Der mittlerweile 9. Fachtag des nifbe für niedersächsische Fachberater*innen nahm unter dem Titel „Still loading… - Perspektiven für die Kita-Fachberatung“ das für die frühkindliche Bildung hochaktuelle Thema der Digitalisierung und der Medienbildung in den Fokus. Moderiert wurde die Tagung von nifbe-Transfermanagerin Mirela Schmidt, die den Fachtag auch als einen von verschiedenen Bausteinen des nifbe zur systematischen Vernetzung und zum fachlichen Austausch der niedersächsischen Fachberater*innen einordnete.

erhornIn seinem Grußwort unterstrich der nifbe-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Jan Erhorn die vielschichtigen und komplexen Aspekte des Themas Digitalisierung und Medienbildung. Betroffen davon seien alle Beteiligten im KiTa-System: von den Kindern und Eltern über die Fachkräfte und Träger bis hin zur Aus- und Weiterbildung. Der Fachberatung als Schnittstelle zwischen Praxis und Wissenschaft komme dabei eine besondere Rolle in der Impulsgebung, Begleitung und Konzeptentwicklung zu. In Analogie zu den digitalen Erfahrungen in der Corona-Pandemie macht er Mut für diesen Prozess: „Zunächst ist ein Schritt ins Ungewisse notwendig, um mit Neuem in Kontakt zu kommen. Nach und nach fühlt man sich auf dem zunächst unsicheren Terrain heimisch, entwickelt ein gewisses Können und kann eine positive Einstellung und Haltung herausbilden.“

Mit einem „Update“ informierte nifbe-Referent Peter Keßel die knapp 80 Teilnehmer*innen des Fachtages über aktuelle Entwicklungen im Feld der Fachberatung – vom scharf kritisierten Ende des Bundesprogramms „Sprach-KiTas“ mitsamt den entsprechenden Fachberatungen über neue WiFF-Publikationen bis zum gerade abgeschlossen dritten Durchgang der nifbe-Qualifizierung für Fachberater*innen. Er berichtete auch über die gemeinsam vom nifbe und der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit (BAG-BEK) durchgeführten bundesweiten Fachberater*innen-Befragung. Deren Ergebnisse werden in einem digitalen Vortrag am 14.09. vorgestellt.

"Primat des Pädagogischen"

kutscherIn ihrem Auftaktvortrag unterstrich Prof. Dr. Nadia Kutscher von der Universität Köln die „umfassende Digitalisierung der Lebenswelten“ und ein zugleich „oftmals unbewusstes und nicht reflektiertes Nutzungsverhalten“. Unabdingbar sei daher eine „Sensibilisierung der pädagogischen Fachkräfte“ für das Thema digitale Medien, dass für die KiTa auf drei Ebenen bedeutsam sei: Als pädagogisches Werkzeug, als Dokumentations- und als Verwaltungsinstrument. Es gelte den Einsatz digitaler Medien in der KiTa kritisch zu reflektieren und dabei immer nach dem Mehrwert zu fragen. Grundsätzlich sei Medienbildung in der KiTa auch ohne den gleichzeitigen Einsatz (digitaler) Medien möglich.

Im Hinblick auf die Forschung zu diesem Thema konnte Nadia Kutscher eine „hohe Kontinuität der Ergebnisse“ konstatieren. So gebe es bei Fachkräften eine große Unklarheit, was Medienbildung überhaupt sei und zugleich nehme die technische Ausstattung in den KiTas immer weiter zu. Ein noch wenig beachtetes Thema sei die „digitale Ungleichheit“ sowohl in Bezug auf die Kinder wie auch auf die Eltern und Fachkräfte.

Aus ihrem eigenen Modellprojekt „Digitale Medien in der frühkindlichen Bildung“ berichtete die Erziehungswissenschaftlerin von „sehr unter unterschiedlichen Wegen der Auseinandersetzung der KiTa-Teams“ mit diesem Thema. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Leitung und die Team-Kultur sowie auch das jeweils vorhandene Bild vom Kind – wird dieses eher als kompetent und als „digital native“ oder eher als bedürftig oder als gefährdet angesehen? Daran knüpften sich viele pädagogische Fragen.

Wie in den anderen Forschungsbefunden zeigte sich aber auch in diesem Projekt, dass es „eine hohe Unsicherheit der Fachkräfte“ im Hinblick auf Datenschutz und die Zusammenarbeit mit Eltern und insbesondere auch beim Medieneinsatz im pädagogischen Alltag gebe. Zum letzten Punkt gab Nadia Kutscher den Tipp, sich zusammen mit den Kindern auf den Weg zu machen und zu lernen. Zu beachten sei, Medien nicht um ihrer selbst willen  einzusetzen, sondern immer das „Primat des Pädagogischen“ zu verfolgen.

