Familienzentren oder Zentren für Familien können eine wirkungsvolle Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen wie veränderte Familienmodelle, einen stark gestiegenen Beratungsbedarf in Erziehungsfragen sowie eine zunehmende soziale und kulturelle Vielfalt bieten. Die Wirksamkeit von Zentren für Familien nahm in einem nifbe-Vortrag jetzt Prof. Dr. Katharina Spieß vom DIW in Berlin insbesondere unter bildungs- und familienökonomischer Perspektive in den Fokus.

Zur Begrüßung verwies nifbe-Geschäftsführerin Dr. Bettina Lamm auf die hohe Bedeutung des Themas im nifbe – neben verschiedenen Stellungnahmen, Thesenpapieren und Buchpublikationen habe das nifbe schon vor vielen Jahren eine Expert*innengruppe Familienzentren mit Vertreter*innen aus Kommunen, Trägern, Praxis und Wissenschaft initiiert. Sie gab der Hoffnung Ausdruck, dass mit dem Vortrag auch „neuer Schwung in die Diskussion kommt und das Thema Familienzentren auch auf der politischen Agenda nach oben rückt – insbesondere auch im Hinblick auf das neue KiTaG für Niedersachsen.“

Verlässliche Finanzierung notwendig

Als nifbe-Koordinatorin für das Thema Familienzentren auf Landes- und Bundesebene führte Sandra Köper-Jocksch näher in das Thema ein und unterstrich die „Notwendigkeit einer bedarfsgerechten familialen Infrastruktur“ in Niedersachsen. Viele KiTas hätten sich schon aus eigener Kraft auf den Weg zum Familienzentrum gemacht, „für eine nachhaltige Entwicklung brauchen sie und die vielen anderen KiTas aber eine verlässliche finanzielle Förderung durch Land und Kommunen.“ Und dies wäre, wie Prof. Dr. Katharina Spieß in der Folge eindrucksvoll zeigte, sehr gut angelegtes Geld.

Die Familien- und Bildungsökonomin würdigte zunächst das langjährige Engagement des nifbe und wusste aus eigener Erfahrung, dass „wir ohne ständiges Nachhaken und Bohren nichts bewirken können.“ Dann führte sie den rund 150 Teilnehmer*innen aus dem gesamten Bundesgebiet und aus den verschiedensten Professionen noch einmal knapp die gesellschaftliche Ausgangssituation vor Augen: So würde die Doppelerwerbstätigkeit von Eltern ebenso wie der Anteil von Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund immer weiter zunehmen und jedes dritte Kind sei heute „von einer Risikolage betroffen“. Zugleich verbringen Kinder „immer mehr Lebens- und Tageszeit in der KiTa“, wobei die Familie aber zentrale Sozialisationsinstanz bleibe.

„Was liegt also“, so fragte Katharina Spieß, „bei dieser Ausgangslage näher als eine gleichzeitige gezielte Adressierung von Kindern und Eltern?“ In diesem Sinne beschrieb sie als Kernelement von Zentren für Familien „die systematische Verknüpfung von klassischen KiTa-Angeboten mit eltern- und familienorientierten Angeboten im sozialen Nahraum.“ KiTas hätten mit ihrer hohen Akzeptanz und einem niedrigschwelligen „Zugang ohne Stigmatisierung“ ideale Voraussetzungen, um sich zu Zentren für Familien weiterzuentwickeln.
„Angebote für Eltern und Kinder zusammen verstärken die positiven Effekte von klassischen KiTa-Angeboten“ unterstrich die Wirtschaftswissenschaftlerin und identifizierte darüber hinaus positive Effekte für folgende Bereiche:
  • Vereinbarkeit von Familie und Beruf
  • Arbeitsmarktzugang (z.B. durch Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit oder durch verbesserte Sprachkompetenzen bei Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund)
  • Elterliches Wohlbefinden im Hinblick auf eine erhöhte Erziehungskompetenz, eine verbesserte kindliche Entwicklung und auch eine bessere Integration

"Hohe Effektivität und hohe Effizienz"

Die angeführten positiven Effekte von Zentren für Familien belegte Katharina Spieß in der Folge durch internationale Studienergebnisse zu ähnlich gelagerten Modellprojekten – vom „Perry Preschool-Project“ und dem „Chicago-Child-Parent-Center“ über „Educare Schools“ und „Sure Start“ bis hin zu den Familienhäusern und -zentren in Skandinavien. Hier konnten ebenso eine „hohe Effektivität und hohe Effizienz“ wie auch entsprechende langfristige Effekte auf verschiedenen Ebenen festgestellt werden. In der Schlussfolgerung zeige sich, dass - wie auch schon Wirtschaftsnobelpreisträger James J. Heckman und sein Kollege Stefano Mosso 2014 belegt hätten - jeder in diesem Bereich investierte Dollar oder Euro sich mehrfach rentiere.

