Die Gelingensbedingungen und Stolpersteine der Individuellen Förderung in KiTa und Grundschule standen im Fokus der Tagung „Jedem Kind gerecht werden?“ der Forschungsstelle Begabungsförderung des nifbe in der Osnabrücker Schlossaula.


In ihrem Grußwort unterstrich nifbe-Direktorin Prof. Dr. Renate Zimmer vor den rund 150 TagungsteilnehmerInnen die Chancengerechtigkeit als eines der zentralen Ziele des nifbe: „Wir brauchen von Anfang an ein Bildungssystem, das jedem Kind durch die optimale Entfaltung seiner Begabungen gerecht wird und ihm gute Startchancen in seine zukünftige Bildungs- und Berufsbiographie bietet.“

 

Aus der pädagogischen und psychologischen Perspektive beleuchteten in der Folge die LeiterInnen der nifbe-Forschungsstelle Begabungsförderung, Prof. Dr. Claudia Solzbacher und Prof. Dr. Julius Kuhl, das bildungspolitisch hoch gehandelte Postulat der Individuellen Förderung.

 

Zentrale Komponenten der Individuellen Förderung


So stellte Prof. Dr. Claudia Solzbacher die zentralen Komponenten der Individuellen Förderung vor: Neben den z.B. musisch-ästhetischen oder naturwissenschaftlich-technischen individuellen Begabungsfaktoren, spielten hier übergreifende Persönlichkeitsmerkmale oder Selbstkompetenzen und Umweltmerkmale wie z.B. die Instruktionsqualität von LehrerInnen eine entscheidende Rolle bei der tatsächlichen Umsetzung der Begabungen in Leistung. „Die Selbstkompetenzen wie Selbstvertrauen, Selbstmotivation oder Selbstberuhigung“, so Solzbacher, „bilden dabei die Basis des Lernens.“


Idealtypisch finde die Individuelle Förderung in einem Kreislauf-Prozess aus „Beobachtung / Diagnostik“, „Förder- und Maßnahmenplanung“, „Durchführung“ und „Evaluation“ sowie einer begleitenden kontinuierlichen Dokumentation statt.
 

Individuelle Förderung als Haltung oder Methodik?


In der KiTa- und Grundschul-Praxis, so die Ergebnisse von zwei empirischen Studien der Forschungsstelle, geben 90% der ErzieherInnen bzw. GrundschullehrerInnen an, dass in ihren Einrichtungen individuell gefördert wird. Dabei stünden allerdings vielfältigste Maßnahmen und Ansätze oftmals unverbunden nebeneinanderund persönliche Einschätzungen und der informelle kollegiale Austausch spielten eine Hauptrolle. Während sich in der KiTa Individuelle Förderung eher in einer „erzieherischen Grundhaltung“ wider spiegele, stünden in der Grundschule eher konkrete Fördermaßnahmen m Vordergrund.


Kritisch bewertete Prof. Dr. Claudia Solzbacher die noch weit verbreiteten defizitorientierten Beobachtungsverfahren, die in der Folge Individuelle Förderung oftmals auf den Ausgleich von Defiziten reduziere. Grundsätzlich sehe sich die Individuelle Förderung – insbesondere auch in der auf Selektion, Leistungsvergleich und Standardisierung ausgerichteten Schule - in einem fast unauflösbaren Spannungsverhältnis zwischen der „Sozialnorm“ und der „Individualnorm.“

 

Das „Ich“ und das „Selbst“
 

Aus psychologischer Perspektive untermauerte Prof. Dr. Julius Kuhl, dass Bildung und Individuelle Förderung grundsätzlich auf Beziehungen aufbauten. „Kinder müssen sich in ihren individuellen Besonderheiten wahrgenommen, verstanden und akzeptiert fühlen“. Eine gute Beziehung zwischen Eltern , ErzieherInnen, LehrerInnen und den Kindern stärke die für das Lernen unabdingbaren Selbstkompetenzen wie Selbstvertrauen, Selbstmotivation oder Selbstberuhigung.


Diese Eigenschaften speisten sich in erster Linie aus dem „Selbst“, das Prof. Kuhl mit eindrucksvollen Bilder und Metaphern vom „Ich“ unterschied: So sei das „Ich“ für das analytische und rein sachliche Denken zuständig und verknüpfe einzelne Information Schritt für Schritt, um dann zu einem „Entweder – oder“ zu gelangen. „Das Ich“ so Kuhl, „ist auf zwei Optionen beschränkt“.


Das „Selbst“ basiere dagegen auf Gefühlen und Emotionen und habe die Fähigkeit zu ihrer gleichzeitigen Verknüpfung und Integration. Als „unbewusste Intelligenz“ habe das Selbst einen ganzheitlichen Ansatz und sei die „eigentliche Quelle der Selbstkompetenzen“.


Wie Prof. Dr. Julius Kuhl ausführte, repräsentiere das Selbst auch die für die Individuelle Förderung unabdingbaren Eigenschaften und Fähigkeiten:


• Parallele Verarbeitung
• Integrationsfähigkeit
• Nähe zu Gefühlen
• Sicherheit
• Körperanbindung
 

„Selbstkompetenzen“, so Prof. Dr. Julius Kuhl, „erwachsen aus in guten Beziehungen gemachten Erfahrungen“ und daher sei die Beziehungsarbeit der „Königsweg der Bildung im Allgemeinen und der Individuellen Förderung im Speziellen.“


Nach den Grundsatzvorträgen bekamen die TagunsgteilnehmerInnen in über einem Dutzend Workshops und Austauschforen Einblicke in verschiedene Praxisansätze der Individuellen Förderung und konnten sie gemeinsam diskutieren - von der Portfolioarbeit und Diagnostik über Lernwerkstätten und die pädagogische Haltung bis hin zu Bildungspartnerschaften.


Den Abschluss der Tagung bildete ein „fishbowl“, in dem TeilnehmerInnen in einem „inner circle“ exemplarisch Herausforderungen und nächste Schritte auf dem Weg zur Individuellen Förderung vorstellten. Neben einer „Vernetzung“ und dem „Dialog der Professionen“ stand hier als Grundhaltung das „Vertrauen in die Kinder“ sowie die „Selbstreflexion der pädagogischen Fachkräfte“ im Vordergrund.

 

"Betreuungsgeld ist bildungspolitisch falsches Signal"