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Systemischer Blick notwendig

Im Hinblick auf die Aufgaben der Fachberatung beim Thema Medienbildung unterstrich Nadia Kutscher die Bedeutung des systemischen Blicks auf die verschiedenen Akteure und Ebenen des Systems. Insbesondere gelte es Fachkräfte zu sensibilisieren und ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Thema zu begleiten, die Medienbildung als Querschnittthema in den pädagogischen Alltag einzubetten und mit dem Team ein entsprechendes Konzept zum Medieneinsatz und zur Mediendidaktik zu entwickeln. Unabdingbar sei dabei auch die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern. „Digitalität“, so resümierte sie, „sollte konsequent aus der Perspektive pädagogischer Fachlichkeit verstanden und gestaltet werden“.

"Es geht nur noch um die Frage des 'Wie'"

klocke copyIn einem zweiten Fachvortrag stellt Karla Klocke vom Niedersächsischen Kultusministerium die Ergebnisse einer Fachberater*innen-Befragung zum Thema Medienbildung vor. Auch sie unterstrich einleitend die Bedeutung der Themas, denn die digitalen Medien seien Teil der Lebenswelt der Kinder. Daher könne es für KiTas auch nicht mehr um das „Ob“, sondern nur noch um das „Wie“ gehen. Kinder müssten fit gemacht werden „für einen kreativ-kompetenten und mündigen Umgang mit Medien“.

In der vorgestellten Befragung waren die Einstellungen und Haltungen von Fachberater*innen zum Thema Medienbildung sowie die vorhandenen Ressourcen und Herausforderungen abgefragt worden. Rund 250 niedersächsische Fachberater*innen hatten sich an der Befragung beteiligt.

Wie Karla Klocke ausführte, berät und begleitet rund die Hälfte der Befragten ihre KiTas bereits zum Thema Medienbildung, beispielsweis durch Fortbildungen, Hospitation oder Konzeptentwicklung. In knapp einem Drittel der KiTas gibt es demnach schon Konzepte zum Thema Medienbildung als Entwurf oder in der Entwicklung.

Knapp drei Viertel aller Befragten sind der Meinung, dass die (digitale) Medienbildung als Querschnittthema in der KiTa verankert werden sollten, viele fühlen sich selbst aber noch nicht ausreichend kompetent beim Thema. Als wichtigste Kompetenzen der Fachkräfte wurde „eigenes pädagogisch-didaktisches Handwerkszeug, um mit Kindern einen kritischen und reflexiven Umgang zu üben“ sowie die „Fähigkeit, Medien als Informationsquelle und zum Lernen nutzen zu können“ benannt.
Im Hinblick auf die Herausforderungen nannten die Befragten insbesondere den „Mangel an zeitlichen Ressourcen“, einen „sehr hohen Qualifizierungsbedarf“ sowie eine „große Unsicherheit im Hinblick auf Nutzen und Ziele der digitalen Medienbildung“ sowie den Bildungsauftrag an sich.

Mangelnde Zeit und hoher Qualifizierungsbedarf

Wie Karla Klocke im Hinblick auf den Qualifizierungsbedarf erläuterte, wird derzeit mit einer Expert*innen-Gruppe, dem auch das nifbe angehört, ein Rahmencurriculum für eine entsprechende Weiterbildung für Fachkräfte entwickelt. Zudem sei eine niedrigschwellige digitale Vortragsreihe des Kultusministeriums zum Thema Medienbildung gestartet und über die Richtlinie „KIM“ werde eine Vielzahl an Qualifizierungen und Projekten gefördert.


Fachkräftemangel mit dramatischen Folgen

Am Nachmittag tauschten sich die Tagungs-Teilnehmer*innen in Kleingruppen zu verschiedenen aktuellen Aspekten im Feld der frühkindlichen Bildung aus – unter anderem auch zum Thema Fachkräftemangel. Hier wurde noch einmal deutlich, wie dramatisch der Fachkräftemangel mittlerweile in den KiTas ist und zu welchen Belastungen er führt: „Die KiTas stehen mit dem Rücken zur Wand“, „Wir sind am Limit“ oder „das System steht vor dem Kollaps“ hieß es von den Fachberater*innen - und dabei drohe nicht nur die Bildung auf der Strecke zu bleiben, sondern auch das Wohl der Kinder und die Gesundheit der Fachkräfte. Als Konsequenz würden viele Träger schon Gruppen schließen oder die Öffnungszeiten verringern. Geradezu schockierend waren die Berichte darüber, dass immer mehr KiTas die Verträge für herausfordernde Kinder kündigen und Kinder aus bestimmten sozi-ökonomischen Verhältnissen erst gar nicht aufnehmen würden – ein eklatanter Bruch des kindlichen Rechtes auf Nicht-Diskriminierung und Inklusion, der der aktuellen Belastungssituation geschuldet ist und der den dringenden politischen Handlungsbedarf zur Unterstützung und Entlastung der Fachkräfte unterstreicht.

Karsten Herrmann

Tipp zum Weiterlesen:

Kinderrechte in der Kita im Kontext von Digitalität und Digitalisierung

Download Präsentation Karla Klocke