Nach der Begrüßung durch Simon Brandmaier von ver.di umriss der stellv. BAG-BEK-Vorsitzende Dr. Karsten Herrmann die Krisen und Herausforderungen der vergangenen Jahre im KiTa-Feld – von der ersten Flüchtlingswelle 2015/16 über die Corona-Pandemie bis hin zum akuten Fachkräftemangel, von der Sprach- und Medienbildung und den Umgang mit einer zunehmenden Heterogenität bis hin zum Großprojekt der Inklusion. Zugleich sei die Bildung und Qualität in den KiTas in den Hintergrund und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Vordergrund getreten: „Die KiTas sollen irgendwie am Laufen gehalten werden und das zunehmend auch mit nicht oder nur gering qualifizierten Hilfs- und Assistenzkräften“. In diesen gesellschafts- wie bildungspolitisch unübersichtlichen Zeiten sei ein professionelles Selbstverständnis und ein wertegeleiteter innerer Kompass für Fachberatung „wichtiger denn je“ und hier solle die Tagung „neue Impulse und Ansätze“ geben.
Im Auftaktvortrag beleuchtete Prof. Dr. Johanna Mierendorff von der Uni Halle eine „Kindheit im Wandel“ und das „Aufwachsen in diversen Gesellschaften“. Die Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin konstatierte eine „umfassenden Wandel der Kindheit“ und eine „Heilserwartung an die Frühe Bildung“, die die Fachkräfte bei gleichzeitig oft ungenügenden Rahmenbedingungen unter einen „hohen Druck“ setzten.
KiTa-Biographie als Regel
Grundsätzlich beschrieb sie Kindheit in unseren westlichen Gesellschaften als „eine lange behütete Lebensphase und Schutzraum“. Durch den demographischen Wandel und eine immer niedrigere Geburtenrate fehlten Kinder aber zunehmend freie Räume und die (politische) Stimme. Zugleich seien die Eltern durch Berufstätigkeit und hohe Bildungserwartungen im Hinblick auf ihre Kinder „überfordert“. Mit dem Rechtsanspruch und hohe Betreuungsquoten in Krippe und Kindergarten sei die „Kita-Biographie“ heute die Regel und alles andere sei begründungsbedürftig. Kennzeichnend für Kindheit seien daneben aber auch eine „organisierte Freizeit“ sowie (Medien-) Konsum.Wie Johanna Mierendorff ausführte, sei Kindheit heute nicht zuletzt durch Flucht, Migration und Armut durch „sozial und kulturell sehr unterschiedliche Lebenslagen“ geprägt. Die „Bildungskindheit“ in KiTas und ihre kompensatorischer Anspruch diene dabei auch als „Risikominimierungsstrategie“. Auch wenn Familie für Kinder zentral bleibe, müsse das Verhältnis und die Aufgabenteilung zwischen Eltern und institutioneller Kindertagesbetreuung“ genau in den Blick genommen und neu definiert werden.
Im Anschluss stellte Jule Marx als Vorstandsmitglied der BAG-BEK zunächst die AG Fachberatung der BAK-BEK als zentrale Austausch- und Vernetzungsplattform auf Bundesebene vor. Ziel der AG Fachberatung sei es, den Professionalisierungsprozess der Fachberatung voranzutreiben und sich durch Stellungnahmen im Professionalisierungsdiskurs auf Bundesebene zu positionieren – z.B. im Hinblick auf die Anerkennung als eigenes Handlungsfeld im Gute KiTa-Gesetz und eine gesetzliche Verankerung auf Bundes- und Länderebenen.
Selbstverständnis von Fachberatung als Meilenstein
Als Meilenstein führte die Sprecherin der AG Fachberatung das in einem großen partizipativen Prozess von 2017-2019 entwickelte professionelle „Selbstverständnis von Fachberatung“ an. Formuliert werden hier u.a. „Grundsätze professioneller Ethik“, die „Formen und Inhalte des beruflichen Handelns“ und die „Adressat*innen des beruflichen Handelns“. Es biete so auch einen wichtigen Kompass für das professionelle Handeln und habe auch für Träger oder LAG’s Vorbildcharakter.Jule Marx unterstrich: „Eine in dieser Weise ausgearbeitete Selbstbestimmung der Akteur*innen gibt explizit und konkret Auskunft über die Praxis von Fachberatung und verhilft so, den Zuschreibungsdiskurs aufzulösen und den Professionalisierungsdiskurs zu erweitern.“
Auf der Folie des Auftaktvortrags und des BAG-BEK-Selbstverständnisses von Fachberatung wurden in drei Arbeitsgruppen mögliche Schlussfolgerungen für das fachberaterische Handeln in unsicheren und herausfordernden Zeiten diskutiert.
Ist weniger mehr?
Diskutiert wurde so angesichts der vielen zusätzlichen Erwartungen und einer prekären Gesamtlage der KiTas und ihrer Fachberater*innen an u.a. die Frage „Ist weniger mehr?“ Wie kann es mit einem wertegeleiteten inneren Kompass und dem Kind als Ausgangs- und Zielpunkt der Arbeit gelingen, die Komplexität zu reduzieren und Themen zu sortieren bzw. priorisieren? Dazu gehöre u.a. auch ein Ausloten der Spielräume und eine Auftragsklärung mit dem Arbeitgeber.Klar herausgestellt wurde, dass Fachberatung nicht nur auf Erwartungen von außen (gesamtgesellschaftlich, bildungspolitisch, trägerseits) reagieren, sondern gestalten und sich seiner eigenen Selbstwirksamkeit vergewissern sollte. Auch hierfür müssen zwei entscheidenden Fragen geklärt werden: Was wollen wir? Und: Wie soll Kindheit heute gestaltet werden?
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