Mit dem Blick auf den Status Quo der Zentren für Familien oder Familienzentren in Deutschland musste Katharina Spieß „sehr heterogene landesgesetzliche Regelungen“ und wenig Verbindlichkeit konstatieren. Sie stellte sieben Modellprojekte in Deutschland vor, von denen das Familienzentren-Programm in NRW heraussticht, weil hier ein flächendeckender Ausbau mit Landesfinanzierung stattgefunden hat. Weitere Beispiele waren die ebenfalls vom Land geförderten Hamburger Eltern-Kind-Zentren mit dem Ziel eines (kulturell) niedrigschwelligen Zugangs oder auch die kommunal geförderten Early Excellence Zentren in Hannover.

Bewertungsmerkmale für Zentren für Familien

Aus ihrer intensiven Beschäftigung mit Zentren für Familien in ihren unterschiedlichen Spielarten hat Katharina Spieß zusammen mit Sophia Schmitz ein kompaktes Bewertungsraster entwickelt, das sie den Teilnehmer*innen vorstellte:
  • Systematische Bedarfsorientierung
  • Stetiger Sozialraumbezug
  • Institutionelle Vernetzungen
  • Niedrigschwelliger Zugang
  • Gezielte Elterneinbindung
  • Hohe Qualität
  • Adäquate Fachkräfte-Aus- und Weiterbildung
  • Nachhaltige Finanzierung
  • Institutionalisierte Weiterentwicklung
  • Neutrale Evaluierung von Ergebnissen bei Kindern und Eltern

Als problematisch stellte Katharina Spieß im Hinblick auf die gewünschten Effekte von Zentren für Familien die derzeit noch recht unterschiedlichen KiTa-Nutzungsquoten gerade auch im Krippenbereich heraus. Diese würden evident weniger durch Familien mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Schichten genutzt – zum einen, weil hier schlicht die Informationen fehlten, zum anderen aber auch, weil Zweifel an der interkulturellen Ausrichtung der Einrichtungen bestünden.

Bundesinititiative für Familienzentren gefordert

Abschließend forderte Katharina Spieß eine konzertierte Bundesinitiative zur nachhaltigen Förderung von Zentren für Familien. Auf die Rückfrage aus dem Publikum, warum das Thema auf der politischen Agenda nicht viel höher angesiedelt sei, stellte sie eine komplexe Gemengelage dar – von der Befürchtung mancher Politiker zu sehr in die private Familiensphäre einzugreifen über die in Teilen nicht gerade innovationsfreudige Kinder- und Jugendhilfe bis zum „Denken in angestammten Revieren und Ressorts.“ Und da bei diesem Thema Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Familien- und Bildungspolitik gemeinsam gefragt seien, „ist hier ein richtig dickes Brett zu bohren“. Aber, und das sei entscheidend: „Investitionen in kombinierte Eltern-Kind-Angebote heute sparen Investitionen im Morgen!“.

In diesem Sinne muss die Überzeugungsarbeit auf Bundes- und Landesebene weitergehen und entsprechend wird auch die nifbe-Expertenrunde Familienzentren eine neue Stellungnahme in die Debatte um ein neues KiTaG in Niedersachsen einbringen. Wer sich weiter zu diesem Thema austauschen möchte, ist auch zu einer weiteren Digitalkonferenz des nifbe am 21.01.2021 oder zur Beteiligung an einem digitalen nifbe-Forum eingeladen.

Download Powerpoint Katharina Spieß

Karsten Herrmann




Tipps Zum Weiterlesen

Download Thesenpapier Familienzentren nifbe

Download nifbe-Professionalisierungsheft Familienzentren


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