihre Chancen
Sprachbildung und Sprachförderung - eine Einführung
Alltagsintegrierte Sprachbildung
Bewegungsorientierte Sprachförderung
Alltagsbasierte Sprachbildung (nifbe-Themenheft 6)