Prof. Dr. Maria-Eleonara Karsten im Interview


  • Der Beruf der ErzieherInnen steht sowohl unter qualitativen wie auch rein quantitativen Aspekten in der Diskussion und angesichts des Krippenausbaus droht uns ein akuter ErzieherInnen-Mangel. Was muss sich ändern, um den ErzieherInnen-Beruf attraktiver zu machen?

karsten 150Die zwei wichtigsten Punkte vorweg: Um den ErzieherInnen-Beruf attraktiver zu machen, müssen sich Gesellschaft und Politik erstens endlich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten für eine öffentlich verantwortete und qualitativ hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung in den ersten Lebensjahren von Jungen und Mädchen entscheiden. Dies erfordert ein deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen und damit eine deutliche Steigerung der Investitionen in diesem Bereich. Ziel sollte skandinavisches Niveau: Während z.B. Dänemark insgesamt 8,7% des BIP für Bildung investiert, sind es in Deutschland 5,3% und im frühkindlichen Bereich stehen den dänischen 2,5 % nur 0,6% in Deutschland gegenüber.

Zweitens: Attraktiver wird dieser Beruf, wenn alle berufstätigen Frauen und Männer von diesem Beruf auch leben können und gesellschaftlich voll anerkannt sind in ihren Leistungen. Dafür ist eine Gesamtstrategie, ein „Masterplan“ notwendig, zu dem es in Niedersachsen auch im Rahmen des nifbe-Professionalisierungsprojektes bereits gute Ansätze gibt. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslagen und Konstellationen muss aber in allen 16 Bundesländern unterschiedlich vorgegangen werden, letztlich sogar in jeder Kommune und bei jedem öffentlichen oder wohlfahrtsverbandlichen Arbeitgeber. Hier sind auch die Lehrenden gefragt ebenso wie die Fort- und Weiterbildungen, in denen die Realisierung der zukunftweisenden Strategien erlernt, erarbeitet und evaluiert werden.

  • Die aktuelle Situation scheint davon gekennzeichnet, dass die frühkindliche Bildung einerseits als "Allheilmittel" hochgeschätzt wird, dass aber andererseits die Rahmenbedingungen sich seit Jahren nicht verändert und zum Teil sogar verschlechtert haben. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass sich nicht nur im Hinblick auf Quantität, sondern auch im Hinblick auf Qualität etwas ändert?

Die Chancen in Deutschland waren nie so groß wie heute, aber diese müssen auch verwirklicht werden. Wir wissen aus internationalen Untersuchungen, dass Deutschland im Vergleich der Investitionen in die Qualität von Bildung der Mädchen und Jungen nicht gut dasteht und sogar der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat kürzlich gesagt: „Von Bildung und Ausbildung hängen Chancen und Erfolg für den Einzelnen und für den Wirtschaftsstandort Deutschland ab. Bildungspolitik ist damit die eigentliche Sozial- und Standortpolitik.“ Wenn diese Chancen genutzt werden wollen, muss man das gesamte Feld ins Auge fassen, es geht dann ebenso um Zusammenhangswissen wie um kleinteilige detaillierte Einzelstrategien, die für die jeweilige Situation vor Ort ausgearbeitet werden müssen.

  • Wenn Sie sich die „Strategien“ anschauen, mit denen dem Personalmangel in Sachen Kita-Ausbau entgegen gewirkt werden soll – wie würden sie die beschreiben?

Der Umgang mit dem Personal- oder dem sogenannten Fachkräftemangel in Sachen Kita- Ausbau ist höchst unterschiedlich – er reicht von klug und auf die regionale Situation abgestimmt über hilflos, weil es nur schnell und billig sein soll (Kurzausbildungen für Männer oder Grundschullehrerinnen) bis zum Ausweichen, wie es das Beispiel Betreuungsgeld zeigt. Dieses soll vorrangig deswegen eingeführt werden, damit nicht so viele Klagen von Eltern im Sommer 2013 kommen, wenn ihre Mädchen und Jungen den gewünschten Krippenplatz nicht bekommen - und auch dies wird regional sehr unterschiedlich ausfallen, weil die heutigen Ausgangssituationen so sehr unterschiedlich sind.

  • Es sollen auch mehr Männer als Erzieher für Kindergärten und Krippen gewonnen werden. Was halten Sie von Maßnahmen, die Männer innerhalb von zwei Jahren zum Erziehern bzw. Elementarpädagogen ausbilden sollen und warum bruachen wir überhaupt mehr Männer in KiTas?
Es sind derzeit rund 450.000 weibliche Erzieherinnen und nur rund 17.000 männliche Erzieher – das sind 3,8 Prozent - in der direkten interaktiven, elementarpädagogischen Arbeit tätig. Dafür wurden sie zwischen vier und fünf Jahren ausgebildet oder haben ebensolange studiert und sich fortgebildet. Dies ist auch für „mehr Männer“ die unabdingbare Voraussetzung. „Mehr Männer“ auf Kosten von Schmalspurausbildungen mit verkürztem Wissen und Können führt nicht nur zur Abwertung dieser so in den Beruf gebrachten Männer, sondern auch zur Abwertung der vielen gut ausgebildeten Fachkräfte und des Berufsstandes an sich. Beides ist nicht akzeptabel und zielführend für die Bewältigung des Fachkräftemangels.

Aus pädagogischer Sicht können männliche Erzieher durchaus eine Bereicherung für die kindlichen Sichtweisen und Zugänge zu Lebenswelten sein. Wir brauchen hierzu sozial gebildete, kluge und vor allem reflektierte Menschen, die über sozialere Lebensformen, soziale Gerechtigkeit und Lebensmöglichkeiten für die Zukunft nachdenken und daran mitarbeiten können und, vor allem, auch wollen.

  • Was halten Sie von der Umschulung Arbeitsloser? Man hat ja viel davon geredet zum Beispiel die ehemaligen Schlecker-Frauen zu Erzieherinnen umzuschulen?

Wenn Motivationen, Interesse und Möglichkeiten wirklich begründet und inhaltlich anspruchsvoll ausgelotet werden und sehr gute, fachlich elementarpädagogische Umschulungen realisiert werden, ginge das sogar, aber auf keinen Fall als Billigvariante, mit der Niemandem gedient ist. Der größte Anteil der sog „ Schleckerfrauen“ war jedenfalls klüger, als in der Öffentlichkeit dargestellt: es haben sich nur wenige und diese dann für eine reguläre Teilzeitausbildung entschieden.

  • Der ErzieherInnen-Beruf wird in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gerade mit Aufstiegs- und Karrierechancen verbunden. Führt die ErzieherInnen-Aubsildung in die Sackgasse und brauchen wir mehr Durchlässigkeit?

Wir wissen schon sehr lange durch Forschungen, dass der Erzieherinnenberuf für die einen eine Sackgasse darstellt, weil diese ihn gar nicht - z.B. wegen der enormen gesundheitlichen Belastungen - bis ins Rentenalter ausüben können. Für andere sind die Aufstiegsmöglichkeiten sehr begrenzt, weil sie wegen ihres regionalen Lebensmittelpunktes in kleinen Einrichtungen in z.B. Beispiel ländlicher Region tätig sind und ein Kita- Leiterinnenwechsel zugleich ein Generationenwechsel ist. Wieder andere haben in ihrer Region nur wenige Träger als Arbeitgeber und dadurch wenig Wechselmöglichkeiten. Neue Wege erschließen sich jedoch ganz schnell, wenn das gesamte Feld mit in den Blick genommen wird und dieses durchlässig gestaltet wird – von der KiTa-Praxis über Fachberatung und KiTa-Administration bis in die Ebene von Landes-, Bundes- und EU-Politik mit ihren Bildung- und Orientierungsplänen, Gesetzgebungen, Verordnungen und Finanzvergaben. Mehr PraktikerInnen auch in diesen Bereichen würde dem gesamten Feld sicherlich sehr gut tun!

  • Wieviel Mut gehört dazu, sich heute für den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers zu entscheiden?

Heute Erzieherin oder Erzieher in Berufsausbildung oder Studium werden zu wollen, ist sehr verantwortungsvoll und erfordert große Motivation und tatsächlich sogar Mut, weil einerseits die Gesellschaft immer höhere Ansprüche an Bildung, Erziehung und Betreuung von Anfang an stellt und andererseits, weil mittlerweile (fast) alle Fehlentwicklungen des späteren Bildungswesens der Elementarpädagogik zur Last gelegt werden. Es ist somit schon fast eine „Sysiphus–Arbeit“, für alles im weiteren Leben von Mädchen und Jungen wesentlich verantwortlich zu sein u n d gleichzeitig aber keine entsprechende gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen. Dies zeigt sich auch an den ErzieherIn-Kind-Relation, die es in Deutschland im internationalen Vergleich gerade einmal ins untere Mittelfeld schafft. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!

 

Zur Person:

Maria-Eleonora Karsten ist Professorin für Sozialmanagement an der Leuphana-Universität Lüneburg. Sie ist als Studiengangsleiterin zuständig für das Studium der Lehrerinnen und Lehrer für Erzieherinnen und damit für die Ausbildungsqualität dieser Berufsbildungsgänge im Norden. Sie vertritt das Thema der Frühkindlichen Bildung seit nun rund 40 Jahren in Forschung und Lehre und macht sich vom grundständigen Studiengang über den wissenschaftlichen Nachwuchs bis in die Fachgesellschaften und Akkreditierungen dafür stark, dieses gesellschaftliche Feld für Erzieherinnen, für Mädchen und Jungen, ihre Mütter und Väter und für die Gesellschaft besser und angemessener zu sehen, zu bewerten und wertzuschätzen.


Interview: ZDF / Karsten Herrmann