
In zwei digitalen Grußworten würdigten die Bundesministerinnen Lisa Paus und Bettina Stark-Watzinger die kindheitspädagogischen Studiengänge als „Meilenstein für die ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden. des Berufsfeldes“ und unterstrichen die Bedeutung der frühen Jahre, denn „Die Würfel fallen früh“. Eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung sei daher auch entscheidend für die Chancengerechtigkeit.

So konnte im Sommersemester 2004 der erste bundesweite Modellversuch an der ASH Berlin unter dem Namen „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ starten. Ab 2006 brachte dann das „Profis in Kitas“-Projekt der Robert Bosch Stiftung einen weiteren Schub für die Akademisierung.
Vom Qualifikationsrahmen zum Kerncurriculum
Wie Rahel Dreyer weiter ausführte, formulierte die Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit (BAG-BEK) aufgrund der großen Unterschiedlichkeit der rasant neu entstehenden Studiengänge 2009 einen „Qualifikationsrahmen“ mit unverzichtbaren inhaltlichen Kernelementen und plädierte für die Bezeichnung der Absolvent*innen als „Kindheitspädagog*innen“. 2010 folgten dann der „Gemeinsame Orientierungsrahmen Bildung und Erziehung in der Kindheit“ von JFMK und KMK und 2011 eine Matrix der Robert Bosch Stiftung für ein erweitertes Qualifikationsprofil. 2022 wurde schließlich vom Studiengangstag u.a. zusammen mit der BAG-BEK ein Kerncurriculum verabschiedet. Als Kernkompetenzen führte sie u.a. folgende Punkte aus:- Selbstverständnis als Angehörige einer Profession
- Gesellschaftskritisches Bewusstsein und Übernahme von Verantwortung
- Kritisch-reflektierter Umgang mit normativen Vorgaben und ‚Rezeptwissen‘ / Transferkompetenz
- Forschende Haltung
- Selbst-reflexiver Umgang mit den eigenen, biografisch geprägten Deutungsmustern, Wert- und Handlungsorientierungen und professioneller Umgang mit Dilemma-Situationen
- Orientierung an einer prinzipiellen Begründungsverpflichtung pädagogischen Handelns
„Kindheitspädagog*innen“, so unterstrich Rahel Dreyer, „sind ein maßgeblicher Faktor für die Professionalisierung der frühkindlichen Bildung“ und seien heute in allen Bundesländern außer Bremen und Rheinland-Pfalz staatlich anerkannt. Zugleich sei aber ab Mitte der 2010er Jahre eine „Stagnation“ bei der Anzahl der Studiengänge und der Absolvent*innen zu beobachten.
Berufspolitische Stärkung einer "Profession im Werden"
Als zentrale Herausforderungen beschrieb sie die nicht vorhandenen klaren Karrierewege für Kindheitspädagog*innen, die nicht vorhandene tarifliche Honorierung ihrer akademischen Kompetenzen und die noch immer nicht nachhaltig etablierte Berufsbezeichnung. Dringend erforderlich sei daher neben dem gerade in Anbetracht des Fachkräftemangels unabdingbaren Ausbaus der Studienplätze sowie der Forschungskapazitäten auch eine „berufspolitische Stärkung dieser Profession im Werden“.In einem digitalen Intermezzo wurden auf der Tagung Statements von Studierenden und Absolvent*innen der Kindheitspädagogik eingespielt. Auf den Punkt brachte es dabei die heutige Autorin, Weiterbildnern, Bloggerin und Podcasterin Kathrin Hohmann:
„Ein Studium, das unter die Haut geht und der Beginn einer großen Leidenschaft“.
Statistische Spotlights rund um die kindheitspädagogischen Studiengänge lieferte in einem Online-Vortrag Dr. Christiane Meiner-Teubner von der TU Dortmund, die kurzfristig für die erkrankte WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern.-Leiterin Prof. Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin eingesprungen war. Sie konstatierte einen Rückgang der Absolvent*innenzahlen zwischen 2018 und 2021 von gut 2600 auf rund 2150 und begründete diesen u.a. mit der Coronapandemie. Insgesamt seien rund 26.000 Kindheitspädagog*innen ausgebildet worden, wovon aktuell allerdings nur rund die Hälfte in der Kinder- und Jugendhilfe tätig seien – und davon wiederum 85 Prozent in der KiTa und 2 Prozent als Fachberater*innen.
Zwischen Leitung und Ergänzungkraft
Mit Blick auf die konkreten Aufgabenbereiche in der KiTa führte die Forscherin aus, dass 21 Prozent als Leiter*innen tätig sind, 34 Prozent als Gruppenleiter*innen und 26 Prozent als Zweit- bzw. Ergänzungskraft. Letzteres stufte sie angesichts der akademischen Ausbildung als durchaus „erstaunlich“ ein.Im Resümee unterstrich Christiane Meiner-Teubner, dass „Kindheitspädagog*innen „eine nicht mehr wegzudenkende Gruppe in der Kinder- und Jugendhilfe sind – allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau“. Sie empfahl gerade im Hinblick auf diese Akademiker*innen „mehr Aufstiegschancen“ zu schaffen. Immerhin setzten so schon vier Bundesländer (Thüringen, Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg) ein (kindheitspädagogisches) Studium für eine Leitungstätigkeit in der KiTa voraus.

