Trotz massivem Kita-Ausbau zeigt sich seit Jahren dasselbe Bild: Im Westen gibt es zu wenig Plätze und im Osten betreut eine Fachkraft zu viele Kinder. Dieses doppelte Ost-West-Gefälle können Bund und Länder innerhalb der kommenden zehn Jahre weitgehend auflösen, wenn jetzt die richtigen Weichen gestellt werden. Notwendig sind insbesondere mehr Erzieher:innen.

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Von gleichwertigen Lebensverhältnissen in der frühkindlichen Bildung ist Deutschland nach wie vor weit entfernt. Während im Osten 53 Prozent der Kinder unter drei Jahren (U3) eine Kita oder Kindertagespflege besuchen, sind es im Westen lediglich 31 Prozent. Die höhere Qualität hingegen bieten, gemessen am Personalschlüssel, die Kitas im Westen. Dort betreut rechnerisch eine vollzeitbeschäftigte Kita-Fachkraft 3,5 ganztagsbetreute Krippenkinder, in Ostdeutschland hingegen 5,5. Das zeigt die neue Ausgabe des Ländermonitorings Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung. Kindgerecht wäre nach wissenschaftlichen Empfehlungen ein Personalschlüssel von eins zu drei zwischen Fachkraft und U3-Kindern.

Fokus Personalausstattung

Die Personalausstattung in Niedersachsen ist im Vergleich zum westdeutschen Mittel der jeweiligen Gruppentypen bereits überwiegend besser oder liegt auf dem Westniveau. Bei den Krippengruppen besteht allerdings noch Verbesserungsbedarf: Der Personalschlüssel liegt hier im Mittel bei 1 zu 3,7 und erreicht damit noch nicht das Niveau von Westdeutschland (1 zu 3,5). Damit alle Gruppentypen in Niedersachsen das Westniveau erreichen und die Teilhabequoten aller Altersjahre an das Ostniveau angeglichen werden, fehlen zur vollständigen Deckung des Fachkräftebedarfs weniger als 1000 Arbeitskräfte (weitere Blitzlichter zu Niedersachsen s.a. unten).

In ihrem erstmals erstellten „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule“ zeigt die Bertelsmann Stiftung: Eine kindgerechte Personalausstattung und zugleich ausreichend Plätze in allen Kitas sind in diesem Jahrzehnt nicht mehr zu realisieren. Dafür gibt es nicht genügend Erzieher:innen. Auf dem bundesweiten Arbeitsmarkt besteht zwischen dem prognostizierten Bedarf und dem voraussichtlichen Angebot an Fachkräften eine Lücke von insgesamt mehr als 230.000 Erzieher:innen. Weder ist diese Lücke durch Aufstockung der Ausbildungskapazitäten zu schließen, weil dafür Berufsschullehrkräfte fehlen; noch sind bis 2030 genügend Quereinsteiger:innen zu gewinnen, die außerdem erst pädagogisch qualifiziert werden müssen. Verschärfen wird den Personalmangel ab 2026 der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder.

Etappenziel gleichwertige Lebensverhältnisse

Trotzdem kann die frühkindliche Bildung in Deutschland bis 2030 einen großen Schritt auf dem Weg zu gleichwertigen Lebensverhältnissen machen. Laut dem „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule“ besteht die realistische Chance, noch in diesem Jahrzehnt im Osten die Personalschlüssel an das Westniveau und im Westen die U3-Teilhabe an das Ostniveau anzugleichen. Sofern im Osten keine Fachkräfte entlassen und die prognostizierten Berufseinsteiger:innen eingestellt werden, lassen sich die Personalschlüssel auf das heutige Westniveau verbessern. Begünstigt wird dieses Etappenziel durch rückläufige Geburtenraten. Auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt verbliebe insgesamt sogar ein Potenzial von etwas mehr als 4.000 Fachkräften, die für den weiteren Ausbau der Personalschlüssel oder Leitungskapazitäten zur Verfügung stünden.

Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, ist die Angleichung von Teilhabe und Qualität in Ost und West zwar nur ein „Etappenziel“. Das langfristige Ziel für die frühkindliche Bildung in Deutschland müsse weiterhin lauten: kindgerechte Qualität nach wissenschaftlichen Empfehlungen für alle Kinder unabhängig vom Wohnort.
Vom Bund wünscht sich Dräger, dass er sein finanzielles Engagement für den Qualitätsausbau über 2022 hinaus fortsetzt und im Kita-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz („Gute-KiTa-Gesetz“) verlässlich verankert. Die Mittel sollten in erster Linie dafür verwendet werden, neue Fachkräfte zu gewinnen und zu qualifizieren sowie die Personal- und Leitungsausstattung der Kitas zu verbessern. Um den Fachkräftebedarf in allen Bundesländern zu decken, sei, so Dräger, ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen von Bund und Ländern notwendig.

Blitzlichter: Status quo der Kindertagesbetreuung in Niedersachsen

In den letzten zehn Jahren hat sich in NI die Zahl der unter 3-Jährigen, die eine KiTa oder Kindertagespflege besuchen, mehr als verdoppelt (2011: 35.669; 2020: 73.853). Somit stieg die FBBE-Teilhabequote dieser Altersgruppe von fast 19 % im Jahr 2011 auf 33 % im Jahr 2020. Trotz des enormen Ausbaus ist NI aber noch weit entfernt von der durchschnittlichen ostdeutschen Teilhabequote (53 %). Bei den 3- bis unter 6-Jährigen liegt der Wert bei 92 % (bundesweit: 93 %).
Für faire Bildungschancen ist nicht nur die Zahl an Plätzen entscheidend: Die Angebote müssen auch kindgerecht sein. Wichtige – auch wissenschaftlich untersuchte – Gradmesser für die strukturelle Qualität in KiTas sind der Personalschlüssel, die Gruppengröße, das Qualifikationsniveau des pädagogischen Personals und ausreichend Leitungszeit.

Der Personalschlüssel lässt sich mit den Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik (KJH-Statistik) für verschiedene Gruppentypen berechnen. So werden 2020 in NI 30 % der unter 3-Jährigen in Krippengruppen betreut. Mit einem rechnerischen Personalschlüssel von 1 zu 3,7 wird hier noch nicht die Empfehlung der Bertelsmann Stiftung (1 zu 3,0) erreicht. Der größte Anteil dieser Altersgruppe (59 %) besucht Gruppen mit Kindern unter 4 Jahren; der Personalschlüssel liegt hier bei 1 zu 3,9 – das stellt noch kein kindgerechtes Verhältnis dar. In Kindergartengruppen, die auch für 2-Jährige geöffnetsind, werden weitere 4 % der unter 3-Jährigen zusammen mit 11 % der über 3-Jährigen bei einem Personalschlüssel von 1 zu 7,7 betreut. Das ist ungünstiger als der wissenschaftlich empfohlene Wert von 1 zu 4,9.1 Der überwiegende Anteil der ab 3-Jährigen (78 %) besucht Kindergartengruppen mit einem Personalschlüssel von 1 zu 8,0 (Empfehlung der Bertelsmann Stiftung: 1 zu 7,5). Die Auswertungen zeigen, dass im Jahr 2020 in NI für fast 63 % der Kinder in amtlich erfassten KiTa-Gruppen 2 nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung steht. Dieser Anteil liegt unter dem bundesweiten Wert von 73 %. Die nicht kindgerechte Personalausstattung betrifft etwas häufiger die unter 3-Jährigen (68 %) als die ab 3-Jährigen (61 %).

Betrachtet man die Entwicklung der Personalschlüssel, wird deutlich, dass sich in NI von 2013 bis 2020 die personelle Ausstattung in Krippengruppen von 1 zu 4,2 auf 1 zu 3,7 verbessert hat. Auch in Kindergartengruppen kam es zu einem Ausbau (von 1 zu 8,7 auf 1 zu 8,0). Trotz dieser Entwicklungen müssen in NI jedoch rein rechnerisch 1,3 Kindergartenkinder mehr von einer Fachkraft betreut werden als in BW, dem Bundesland mit der günstigsten Personalausstattung.
Die Gruppengröße ist ein weiterer wichtiger Gradmesser für die Qualität in KiTas. Nach wissenschaftlichen Empfehlungen sollten Gruppen für jüngere Kinder maximal zwölf Kinder umfassen, für die Älteren maximal 18.3 In NI werden diese Werte bei 78 % der amtlich erfassten KiTa-Gruppen nicht erreicht; das ist bundesweit (54 %) der höchste Anteil. Mit 83 % ist insbesondere ein größerer Anteil der Kindergartengruppen zu groß; bei Kindergartengruppen, die auch für 2-Jährige geöffnet sind, sind es gar 87 %. Darüber hinaus entsprechen 80 % der Gruppen mit Kindern unter 4 Jahren und 59 % der Krippengruppen nicht den Empfehlungen. Insgesamt zeigt sich, dass in NI die ab 3-Jährigen mit 89 % häufiger von nicht kindgerechten Gruppengrößen betroffen sind als die unter 3-Jährigen (77 %).

