Zur (digitalen) Begrüßung unterstrich Dr. Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung, dass die Qualität in der frühkindlichen Bildung entscheidend von der Ausbildung abhänge. Kinder hätten ein Recht auf gute Bildung und diese sei ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit. Dr. Stefan Luther vom BMBF rückte den Transfer zwischen Theorie und Praxis auch als Aufgabe der WiFF in den Fokus. Ziel müsse es sein, „Wissenschaft für die Praxis und Wissenschaft mit der Praxis“ zu betreiben.
Prof. Dr. Bernhard Kalicki vom DJI sprach sich in seinem Grußwort für eine intensive Verschränkung der Lernorte aus: Die in Fachschule und Studium vermittelten allgemeinen Theorien und Konzepte für eine komplexe Praxis müssten in der KiTa unter Anleitung erprobt und reflektiert werden. Für diese Verschränkung der Lernorte müssten alle Beteiligten im System kooperieren – von den KiTas und ihren Trägern über die Fach- und Hochschulen bis hin zur Administration auf Landes- und Bundesebene.
"Praxislernen hat Hochkonjunktur!
In ihrem Auftaktvortrag beleuchtete Wiff-Leiterin Prof. Dr. Fuchs-Rechlin insbesondere auch die neuen dualisierten Ausbildungs- und Studienformate und konstatierte gleich zu Beginn: „Das Praxislernen hat Hochkonjunktur!“ Sie zeigte eine Verdoppelung der Ausbildungszahlen der Fachschulen in den letzten 20 Jahren auf. Dabei würden vergütete dualisierte Ausbildungsformen wie PIA in einigen Bundesländern wie Berlin, Baden Württemberg oder NRW schon bei 50 Prozent und darüber liegen. Bei den kindheitspädagogischen Studiengängen stagnierten die Zahlen nach einem steilen Anstieg zu Beginn in den letzten Jahren bei knapp 4.000, wobei auch hier die dualen und berufsbegleitenden Studiengänge deutlich zunähmen und mittlerweile schon fast die Hälfte ausmachten.Feine, aber signifikante Unterschiede konnte die WiFF-Leiterin im Hinblick auf die Zufriedenheit und Belastung in den unterschiedlichen Ausbildungs- und Studiengangs-Formaten aufzeigen. Grundsätzlich werden demnach über alle Formate hinweg eher die Theorie in Fach- und Hochschule als die Anforderungen der Praxis als Belastung empfunden. Bei den dualisierten Ausbildungs- und Studienformaten sei aber insgesamt eine höhere Belastung zu verzeichnen und Auszubildende und Studierende in diesen Formaten fühlten sich in der Praxis weniger gut begleitet und angeleitet als die in den klassischen Vollzeitformaten. Dennoch gelinge die Verknüpfung von Theorie und Praxis den angehenden Erzieher*innen in dualisierten Formaten am besten.
Verschränkung von Theorie und Praxis
In das komplexe Verhältnis von Theorie und Praxis und ein Verordnungs-Wirrwarr auf Bundes-, Länder- und regionaler Ebene führte Prof. Dr. Anke Karber von der Leuphana Universität in ihrem Vortrag ein. Sie beklagte eine oftmals dualistische Verwendung der Begriffe Theorie und Praxis und plädierte stattdessen für eine enge Verschränkung und einen dialektischen Ansatz. Die stetige Verschränkung von theoretischem Wissen und berufspraktischen Handeln sei die Voraussetzung für die anzustrebende Professionalisierung des Feldes.Die Expertin für Berufsbildung und Didaktik in der Sozialpädagogik verdeutlichte, dass auch in den Fach- und Hochschulen mit der Lernfeld- und Handlungsorientierung selber schon eine stetige Verknüpfung von Theorie und Praxis stattfinde. Als „didaktisches Grundprinzip“ werde dies z.B. durch berichtete Praxis, Fallbeispiele, forschendes und reflektierendes oder auch biografisches Lernen realisiert. Es ginge hier um ein sinnhaftes „ganzheitliches Lernen in vollständigen Handlungsvollzügen“, das häufig auch mit kooperativem und selbstgesteuertem Lernen verknüpft werde.
Am Lernort Praxis, so führte Anke Karber unter Rückgriff auf eine empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.e Studie zur Sicht von Lehrer*innen weiter aus, soll das in Fach- und Hochschule Erlernte dann „im Tun erlebt“ werden: „Gelerntes kann angewendet, erprobt, beobachtet oder überprüft werden“ und so auch die Entwicklung einer beruflichen Identität unterstützen.
Verwirrende verordnungsrechtliche Vielfalt
Auf der strukturellen Ebene des Systems der Ausbildung führte sie den Tagungsteilnehmer*innen eine durchaus verwirrende „verordnungsrechtliche Vielfalt“ vor Augen – vom Rahmenlehrplan auf Bundesebene über die 16 bundeslandspezifischen Rahmenrichtlinien und die Verordnungen für den Lernort Praxis bis hin zu den unzähligen schul- und trägerspezifischen Konzepten. Sie konstatierte hier eine „mangelnde ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden. “ und forderte auf den administrativen Ebenen eine bessere Abstimmung im System und über die Systemgrenzen hinweg. Sinnvoll sei hier auch eine Festlegung von Standards der Praxisbegleitung über eine Verankerung in einem „Nationalen Kriterienkatalog für die pädagogische Qualität beruflicher Bildung“. Anke Karber forderte schließlich auch im Hinblick auf vollzeitschulische Ausbildung mehr Verantwortung für die Praxisbegleitung am Lernort und die Integration des Lernorts in die Organisationsentwicklung der sozialpädagogischen Einrichtungen.Der erste Kongresstag wurde mit einer von Anne-Katrin Pietra vom Bundesnetzwerk Fortbildung und Beratung in der Frühpädagogik eingeführten Open Space-Phase beendet. Hier wurden von Tagungsteilnehmer*innen vielfältige Themenvorschläge rund um Ausbildung, Studium, Praxisbegleitung und Mentoring eingebracht und gemeinsam miteinander diskutiert.
Nach einem interaktiven Warm up startete der zweite Kongresstag mit einem Vortrag von Prof. Dr. Barbara Lochner von der FH Erfurt zu „Praxisanleitung und Mentoring als Teamaufgabe“. Ziel der vielfach synonym gebrauchten Begriffe Praxisanleitung und Mentoring sei die „praktische Unterstützung, um kritische Hürden erster Berufserfahrung zu meistern“. Als Grundlage dafür gelte die „vertrauensvolle, verlässliche Beziehung zu einer Bezugsperson“. Aber, so ergänzte die Professorin für Pädagogik der Kindheit mit dem Schwerpunkt Leiten und Führen, auch das Team sei als Lerngemeinschaft für die „reflection in action“ unerlässlich. Aufgrund der sehr heterogenen Ausgangslagen und Bedürfnisse von Auszubildenden könne eine Person alleine den Anforderungen nicht gerecht werden. Das Team könne und solle als Lernumfeld genutzt werden, um über die dann deutlich werdenden Spannungen und Widersprüche auch Innovationspotenziale freizusetzen. Allerdings bilde das Team derzeit noch häufig eine fachliche Grenze für Azubis, durch die Potenziale nicht ausgeschöpft werden können.
Grundsätzlich verwies Barbara Lochner auf die „hohe Bedeutung des Teamklimas für die Arbeitszufriedenheit“. Für die Bildung einer Gemeinschaft, die Zugänge und Teilhabe ermögliche, sei Kommunikation und Aushandlung entscheidend. Das Praxismentoring sollte dabei als Bestandteil des pädagogischen Alltags und des gesamten Aufgaben-Tableaus gesehen werden.
Als (hypothetisch gebildete) Voraussetzungen bzw. Kompetenzen für das Team bei der Praxisbegleitung führte Barbara Lochner folgende an:
- Gemeinsame Planung und Zieldefinition (Konflikte im Team, die zu widersprüchlichen Anweisungen führen, beeinträchtigen die Praxisbegleitung)
- Offenheit für unterschiedliche Rollen und Aufgabenprofile
- Gelebte Fehler- und Kritikkultur
- Reflexiver Bezug zum pädagogischen Alltagshandeln
- Anerkennung der Praktikant*innen / Azubis im Team; Zugehörigkeit vermitteln
Vertieft werden konnten die in den Hauptvorträgen angerissenen Themen- und Spannungsfelder sowie auch Baustellen in fünf verschiedenen Workshops, die jeweils durch eine/n Vertreter/in der Praxis und der Wissenschaft eingeführt wurden. Im Fokus standen hier beispielsweise Konzepte und Rahmenbedingungen für Lernort-Kooperationen, die Kompetenzen und die Qualifizierung von Praxismentor*innen oder auch die Rolle von Leitung und Träger bei der Ausgestaltung des Lernortes Praxis.
Seinen Abschluss fand der WiFF-Bundeskongress schließlich mit einem höchst amüsanten Impro-Theater, bei dem zentrale Stichworte der Tagungen und Workshops in unterschiedlichen Genres performativ und hintersinnig auf die Bühne gebracht wurden.
Karsten Herrmann