Offener Brief an Familienministerin Paus

Mit einem offenen Brief wenden sich die Kita-Fachkräfteverbände Deutschlands mit ihrem Anliegen an Bundesfamilienministerin Paus. Alle Verbände fordern, dass es endlich um Qualität statt um Quantität gehen muss. Sie erwarten, dass der Fachkraft-Kind-Schlüssel endlich den wissenschaftlichen Mindestanforderungen entspricht. Kein Bundesland hat trotz der Gelder aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ die vom Bund festgelegten Schwellenwerte für den Fachkraft-Kind-Schlüssel flächendeckend umgesetzt.

Hier der Wortlaut des Offenen Briefes:


Sehr geehrte Frau Bundesfamilienministerin Paus,

die Kita-Fachkräfteverbände der Bundesländer begrüßen Ihre Pläne für ein Kita-Qualitätsgesetz, das an den Bemühungen des „Gute-Kita-Gesetzes“ anknüpft.

Laut aktuellem Ländermonitor der Bertelsmann Stiftung haben fast 73% aller deutschen Kita-Kinder keine kindgerechten Personalschlüssel in ihrer Einrichtung. Es geht daher nicht um die Verbesserung eines akzeptablen Niveaus, sondern um die Etablierung kindgerechter Rahmenbedingungen.
Im Vertrag zum „Gute-Kita-Gesetz“ der Bundesländer mit dem Bund (Seite 7 Anlage 2 Handlungsfeld 2 – Fachkraft-Kind-Schlüssel) werden Schwellenwerte für altersspezifische Fachkraft-Kind-Schlüssel hergeleitet, unterhalb derer die Gefahr besteht, dass die pädagogische Qualität leidet und die Bedürfnisse der Kinder nicht mehr angemessen berücksichtigt werden können.

Diese Schwellenwerte sollen den Ländern als Orientierung bei der Gestaltung ihres Fachkraft-Kind Schlüssels dienen. Genannt werden für Kinder von:
  • 0-1 Jahr: eine Fachkraft für 2 Kinder
  • 1-3 Jahren: eine Fachkraft für 3-4 Kinder
  • 3 Jahren bis Schuleintritt: eine Fachkraft für 9 Kinder
  • 2-6 Jahre: Es ergibt sich eine Mischkalkulation von einer Fachkraft für 6 Kinder
Daneben gibt es wissenschaftliche Mindestanforderungen an eine gute Kita-Qualität (siehe Bertelmann Ländermonitor 2021) wie folgt:
  • 0-1 Jahr: eine Fachkraft für 2 Kinder
  • 1-3 Jahre: eine Fachkraft für 3 Kinder
  • 3-6 Jahre: eine Fachkraft für 7,5 Kinder
  • 2-6 Jahre: Es ergibt sich eine Mischkalkulation von einer Fachkraft für 4,9 Kinder
Kein Bundesland hat trotz der Gelder aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ die Schwellenwerte für den Fachkraft-Kind-Schlüssel flächendeckend umgesetzt. In den meisten Bundesländern werden Kita-Kinder mit BetreuungsschlüsselBetreuungsschlüssel||||| Der Betreuungsschlüssel gibt an wieviele Personen, für die Betreuung anderer Personen zur Verfügung stehen. Es wird meist in dem Format angegen 1:n, um zu verdeutlichen, dass eine Persone für eine bestimmte Anzahl n Personen zuständig ist. Der Betreuungsschlüssel wird auch als Personalschlüssel angegeben, oder im Bereich der Schule, als Klassengröße. Bei Vorgaben zu Betreuungsschlüssel spielen auch die Qualifikationen der betreuuenden Personen  eine Rolle. n betreut, die weit unterhalb dieser Werte liegen. Auch im Hinblick auf die Schulkindbetreuung in Schülerhorten wären verbindliche Mindeststandards bezüglich kindgerechter Personalschlüssel und Räumlichkeiten wichtig. Kindertagesbetreuung endet nicht mit dem Schuleintritt.

Das Kita-System ist überlastet. Schlechte Arbeits- und Rahmenbedingungen verschärfen seit Jahren den immer weiter zunehmenden Fachkräftemangel. Es finden sich nicht genug junge Leute, die in der Kita arbeiten wollen und altgediente Kräfte verlassen resigniert das Arbeitsfeld. Gute frühkindliche Bildung und bedürfnisorientierte Betreuung sind unter diesen Bedingungen nur eingeschränkt leistbar.
Ein Kita-Qualitäts-Gesetz, das seinem Namen gerecht wird, muss daher den Schwerpunkt auf kindgerechte Betreuungsschlüssel richten. Langfristig wird man dem Fachkräftemangel nur begegnen können, wenn die Arbeitsbedingungen gewährleisten, dass Kita-Fachkräfte ihren Aufgaben und Anforderungen im Sinne der Kinder gerecht werden können.

Kinder im Kleinkind- und Kindergartenalter lernen im Kontext von Beziehung. Gute Frühpädagogik braucht Zeit, mit den Kindern die Welt zu entdecken, ihre Fragen und Interessen aufzugreifen und daraus mit den Kindern spannende Angebote und Projekte zu entwickeln. Auch Sprachförderung gelingt dann am besten, wenn Fachkräfte sich den Kindern zuwenden können, Zeit zum Zuhören haben und die Tätigkeiten der Kinder sprachlich begleiten können.

Die Kita-Fachkräfteverbände plädieren dafür, dass die Länder erst dann für weitere Handlungsfelder Geld bekommen, wenn sie die Schwellenwerte einer kindgerechten Personalisierung umsetzen.
Ist dieses Ziel erreicht, sind zur Verbesserung der pädagogischen Qualität insbesondere auch die Handlungsfelder Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte, Stärkung der Leitung und Verbesserung der räumlichen Gestaltung wichtig.

Bevor Geld des Bundes in das „Handlungsfeld Beitragsfreiheit“ fließt, muss es zuerst um eine pädagogische Qualität nach den wissenschaftlichen Mindestanforderungen gehen. Die Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass zur Etablierung kindgerechter Personalschlüssel und angemessener Leitungszeiten jährlich 6 Milliarden Euro nötig sind.

Ausführliche Infos zum Thema kindgerechte Kita-Rahmenbedingungen finden Sie in unserem verbandsübergreifenden Positionspapier (siehe Anhang). Die Mittel des Bundes müssen dauerhaft bereitgestellt werden, um langfristig Qualität zu verbessern und zu sichern.

In den ehrenamtlich arbeitenden Kita-Fachkräfteverbänden organisieren sich Fachkräfte, die aus der täglichen Praxis kommen. Wir erleben Tag für Tag, dass die Rahmenbedingungen in deutschen Kitas nicht kindgerecht sind. Verbesserungen sind dringend notwendig! In diesem Sinne schließen wir das Schreiben an Sie mit dem Statement:

„Genügend Personal ist nicht alles, aber ohne ausreichend Personal ist alles nichts!“


Download Offener Brief