Wesentliche Voraussetzung für eine „gute“ KiTa-Qualität ist nicht nur zahlenmäßig ausreichendes, sondern auch qualifiziertes Personal. In NI verfügen 70 % der 58.189 pädagogisch Tätigen in KiTas über einen fachlich einschlägigen Fachschulabschluss, etwa als Erzieher:in. Damit liegt NI etwas über dem bundesweiten Durchschnitt (68 %), allerdings noch unter dem Niveau der ostdeutschen Bundesländer (80 %). Über den formal niedrigeren Berufsfachschulabschluss, bspw. als Sozialassistent:in, verfügen in NI fast 20 % der pädagogisch Tätigen; in Ostdeutschland sind es nur knapp 3 %. Weitere 4 % besitzen einen fachlich einschlägigen Hochschulabschluss. Eine sonstige – nicht fachlich einschlägige – Ausbildung weisen in NI 3 % der pädagogisch Tätigen auf (bundesweit: 4,5 %). Der Anteil des Personals ohne Abschluss liegt in NI mit mehr als 2 % im bundesweiten Durchschnitt (2 %). Weitere rund 1 % schließlich befinden sich in Ausbildung; 2016 lag dieser Wert bei etwas weniger als 1 %. Mit Blick auf die gegenwärtig in vielen Bundesländern eingeführten praxisintegrierten Ausbildungsgänge bleibt abzuwarten, ob sich dieser Wert in den kommenden Jahren erhöht. Ebenso gilt es kontinuierlich zu beobachten, wie sich die neuen beruflichen Zugangsformen, etwa für Quereinsteiger:innen, zukünftig auf das formale Qualifikationsniveau des KiTa-Personals insgesamt auswirken werden.

Auch die Ausstattung der KiTas mit ausreichenden Leitungsressourcen nimmt eine Schlüsselfunktion für die KiTa-Qualität ein. Nach den Angaben in der KJH-Statistik verfügen 14 % der KiTas in NI über keine Zeit für Leitungsaufgaben. Insbesondere die kleineren KiTas (weniger als 45 betreute Kinder) geben zu 26 % an, keine entsprechenden Zeitressourcen zu besitzen. Über die von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Zeit für Leitungs- und Verwaltungsaufgaben 4 verfügen 2020 in NI 18 % der KiTas (ohne Horte); bundesweit sind es ebenfalls rund 18 %.

Bis zu 17.000 Fachkräfte fehlen
Der Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule prognostiziert, dass für gleiche Teilhabechancen und eine kindgerechte Betreuung sowie eine professionelle Leitungsausstattung gemäß wissenschaftlichen Empfehlungen bis 2030 in NI fast 17.000 KiTa-Fachkräfte fehlen werden. Damit diese Lücke geschlossen werden kann, muss die Zahl der prognostizierten Neuzugänge um knapp 69 % gesteigert werden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass bis dahin die Ausbildungskapazitäten in diesem Umfang aufgestockt und genügend Quereinsteiger:innen gewonnen sowie pädagogisch qualifiziert werden können.
Allerdings besteht in NI – auch infolge der rückläufigen Geburtenzahlen – die Chance, bis 2030 die Teilhabequoten an das heutige Niveau der ostdeutschen Bundesländer und die Personalschlüssel an das durchschnittliche Westniveau 6 anzugleichen. Für dieses Etappenziel fehlen laut Prognose weniger als 1.000 Fachkräfte, was ein Plus von nur rund 2 % der prognostizierten Neuzugänge darstellen würde. Es ist zu prüfen, ob diese Lücke durch eine zügige Aufstockung der Ausbildungskapazitäten und die Gewinnung sowie Qualifizierung von Quereinsteiger:innen geschlossen werden kann.

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Quelle: Presseinfos Bertelsmann Stiftung