In einer interdisziplinären Runde diskutierten Expert*innen im Anschluss die möglichen Aufgabenbereiche und Stärken von Kindheitspädagog*innen. Eleonore Hartl-Grötsch von der Stadt Regensburg brach eine Lanze für ihre Kompetenzen und sah sie in einer „Schlüsselfunktion für die Qualitätsentwicklung“. Sie übernähmen mit ihren wissenschaftlichen Expertise und ihren reflexiven Kompetenzen auch eine „Dolmetscherfunktion“ zwischen den verschiedenen Ebenen des Systems. Kindheitspädagog*innen seien allerdings viel zu wenig sichtbar und das KiTa-System nutze ihre Stärken zu wenig.
Wie das gelingen kann, zeigte die in einer KiTa u.a. als Multiplikatorin für Qualitätsentwicklung tätige Kindheitspädagogin Romina Krüger auf. Sie berichtete von einer guten Zusammenarbeit mit den Erzieher*innen in der KiTa, in der sie auch immer wieder ihre im Studium erlernten konzeptionellen Fähigkeiten einsetzen könne – so zuletzt in einem Projektantrag für die Förderung einer KiTa-Sozialarbeiter*in.
Als BAG-BEK-Vorsitzende unterstrich Prof. Dr. Tina Friederich im Hinblick auf derzeitige Tendenzen, auch unqualifizierte Fachkräfte in die KiTa zu holen: „Wenn wir nach unten aufmachen, brauchen wir umso mehr die Akademisierung nach oben“. Grundsätzlich unterstrich sie die Notwendigkeit, sich interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten. zu vernetzen und auszutauschen und „gemeinsam wirksam zu werden“.
Stärken sichtbar machen und Wirkungsfelder schaffen
Einig waren sich die Diskutant*innen, dass die Stärken von Kindheitspädagog*innen stärker sichtbar gemacht werden müssten und Träger gezielt „Wirkungsfelder“ für sie schaffen sollten. Doreen Siebernik von der GEW forderte entsprechend auch, die Kindheitspädagog*innen explizit in das Tarifsystem mit aufzunehmen.
Dafür hatten sie im Vorfeld eine grundlegende „Kartografierung und Sortierung“ der bisher vorhandenen und diskutierten fachlichen Grundlagen, Methoden und Praxis vorgenommen – vom Anspruch des „forschenden Habitus“, der „Biografiearbeit“ und „Persönlichkeitsentwicklung“ über „Lernwerkstätten“ und „Fachdidaktiken“ bis zu den Herausforderungen und Fallstricken eines doppelten oder gar dreifachen Theorie-Praxis-Bezugs. Zu beklagen sei, dass es bisher nur vereinzelte empirische Erkenntnisse zur kindheitspädagogischen Hochschuldidaktik gebe.
Vom "forschenden Habitus" bis zum doppelten Theorie-Praxis-Bezug
Die Forscher*innen unterstrichen jedoch grundsätzlich, dass eine kindheitspädagogische Hochchuldidaktik sich interdisziplinär aus verschiedenen Quellen wie der Erziehungswissenschaft, Sozialpädagogik und anderen Bezugswissenschaften speisen müsse und es weniger um Abgrenzung, als vielmehr um ein „Spezifizierung“ gehe. Zu unterscheiden sei aber eine „fachübergreifende“ und eine „fachimmanente“ Hochschuldidaktik. Im Hinblick auf die Gestaltung des Lernorts Hochschule plädierten die NetKiD-Vertreter*innen für eine „Lerngemeinschaft aus Studierenden und Lehrenden“.
Träger mit Wunsch nach Praxistauglichkeit
Im Hinblick auf die Wünsche der Träger konnte Susanne Viernickel anhand kleinerer Studien berichten, dass diese sich vom Studium der Kindheitspädagogik ganz besonders „Praxiserfahrung und -kompetenz“ sowie den „Erwerb von Führungs-, Organisations- und Beratungskompetenz“ wünschen. Als nicht so entscheidend stuften sie den „forschenden Habitus“ und die „Selbstreflexionsfähigkeit“ ein, die wiederum aus Sicht der Absolvent*innen neben der Persönlichkeitsentwicklung zentral sind. „Es gibt hohe und auch unterschiedliche Erwartungen an Kindheitspädagog*innen, die in einem Studium alleine nicht alle zu erfüllen sind“ fasste Susanne Viernickel zusammen.Im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Studiengänge gebe es sowohl Argumente für eine Homogenisierung wie auch für PluralitätPluralität|||||Pluralität bezeichnet die Koexistenz von Vielfalt. In der heutigen Gesellschaft bedeutet das, dass es häufig vielfältige, individuelle Interessen und Lebensstile, Bildungswege, Familienkonstellationen etc. in der Gesellschaft geben kann. und Profilbildung. Einen Minimalkonsens stellten die vorhandenen Qualifikationsprofile und das Kerncurriculum dar. Übergreifend müssten gemeinsam geteilte pädagogische Orientierungen und Werte gelten wie z.B. der ressourcenorientierte Blick auf das Kind oder eine DiversitätDiversität|||||siehe Diversityssensibilität.
Studiengänge als Möglichkeitsräume
Letztlich sah Susanne Viernickel die Kindheitspädagogik auch in einem Spannungsfeld zwischen einem „transformatorischen Auftrag“ und einer „möglichst reibungslosen Praxistauglichkeit und Systemkonformität“. Sie selbst plädierte dafür, die Studiengänge auch als „gedanken- und handlungsexperimentelle Möglichkeitsräume“ und damit auch als ein Laboratorium für die konsequente Weiterentwicklung der Kindheitspädagogik zu nutzen.
Karsten Herrmann