Ein Gastkommentar von Prof. Dr. Anke König zur Rede über die Fachkräftekrise in Kita, Schule und Jugendhilfe

csm Anke Koenig WiFF 90b72bc483Anke König ist Professorin für Allgemeine Pädagogik mit Schwerpunkt Frühpädagogik an der Universität Vechta und war langjährige WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern.-Leiterin (Foto: DJI)Die Rede über den Fachkräftemangel in Kita, Schule und Jugendhilfe ist nicht neu. Seit Jahren wird das Thema diskutiert und darüber gern der Kern des Problems vergessen: die fehlende Innovation. Denn wenn Arbeitsfelder zu schnell wachsen, ist Modernisierung gefragt.

Bekanntlich steigt die Bedeutung der Dienstleistungsberufe, und dies gilt auch für den pädagogischen Bereich, seit Jahrzehnten. Der Mangel an pädagogischen Fachkräften heißt dabei aber nicht, dass weniger Menschen entsprechende Berufe ergreifen wollen – das Gegenteil ist der Fall: Diese Arbeitsfelder verzeichnen auffallend hohen und weiter wachsenden Zulauf – aber auch viel Abwanderung. Der Mangel ist vielfach selbstgemacht und berührt wesentliche strukturelle Fragen. Fehlende Innovation auf Seiten der Steuerung erweist sich im Feld der Erziehungs- und Bildungsberufe als ein entscheidendes Hemmnis.

Kita, Schule und Jugendhilfe sind tief verwurzelt in ihren historischen Entwicklungslinien. Flache Qualifikationsprofile, die einen vielfältigen Einsatz suggerieren und zugleich – in Zeiten des Mangels – eine einfache Öffnung des Berufs in der Breite ermöglichen, sind zum Problem geworden. Die tatsächliche Bedeutung der Kernberufe wird dabei unter den heutigen komplexen Anforderungen zu wenig hinterfragt.

Besonders tiefgreifend wirken die institutionalisierten Praktiken im Arbeitsfeld Kita. Staatliche Anerkennung und Fachkräftekataloge beherrschen einseitig den Arbeitsmarkt. Statt neuere Forschungsergebnisse und Erkenntniszuwachs für eine inhaltliche und strukturelle Modernisierung des Berufsfelds zu nutzen, verharren die Diskussionen bei Fragen um die sogenannten Kernberufe. So etwa hat die Flexibilisierung der Erzieher*innenausbildung zu einem Dickicht an Zugangswegen und Ausbildungsstrukturen geführt, ohne eine tatsächliche Reform der Ausbildung voranzutreiben. Nach wie vor wird diese als vollzeitschulische Ausbildung vollzogen, d.h., die Ausbildungsressourcen verbleiben zu 100 Prozent in den Schulen! Das Praxisfeld hat zwar an Bedeutung gewonnen, aber eine strukturelle Stärkung fand nicht statt, etwa durch die Bereitstellung von Finanz- und Zeitressourcen für ausbildungsbegleitende Praxismentor*innen.

Vielfalt vom Gleichen erzeugt keine Innovation. Die starken Expansionen weisen auf die Sollbruchstellen des Systems hin und erzeugen alltagspraktische Dissonanzen in den Arbeitsfeldern.

„jetzt ist es ja so, dass die Ausbildung auch ganz anders läuft als früher, das heißt, die haben Floristik gelernt, ja, und haben dann entschieden, also das ist doch nicht das Richtige für mich, ich werde jetzt Erzieherin, ja, dann haben die da ihre Ausbildung, machen ein Praktikum, machen drei Prüfungen, und dann sind sie in der Kita, von denen kann ich das gar nicht erwarten […]“ (Protokollausschnitt zur Diskussion um Inklusion in Kindertageseinrichtungen)

In den Arbeitsfeldern von Kita, Schule und Jugendhilfe liegen Zukunftsberufe! Statt jedoch die Kernberufe in der Ausbildung immer weiter mit zusätzlichen Inhalten zu überfrachten, sie aufgrund der entsprechend kursorischen Behandlung zugleich aber auch auszuhöhlen, braucht es eine neue Verständigung über Qualitätsstandards. Und weil Bildungs- und Erziehungsberufe Humanberufe sind, gelten diese vor allem im Hinblick auf die Qualität der pädagogischen Beziehungen. Staatliche Anerkennung und Fachkräftekataloge laufen demgegenüber ins Leere.

Fachkräfte leisten – nicht erst seit Corona – Enormes. Ins Zentrum der Debatte müssen vor diesem Hintergrund die veränderten Arbeitsbedingungen, die sich ausdifferenzierenden Anforderungen an die Fachkräfte, innovative Unterstützungssysteme und eine klarer differenzierte Vielfalt der Stellenprofile rücken.

Modernisierung sollte darin bestehen, unterschiedliche Berufswege und nicht zuletzt Karriereperspektiven deutlicher zu konnotieren, aber auch darin, ein grundsätzlich neues Verständnis pädagogischer Qualität im multiprofessionellen Team zu entwickeln. Die Handlungsfelder könnten sich auf dieser Grundlage substanziell weiterentwickeln und sich von den formalen Standardregularien emanzipieren. Qualitätssysteme sollten durchgängig und auf der unmittelbaren Akteursebene greifen. Trägern, Leitung und Team kommt dafür eine besondere Verantwortung zu. Ein Perspektivenwechsel in diese Richtung erst brächte Bewegung in den Arbeitsmarkt. Mit den bestehenden Kernberufen allein wird der Bedarf an Fachkräften nicht zukunftsfähig zu decken sein.


Der Gastkommentar von Anke König ist leicht gekürzt zuerst erschienen in der
Ausgabe 11/2020 der "E&W" für Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)


Einen im Rahmen der nifbe-Fachtagung "Zwischen Akademisierung und Schnellbesohlung" (Dokumentation hier) gehaltenen Vortrag zum Fachkräftemangel von Anke König sehen Sie hier: